Vor dem Wück-Debüt: Die offenen Fragen für den neuen Bundestrainer

Christian Wück steht am 25. Oktober beim Spiel gegen England zum ersten Mal als Trainer der DFB-Frauen an der Seitenlinie. Ihn erwarten große Aufgaben. Was sind die offenen Fragen, die Wück klären muss?
Christian Wück muss als Trainer der DFB-Frauen einige offene Fragen klären
Christian Wück muss als Trainer der DFB-Frauen einige offene Fragen klären / Marvin Ibo Guengoer/GettyImages
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Christian Wück tritt in große Fußstapfen. Als Bundestrainer der DFB-Frauen übernimmt der 51-Jährige das Amt von Horst Hrubesch. Hrubesch gilt als Legende beim DFB und beim HSV, wo er als Spieler als "Kopfballungeheuer" bekannt wurde. Die DFB-Frauen führte Hrubesch überraschend zu Olympia-Bronze, inklusive Sieg gegen den Topfavoriten Spanien. Und dazu war Hrubesch im Team höchst beliebt, die Spielerinnen sprachen stets in den höchsten Tönen von ihm.

Es ist also keine einfache Nachfolge für Christian Wück, den Neuen an der Seitenlinie. Zumal er mit dem Rücktritt von gleich drei Stützen des Teams umgehen muss. Merle Frohms, Marina Hegering und Kapitänin Alexandra Popp beenden ihre DFB-Karrieren.

Wück muss also den Kader neu zusammenbasteln. Dabei steht der neue Coach vor einigen offenen Fragen. Das sind die wichtigsten offenen Punkte vor dem ersten Spiel unter Wück - und für die kommenden Monate.

Wer schießt jetzt eigentlich die Tore?

Alexandra Popp hinterlässt bei den DFB-Frauen ein doppeltes Vakuum. Zum einen in Bezug auf ihre Leadership-Qualitäten, denn Popp ging stets voran. Sie trieb ihre Kolleginnen an, setzte mit ihrer Physis ein Zeichen. Sie ackerte und schimpfte auch mal, wenn es nötig war. Zum anderen ist da das sportliche Vakuum.

Popp hat 67 Tore in ihrer DFB-Karriere geschossen, so viele wie keine andere aktive Spielerin. Auf den Rängen zwei und drei folgen Lea Schüller und Klara Bühl mit 45 und 26 Toren. Schüller hat ein deutlich besseres Spiele-zu-Tore-Verhältnis als Popp.

Die Qualitäten der Bayern-Stürmerin vor dem Tor sind unbestritten. Schüller hat einen guten Torriecher, bewegt sich gut zwischen den Linien und ist ebenso wie Popp in der Luft stark. Aber die 26-Jährige ist (noch) keine Führungsspielerin wie Popp, sie zieht das Team in schwierigen Phasen eher nicht mit. Wenn es bei Schüller läuft, dann so richtig. Aber für die Phasen, in denen es nicht so läuft, braucht es gute Backup-Optionen.

Lea Schueller
Lea Schüller hat den Torriecher - aber es braucht Alternativen und Backups / Tullio M. Puglia/GettyImages

Hinter Bühl wird es in der Torschützenliste schnell dünn: Alle weiteren Spielerinnen haben zwölf Tore oder weniger geschossen. Laura Freigang weiß, wo das Tor ist. Um ihrer Hybrid-Rolle aus Stürmerin und Mittelfeldspielerin aber gerecht zu werden, müsste das System neu ausgerichtet werden. Fraglich, ob Wück dazu bereit ist.

In der Frauen-Bundesliga gibt es einige weitere Sturmtalente. Selina Cerci und Giovanna Hoffmann zeigten jüngst mit starken Leistungen, dass sie gute Alternativen für das DFB-Team sein könnten. Wück nominierte jetzt das Sturm-Duo. Mit Vanessa Fudalla soll eine weitere vielversprechende Stürmerin zunächst Spielzeit in der U23 sammeln.

Und wie entstehen die Tore?

Wer in Zukunft die Tore schießt, ist eine drängende Frage. Genauso wichtig ist aber, wie diese Tore vorbereitet werden sollen. Die DFB-Frauen kamen 2023 aus Australien mit einer spielerischen Krise im Gepäck zurück. Uninspirierte Kombinationen, viele Fehlpässe, wenige originelle Ideen, kein erkennbares Konzept für die Offensive. Die Mängelliste war groß.

Im Tumult nach der WM mit der Entlassung von Voss-Tecklenburg und verschiedenen Interimstrainerinnen und Trainern blieb nie wirklich die Zeit, eine neue Philosophie zu entwickeln. Das gilt auch für Horst Hrubeschs Amtszeit. Mit der Olympia-Qualifikation und dann der Vorbereitung auf das Turnier hatte Hrubesch alle Hände voll zu tun.

Als großer Taktikfuchs war er zudem nie bekannt, seine große Leistung war der Wiederaufbau des zuvor brüchigen Teamgefüges. Auch unter Hrubesch boten die DFB-Frauen spielerisch oft Stückwerk an. Das war teils im Olympia-Turnier zu sehen - was nicht die Leistung, die zur Bronzemedaille führte, schmälern soll.

Wichtig wird es für Wück nun sein, sich vom jüngsten Erfolg nicht blenden zu lassen. Der Fehler wurde bereits nach der EM 2022 gemacht. Mit der Folge, dass Deutschland daraufhin zu ausrechenbar und bequem spielte.

"Für mich ist es unheimlich wichtig, dass wir mit den Spielerinnen zusammen eine gewisse Identität erarbeiten“, sagte Wück schon bei seiner Amtseinführung. Das Stichwort "zusammen" ist hier besonders wichtig: Wück will den Spielerinnen nicht nur eine Philosophie aufdrücken, sondern mit ihnen zusammenarbeiten. Das macht schonmal Hoffnung.

Er wolle den Spielerinnen "Leitplanken" geben, innerhalb derer sich die Spielerinnen ausleben sollten, sagte Wück im Sky-Interview. Wie genau diese Leitplanken aussehen, hat Wück aber noch nicht konkreter definiert. Vermutlich ist er selbst, zusammen mit seinen zwei Co-Trainerinnen, noch auf der Suche danach.

Welche neuen Gesichter eignen sich für das Nationalteam?

Ein weiteres Schlagwort, das die frühe Wück-Ära prägen könnte: Umbruch. Nach den Rücktritten von Merle Frohms, Alexandra Popp und Marina Hegering hat Wück keine Wahl, sondern muss nach neuen Gesichtern für das Nationalteam suchen.

Den Umbruch leitete bereits Horst Hrubesch ein. Er verhalf Bibiane Schulze-Solano undElisa Senß zu ihrem Debüt, gab Sarai Linder und Sjoeke Nüsken mehr Verantwortung. Der frische Wind und der neue Konkurrenzkampf taten dem Team sichtlich gut. Wück wird diesen Weg jetzt fortsetzen wollen, ohne dabei die Balance zu verlieren.

Elisa Senss
Elisa Senß erwies sich als Verstärkung für die DFB-Frauen / Eurasia Sport Images/GettyImages

Eine der Positionen, über die er sich Gedanken machen muss, ist das Tor. Eigentlich sieht die Sache einfach aus. Ann-Katrin Berger hat die Position als Nummer eins von Merle Frohms erobert und dürfte erstmal gesetzt sein. Allerdings feierte Berger jüngst ihren 34. Geburtstag - es wäre verständlich, wenn sie ihre DFB-Karriere auf ihrem Höhepunkt beenden wollte.

Wück muss sich überlegen, wer als potenzielle Nachfolgerin aufgebaut werden soll. Mala Grohs, Stina Johannes, Ena Mahmutovic, oder ein neuer Name wie Sophia Winkler? Alle haben ihr Talent bereits gezeigt, sind aber längst noch nicht fehlerfrei.

Ähnlich ist die Situation in der Abwehr, wo Marina Hegering ein beachtliches Loch hinterlassen wird. Auch auf dieser Position gibt es in der Bundesliga interessante Talente. Wück hat zudem einen Vorteil: Ab sofort gibt es beim DFB wieder eine U23, in der die hoffnungsvollsten Talente spielen. Gut möglich, dass die Auswahl zum Scoutingpool für das A-Nationalteam wird.

Wück äußerte sich bereits hoffnungsvoll zu den Chancen, die die neue U23 bietet. "Wir wollen den Übergangsbereich stärken, um insbesondere den Spielerinnen, die nach der U20 nicht den Sprung in die A-Mannschaft schaffen, eine Plattform zu geben, sich zu beweisen und weiterzuentwickeln", sagte der Bundestrainer: "Es sind viele spannende Spielerinnen dabei, denen wir es jetzt schon zutrauen würden, bei uns aufzulaufen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es für ihre Entwicklung besser ist, diesen Zwischenschritt zu gehen."

Wer wird Kapitänin?

Christian Wück hat die K-Frage bisher stets offen gelassen. Gegen England führt Giulia Gwinn die DFB-Frauen auf das Feld. Gwinn dürfte auch langfristig die Favoritin auf die Kapitänsbinde sein. Wer die weiteren Kandidatinnen sind, lest ihr hier.

Genauso wichtig wie die Wahl einer Kapitänin wird es aber, ein Gerüst an Führungsspielerinnen aufzubauen. Gerade die jüngeren Spielerinnen könnten hier die nächsten Schritte machen, um mehr Verantwortung zu übernehmen.

Wück vor vielen offenen Fragen - das nächste Turnier kommt bald

Christian Wück muss also in allen Teilen des Teams neue Formationen finden, eine Spielphilosophie entwickeln, die zu den Spielerinnen passt, und idealerweise noch neue Talente heranführen. Eine beträchtliche Liste an Aufgaben. Zumal Wück nicht ganz entspannt und ohne Druck agieren kann. Im nächsten Sommer steht schon das nächste große Turnier an, die EM 2025 in der Schweiz.

Nur wenige Kilometer von Deutschland entfernt, wollen sich die DFB-Frauen als amtierende Vize-Europameisterinnen natürlich gut präsentieren. Unendlich Zeit, um zu experimentieren, bleibt also nicht. Für die langfristige Entwicklung der DFB-Frauen wäre es dennoch gut, die aktuell offenen Fragen im Kopf zu behalten und Lösungen zu entwickeln.