Was dem FC Bayern im Vergleich zur europäischen Spitze fehlt - Ein Kommentar

Dass der FC Bayern in letzter Zeit auch wegen ausbleibender Erfolge etwas an Glanz verloren hat, ist nicht zu übersehen. Doch was fehlt den Münchnern derzeit im Vergleich zu anderen europäischen Spitzenteams?
Frust nach dem CL-Aus: Thomas Müller
Frust nach dem CL-Aus: Thomas Müller / Image Photo Agency/GettyImages
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Lange Zeit galt der FC Bayern München nicht nur in Deutschland als das große Aushängeschild des Fußballs. Auch international waren die Münchner lange Zeit als 'La Bestia Negra' gefürchtet und spielten regelmäßig alle europäischen Fußballmächte gerne mal an die Wand. Spätestens nach dem Ausscheiden im Viertelfinale der Champions League gegen Inter Mailand am Mittwochabend bröckelt dieser Ruf aber wie lange nicht.

Zwischen der Saison 2009/10 und 2019/20 erreichte der deutsche Rekordmeister achtmal mindestens das Halbfinale der Königsklasse, davon viermal das Finale und ging gar zweimal als Sieger vom Platz. Nur dreimal erreichten die Münchner in diesem Zeitraum nicht mindestens die Runde der letzten Vier. Doch die goldenen Jahre sind vorbei.

Mit dem Aus gegen Inter kamen die Münchner in den letzten fünf Spielzeiten nur einmal über das Viertelfinale hinaus. Zu wenig für die eigentlich hohen Ansprüche des sonst so erfolgsverwöhnten Klubs aus dem Süden Deutschlands. Doch was sind die Gründe für den vermeintlichen Abgesang des FC Bayern?

Dieser Gedanke beschäftigte mich während des gesamten Rückspiels des FC Bayern bei Inter Mailand am Mittwochabend. Der Gedanke an das nun bevorstehende Halbfinale zwischen dem gestrigen Gegner aus Italien und dem katalanischen Schwergewicht FC Barcelona mit Ex-Bayern-Trainer Hansi Flick hat mir sehr deutlich vor Augen geführt, was den Münchnern im Vergleich zu diesen beiden Top-Teams im Halbfinale der Champions League derzeit fehlt.

Wo sind die Münchner Eigengewächse?

Schaut man sich beispielsweise den BVB-Bezwinger FC Barcelona an, fällt vor allem eines auf: Im Kader der Katalanen tummeln sich mit Inaki Pena, Pau Cubarsi, Erik Garcia, Alejandro Balde, Hector Fort, Marc Casado, Marc Bernal, Gavi, Dani Olmo, Fermin Lopez, Ansu Fati und Lamine Yamal nicht weniger als zwölf Spieler, die die Jugend des FC Barcelona durchlaufen haben und dem gesamten Spielstil eine deutliche Handschrift verleihen. Hinzu kommen mit Pau Victor, Gerard Martin und Ronald Araujo Spieler, die über die zweite Mannschaft der Katalanen den Sprung zu den Profis geschafft haben.

Das ist kein Zufall, sondern hat seit vielen Jahren Tradition. Man denke nur an die Ära um Lionel Messi, Iniesta, Xavi, Sergio Busquets, Victor Valdes und Carles Puyol, um zu sehen, dass diese tief im Verein verwurzelten Identifikationsfiguren die großen Leistungsträger waren und gerade dabei sind es erneut zu werden. Auch beim FC Barcelona der Gegenwart und wohl auch der Zukunft sind es die selbstgeschmiedeten Figuren auf dem Platz, die - ergänzt um sinnvolle externe Verstärkungen wie z.B. einen Robert Lewandowski im Sturmzentrum - für den aktuellen Erfolg Barças stehen. Wer sich ein Spiel von Barça anschaut, weiß genau, was ihn erwartet, und man wird selten enttäuscht. Der rote Faden aus taktischer Leitkultur und Philosophie ist beim spanischen Spitzenclub immer vorhanden und jedes Eigengewächs kämpft für seinen Herzensverein.

Stets geprägt von Eigengewächsen: Die Startelf des FC Barcelona
Stets geprägt von Eigengewächsen: Die Startelf des FC Barcelona / James Gill - Danehouse/GettyImages

Der rote Faden in München ist verloren gegangen

Betrachtet man hingegen den FC Bayern der letzten Jahre und besonders aktuell, so scheint das taktische Hin und Her durch einige Trainerwechsel in der jüngeren Vergangenheit dem Verein sehr geschadet zu haben. Die für Münchner Verhältnisse zu große Inkonstanz auf dem Trainerstuhl haben dem roten Faden in der bayerischen Landeshauptstadt samt Mia San Mia nicht gut getan - zu oft musste oder sollte sich dieser Verein neu erfinden - auch taktisch. Zu oft standen gerade die noch verbliebenen Identifikationsfiguren vermeintlich auf dem Abstellgleis oder mussten erhebliche Schäden ihres Standings verkraften. Man denke nur an die Causa Thomas Müller unter Kovac oder an Joshua Kimmich und Leon Goretzka als Verkaufskandidaten Nummer eins zu unterschiedlichen Zeiten.

Von den letzten fünf Bayern-Trainern hatte man nur unter Hansi Flick dieses Münchner Selbstverständnis vor Augen und dabei immer das Gefühl, dass das Mia San Mia auch innerhalb der Mannschaft gelebt wird. Gerade in dieser so erfolgreichen Zeit wusste man, was man bekommt, wenn FC Bayern drauf stand.

Auch wenn unter Kompany wieder Ansätze erkennbarer sind als zuletzt unter Nagelsmann oder Tuchel, ist der FC Bayern als solcher heute kaum wiederzuerkennen. Das liegt vor allem auch an einer fast völlig verfehlten Transferpolitik und dem Versäumnis, neben Musiala, Stanisic und Pavlovic mehr selbst entwickelte Vereinsidentität in den Kader zu bringen.

Das große Bayern-Problem: Eine gescheiterte Transferpolitik

Und hier kommt man auch unweigerlich zum gestrigen Stolperstein für das so heiß erträumte Finale Dahoam 2.0 - Inter Mailand. Die Nerazurri verfügen ähnlich wie der FC Bayern über nur wenige Eigengewächse, haben ihren Kader aber immerhin so zusammengestellt, dass er als Ganzes funktioniert und Sinn ergibt. Unabhängig von Alter und Herkunft der Spieler. Neben den alten Haudegen Francesco Acerbi (37), Matteo Darmian (35), Yann Sommer (36), Henrikh Mkhitaryan (36) und Marko Arnautovic (35), die allesamt nach wie vor hohes Ansehen genießen und zu den Leistungsträgern unter Trainer Simone Inzaghi zählen, hat Inter beispielsweise mit Linksverteidiger Carlos Augusto (26), Angreifer Marcus Thuram (27) oder Innenverteidiger Yann Bisseck (24) auch sehr clevere Ergänzungs-Transfers getätigt, die die Nerazurri nur wenig finanziellen Aufwand gekostet haben, aber voll eingeschlagen sind.

Der deutsche Nationalspieler Yann Bisseck etwa kam für nur etwas mehr als sieben Millionen Euro aus der ersten Liga Dänemarks und gilt als einer der kommenden Stars auf dieser Position. Linksverteidiger Carlos Augusto wurde für etwas mehr als 13 Millionen vom kleinen AC Monza verpflichtet und spielte gerade im Hinspiel eine wesentliche Rolle für das Ausscheiden der Bayern. Marcus Thuram kam sogar ablösefrei von Borussia Mönchengladbach und erfand seine Rolle auf dem Platz in Mailand völlig neu. Thuram zählt heute wohl zu den besten Stürmern Europas.

Inters Kader ist in sich schlüssig und wurde nach dem taktischen Plan des Trainers ausgerichtet. Jeder weiß was er zu tun hat und bringt diese Punkte im Rahmen seiner Stärken für den Gesamterfolg auch auf den Rasen. Auch bei Inter weiß man stets was einen erwartet und wird ebenfalls selten enttäuscht. Und noch etwas scheint Inter von den Bayern abzuheben: Auch in Mailand deutet sich mit einer unglaublich erfolgreichen U19 eine nun größere Durchlässigkeit für Eigengewächse an, die dem Beispiel von Federico Dimarco folgen könnten.

Inter Mailand: Gut durchdachte und sinnvolle Transferpolitik in einem Bild
Inter Mailand: Gut durchdachte und sinnvolle Transferpolitik in einem Bild / Jonathan Moscrop/GettyImages

Der FC Bayern befindet sich in der Kaderplanung auf einem Holzweg

Nimmt man nur diese beiden großen Aspekte, dann fragt man sich beim FC Bayern: Wo sind die großen Identifikationsspieler? Wo ist das Münchner Blut im Kader des deutschen Rekordmeisters? Welche Strategie steckt hinter der Transferpolitik? Wo ist das Mia San Mia und wer soll das nach Müller verkörpern?

Wo sind denn die in München ausgebildeten Talente, die den Sprung vom teuer hingestellten Campus in den Profikader schaffen? Warum verliert man ein Talent wie Kenan Yildiz und warum schaffen andere Talente wie Arijon Ibrahimovic, Adam Aznou oder Gabriel Vidovic nicht den Durchbruch? Wo ist der Mut, einen Lennart Karl zu bringen? Mut den man in Barcelona in der Person von Lamine Yamal offensichtlich hat? Was macht der FC Barcelona in dieser Hinsicht so viel besser als die Bayern und sind es am Ende vielleicht doch nur die einst von Oliver Kahn geforderten Eier, auf den eigenen Nachwuchs zu setzen?

Mehr noch: Stellt man den FC Bayern neben Inter Mailand, muss man sich unweigerlich fragen, was genau die Transferstrategie der Bayern ist. Welcher Linie folgen sie? Ich erkenne sie nicht. Was diesen Eindruck für mich unterstreicht, ist, dass die Bayern in letzter Zeit oft erst spät Transfers eintüten konnten und dafür auch richtig tief in die Tasche greifen mussten. Denken wir an Kane oder Palhinha. Man denke ebenso an die große Erkenntnis unter Nagelsmann, dass es falsch war, nach dem Abschied von Robert Lewandowski ohne echten Neuner in die Zukunft gehen zu wollen.

Für viel Geld eingekaufte Spieler überzeugen leider oft nicht. Zumindest nicht in dem Maße, wie man es sich im Vorfeld erhofft hatte. Sei es zum Beispiel die Innenverteidigung um Min-jae Kim und Dayot Upamecano, dem Dauerverletzten Hiroki Ito, dem teuren Außenbahn-Flop Sacha Boey, der lang ersehnten Holding Six Joao Palhinha, der nun vom eigentlich schon abgeschriebenen Leon Goretzka und Eigengewächs Aleksandar Pavlovic verdrängt wird, dem kostspieligen Mega-Flop Sadio Mane oder auch ein Flügelduo um Leroy Sane und Serge Gnabry, die nie in die großen Fußstapfen ihrer kongenialen Vorgänger Franck Ribéry und Arjen Robben treten konnten. Es ist fast so, als würde beim FC Bayern mittlerweile oft wie bei einem mittelmäßigen Premier-League-Klub eingekauft, ohne Hand und Fuß und meist völlig überteuert.

Eine Übersicht vermeintlicher Schlüsseltransfers:

FC Bayern

Inter Mailand

Joao Palhinha 51 Mio

Yann Bisseck 7,2 Mio

Dayot Upamecano 42,5 Mio

Carlos Augusto 13,25 Mio

Min-jae Kim 50 Mio

Marcus Thuram ablösefrei

Hiroki Ito 23,5 Mio

Matteo Darmian 3,3 Mio

Sacha Boey 30 Mio

Francesco Acerbi 4 Mio

Sadio Mane 32 Mio

Henrikh Mkhitaryan ablösefrei

In Summe: 229 Mio Euro

In Summe: 27,75 Mio Euro

Ein schlecht gemanagter Umbruch?

Im schmerzhaften Rückblick auf das gestrige Abendspiel gegen Inter Mailand stellt sich auch die Frage, ob der nun schon lange eingeleitete große Umbruch beim FC Bayern von den großen Köpfen im Verein vielleicht viel zu schnell und mit aller Macht durchgesetzt werden sollte. War es nicht etwas zu früh, einen Ribéry und einen Robben vom Hof zu jagen, so wie es jetzt vielleicht zu früh ist, mit einem Thomas Müller nicht zu verlängern? Nur weil die Leistungen nicht konstant auf dem hohen Niveau der Vergangenheit sind? Es sind Fragen, auf die man keine wasserdichten Antworten finden wird, weil man in jede Richtung argumentieren kann, aber ein Blick auf die (ausbleibenden) sportlichen Erfolge des großen FC Bayern hinterlässt zumindest große Fragezeichen, die genau diese Punkte in den Fokus rücken. Sollte es in dieser Saison zumindest mit der deutschen Meisterschaft klappen, wäre es der einzige Titel für den FC Bayern in den letzten zwei Jahren. Ein Armutszeugnis für diesen erfolgsverwöhnten Verein, der offensichtlich die größten Probleme bei den Entscheidern im Klub zu suchen hat.

Man kann den Spielern nicht absprechen, dass sie auch gestern im Rückspiel alles versucht haben, um das Halbfinale zu erreichen. Zwei Auswärtstore beim so defensivstarken Inter Mailand sprechen eine deutliche Sprache. Natürlich haben die Bayern auch mit der großen Verletzungsflut und schwerwiegenden Ausfällen wie dem von Jamal Musiala zu kämpfen und natürlich stand trotzdem namentlich viel Qualität auf dem Rasen, aber es wirkt einfach insgesamt nicht abgerundet beim FC Bayern. Die fußballerische Harmonie fehlt. Es fremdelt. Ananas auf Pizza kann man schon machen, aber es passt halt einfach nicht und genau so fühlt sich der FC Bayern im Moment an. Das liegt weniger an den aktiven Akteuren auf dem Rasen, die ihm Rahmen ihrer Möglichkeiten alles versuchen - doch Fakt ist auch, dass der Verein viele davon gar nicht erst hätte verpflichten dürfen. Zu viel Geld floss in teure Notfalltransfers und so braut sich ein Süppchen aus taktischer Unschlüssigkeit und mangelnder fußballerischer Linie, die mich bedenklich stimmt. So wird der FC Bayern nicht nur den Anschluss zur europäischen Elite mit Sicherheit weiter verlieren, sondern darüber hinaus auch seine fußballerische Identität und einstigen Alleinstellungsmerkmale.


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