Transfer-Kritik an Kehl berechtigt? Die Tops und Flops in seiner Amtszeit
Von Oscar Nolte

Borussia Dortmund hat abseits der sportlichen Krise auch ein hierarchisches Problem auf der Führungsebene. Zu viele Meinungen, Anspruchshaltungen und Differenzen sollen in den vergangenen zwei Jahren zu Spannungen rund um den Signal-Iduna-Park geführt haben. Mittendrin: Sebastian Kehl, der als Sportdirektor in letzter Instanz verantwortlich für die Kaderplanung ist.
Natürlich hat Kehl die Transferentscheidungen nicht alleine zu verantworten. Da wären noch die Trainer, die ihre Wünsche äußern, bis vor kurzem der Technische Direktor Sven Mislintat, der sogar eigenmächtig Verhandlungen geführt haben soll. Nichtsdestotrotz kann man den viel kritisierten Kehl vor allem an den getätigten Transfers messen. Wir schauen auf die Tops und Flops in seiner mittlerweile zweieinhalbjährigen Amtszeit.
Anmerkung: die Transferbilanz unter Sebastian Kehl ist laut dem Branchenportal Transfermarkt.de in etwa ausgeglichen. Ausgaben und Einnahmen für und durch Spieler-Transfers halten sich also weitestgehend die Waage.
Kehl-Transfers beim BVB: Die Tops
1. Serhou Guirassy
Einen Volltreffer hat Sebastian Kehl mit der Verpflichtung von Serhou Guirassy gelandet. Dank einer Ausstiegsklausel konnte der BVB den Top-Stürmer im Sommer für schlanke 18 Millionen Euro verpflichten. Dass Kehl im Werben um Guirassy zahlreiche Top-Clubs ausgestochen hat, ist ihm hoch anzurechnen.
Guirassy spielt eine durchwachsene Debüt-Saison für den BVB und taucht in vielen Spielen beinahe unter. Dass der Guineer trotzdem bei 19 Toren und sechs Vorlagen in 29 Pflichtspielen für den BVB steht, ist Zeugnis seiner außergewöhnlichen Qualität. An Guirassy werden die Schwarzgelben auch in den kommenden Jahren noch viel Spaß haben.
2. Niclas Füllkrug
Auch bei Niclas Füllkrug bewies Kehl den richtigen Riecher. Zwar griff der BVB mit einer Ablöse von 17,5 Millionen Euro sehr tief für Füllkrug in die Tasche, die Investition zahlte sich aber aus. Füllkrug glänzte nicht nur mit 25 Torbeteiligungen in 43 Spielen für die Schwarzgelben, sondern hatte auch maßgeblichen Anteil am Finaleinzug in der Champions League im vergangenen Jahr.
Das große Plus bei Füllkrug greift Sportdirektor Sebastian Kehl aber mit der Entscheidung ab, den deutschen Nationalstürmer durch Guirassy zu ersetzen und beim Verkauf von Füllkrug trotzdem knallhart zu verhandeln. Am Ende sicherte Kehl dem BVB mit dem Verkauf von Füllkrug an West Ham United knapp 30 Millionen Euro Ablöse und brachte den BVB für den günstigeren Guirassy auf ein neues Level.
3. Nico Schlotterbeck
20 Millionen Euro legte Borussia Dortmund im Sommer 2022 für Nico Schlotterbeck auf den Tisch. Eine beachtliche Summe, die - das steht mittlerweile fest - aber jeden Cent wert war.
Schlotterbeck ist beim BVB zum Führungsspieler und zu einem Innenverteidiger von absolutem Weltformat gereift. Der deutsche Nationalspieler konnte seinen Marktwert verfielfachen.
4. Julian Ryerson
Mit der Verpflichtung von Julian Ryerson reagierte Sebastian Kehl im Januar 2023 auf den Engpass in der schwarzgelben Abwehr. Der Norweger kam per Ausstiegsklausel für fünf Millionen Euro von Union Berlin.
Ryerson entpuppte sich in Dortmund als absolute Überraschung und ist zwei Jahre später nicht mehr aus der Startelf der Borussia wegzudenken. In der letztjährigen Champions-League-Saison stellte Ryerson Größen wie Kylian Mbappe und Vini Jr. kalt. Laut Transfermarkt.de konnte Ryerson seinen Marktwert auf 20 Millionen Euro steigern.
5. Alexander Meyer
Auch bei Alexander Meyer bewies Sebastian Kehl einen guten Riecher. Der Keeper kam im Sommer 2022 ablösefrei von Jahn Regensburg und war den meisten BVB-Fans zu der Zeit überhaupt kein Name.
Heute ist Meyer Fanliebling in Dortmund und gilt gemeinhin als die beste Nummer zwei der Bundesliga. Aufgrund der Verletzungsanfälligkeit von Stammkeeper Gregor Kobel musste bzw. durfte Meyer überraschend viel spielen, auch auf der großen Champions-League-Bühne. Dabei zeigte der Ersatzkeeper so starke Leistungen, dass viele Fans zeitweise sogar einen Wechsel im Dortmunder Tor forderten. Ein absoluter Spitzentransfer von Kehl.
Kehl-Transfers beim BVB: Die Flops
6. Anthony Modeste
Mit der Verpflichtung von Sebastien Haller reagierte der BVB im Sommer 2022 auf den Abgang von Star-Stürmer Erling Haaland. Leider erkrankte Haller kurz nach seiner Ankunft in Dortmund an Hodenkrebs und fand nach langer Rekonvaleszent nie zu früherer Form zurück. Kehl tätigte infolge der Erkrankung Hallers noch einen Nottransfer und verpflichtete Anthony Modeste.
Für den bundesligaerfahrenen Stürmer legte der BVB viel Geld auf den Tisch, zahlte inklusive Handgeld und Gehalt kolportierte zehn Millionen Euro für eine Saison mit Modeste, in der er vor allem unter Beweis stellte, dass er das hohe Niveau in Dortmund nicht halten kann. Nach 28 Spielen mit nur zwei Toren für den Verein verließ Modeste den BVB nach nur einer Spielzeit wieder ablösefrei.
7. Felix Nmecha
Auf Sebastian Kehl wartete bei Amtsantritt nicht nur die Herausforderung, Erling Haaland zu ersetzen, sondern ein Jahr später auch noch Jude Bellingham. Kehl hatte immerhin zwölf Monate Zeit, um sich auf den bevorstehenden Abgang des Engländers vorzubereiten. Die Lösung des Dortmunder Sportdirektors lautete schließlich Felix Nmecha.
Der Mittelfeldspieler kam für teures Geld aus Wolfsburg, kostete 30 Millionen Euro Ablöse, ohne dass er vorher über einen längeren Zeitraum auf sich aufmerksam machen konnte. Zur Zerreißprobe wurde die Verpflichtung Nmechas vor allem deshalb, da der Youngster in der Vergangenheit immer wieder mit religiös motivierten Beiträgen auffiel, die extrem konservative Werte und Queerfeindlichkeit aufwiesen. Die BVB-Fans hatten wenig Verständnis dafür, dass der Verein einen solchen Spieler unter Vertrag nimmt.
Auch Sportlich konnte Nmecha die hohe Ablöse bis heute nicht rechtfertigen. Der 24-Jährige hat häufig Fitnessprobleme und ist enorm Verletzungsanfälligkeit, bekommt daher keine Konstanz in sein Spiel. Gute Ansätze sind da, das ist für eine Mega-Ablöse von 30 Millionen Euro aber schlichtweg zu wenig.
8. Yan Couto
Yan Couto ist gerade einmal ein gutes halbes Jahr in Dortmund und kann jetzt schon als ganz großes Missverständnis bilanziert werden. Da die Kaufpflicht für den Brasilianer bereits gegriffen hat, ist klar, dass Couto den BVB 24 Millionen Euro Ablöse gekostet hat. Angesichts seiner Leistungen ein absurder Preis.
Couto hat noch nicht ein einziges gutes Spiel für den BVB abgeliefert und ist sportlich mittlerweile komplett hintendran. Das Problem ist: Couto wurde für die rechte Schiene geholt, der damalige Trainer Nuri Sahin spielte jedoch mit Viererkette. Couto fand überhaupt nicht ins Dortmunder Spiel und wurde schlichtweg am Bedarf vorbei verpflichtet. Aus dieser Nummer wird der BVB nicht mehr heraus kommen - es bahnt sich ein massives Verlustgeschäft an.
9. Maximilian Beier
Selbiges gilt für Maximilian Beier. Natürlich ist der Stürmer noch jung, doch als bundesligaerfahrener Nationalspieler, der 30 Millionen Euro Ablöse kostet, ist eine lange Eingewöhnungszeit ein Luxus, den sich ein Verein wie der BVB nicht leisten kann.
Beier fremdelt auch nach über einem halben Jahr mit der Mannschaft und kommt regelmäßig nur als Joker zum Einsatz. Zumal auf völlig verschiedenen Positionen, meist auf dem Flügel. Auch hier muss man klar sagen: Kehl hat Beier völlig am Bedarf vorbei verpflichtet und weitere 30 Millionen Euro in den Sand gesetzt.
10. Niklas Süle
Für den ablösefreien Transfer von Niklas Süle wurde Sebastian Kehl zunächst gefeiert. Süle, der ein stolzes Handgeld und ein üppiges Jahresgehalt vom BVB angeboten bekam, konnte die hohen Erwartungen aber nie erfüllen.
Kehl ging mit Süle ins Risiko, das sich nicht ausgezahlt hat. Dass der BVB über zwei Jahre später immer noch auf dem Mega-Gehalt Süles sitzt, ist ein Versäumnis, das Kehl anzukreiden ist. Dieses Missverständnis hätte viel früher beendet werden müssen.
Kehl-Transfers beim BVB: Fazit
Die Flops von Sebastian Kehl überlagern ganz klar die Tops, zumal die Transfer von Serhou Guirassy oder Nico Schlotterbeck absolute No-Brainer-Deals waren, die jeder andere Bundesliga-Sportdirektor mit diesen Möglichkeiten auch getätigt hätte. Einzig bei den Transfers von Julian Ryerson und Alexander Meyer konnte Kehl positiv überraschen - etwas, das seinen Vorgänger Michael Zorc ausgezeichnet hat.
Kehl, das lässt sich nach zweieinhalb Jahren festhalten, mangelt es bei der Kaderzusammenstellung an Kreativität und Fantasie. Der Dortmunder Sportdirektor konzentriert sich auf mittelmäßig bis gute Bundesliga-Spieler und hofft auf eine schnelle Anpassung dieser Profis. Einen Ertrag, ob sportlich oder finanziell, hat Kehls Transferpolitik bisher nicht gehabt.
Kehl hat in zweieinhalb Jahren eine Mannschaft zusammengestellt, die qualitativ der derzeitigen Platzierung entspricht und in der Breite viel zu dünn aufgestellt ist. Es wurde am Bedarf vorbeigekauft, wodurch der BVB nun zahlreiche unbrauchbare Spieler im Kader hat, die sich nicht einmal ins Schaufenster stellen können. Nicht erwähnt ist in diesem Text zudem das letzte Transferfenster, bei dem Kehl sich völlig unvorbereitet präsentierte und die Fehler des Sommers überhaupt nicht zu korrigieren wusste.
Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass ein genauerer Blick auf die Transfers unter Sebastian Kehl massive Defizite bei der Kaderplanung offenlegt. Kehls Job in Dortmund dürfte angesichts dessen mindestens vakant sein.
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