Talente-Killer oder Entwicklungsverein? Der Status Quo beim FC Bayern nach mächtigen Eberl-Ansagen

Die Münchner haben in der Winterpause mit Mathys Tel und Adam Aznou zwei Talente angesichts fehlender Spielpraxis verliehen. Junge Spieler haben es auch unter Vincent Kompany schwer. Kann der von Max Eberl angekündigte Kurs überhaupt umgesetzt werden?
Jamal Musiala und Alphonso Davies haben in jungen Jahren den Durchbruch geschafft.
Jamal Musiala und Alphonso Davies haben in jungen Jahren den Durchbruch geschafft. / Jürgen Fromme - firo sportphoto/GettyImages
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Der FC Bayern ist zumindest was die Bundesliga angeht, der Krösus schlechthin. Die Münchner verfügen über finanzielle Ressourcen, von denen selbst die schärfsten Konkurrenten wie Leverkusen und Dortmund nur träumen können. Verglichen mit den ganz reichen Premier-League-Klubs wie Manchester City oder Scheich-Klub Paris-Saint Germain sind die Mittel der Roten allerdings beschränkt. Die Causa Florian Wirtz zeigt das eindrucksvoll.

Die Bayern-Verantwortlichen sind sich dessen im Klaren und wollen ihr grundsätzliches Handeln entsprechend anpassen. Dazu zählt das Credo, nicht zwingend fertige Stars zu kaufen, sondern auf junge und entwicklungsfähige Spieler zu setzen und den eigenen Campus zu stärken. 

Große Ankündigungen von Eberl: "Fokus geht auf den Campus und die Jugend"

"Gute Jungs brauchen Chancen. Es müssen Wege neu gedacht werden. Der Fokus geht künftig noch mehr auf den Campus und auf die Jugend", schilderte Max Eberl noch in der vergangenen Sommerpause. Es gehe darum, "zu evolutionieren, nicht zu revolutionieren". Man müsse "die Talente, die in den nächsten fünf bis sechs Jahren das Gesicht des Vereins prägen könnten, verstärkt in den Profikader integrieren".

Galt Ex-Coach Thomas Tuchel nicht als großer Jugend-Förderer, sollte die Verpflichtung von Vincent Kompany helfen, hierbei Fortschritte zu machen. "Wir wollen gute Spieler finden und entwickeln. Wir sind der passende Verein mit dem passenden Trainer, der passenden Philosophie und dem passenden Umfeld. Alles trägt dazu bei, dass sich junge Spieler bei uns gut entwickeln können", kündigte Eberl an. 

Der FC Bayern hat im Jahr 2017 70 Millionen Euro in den eigenen Campus gesteckt, in der Hoffnung, eines der besten fünf Leistungsnachwuchszentren in Europa geschaffen zu haben. Folgerichtig hoch ist auch die Erwartungshaltung. "Wir brauchen wieder mehr Statement-Spieler made by Bayern", forderte Präsident Herbert Hainer, während Uli Hoeneß nach "mehr Thomas Müllers" lechzte. 

Trotz all dieser Ankündigungen und Reden hat der FC Bayern es nie geschafft, das Image des Talente-Killer-Vereins loszuwerden. Den Münchnern wird vorgeworfen, jungen Spielern - egal ob aus dem eigenen Campus oder für teilweise viel Geld verpflichtet - wenig Chancen zu gewähren. Ein Blick auf die letzten Jahre liefert natürlich einige Beispiele dafür, was bei vielen anderen europäischen Top-Klubs aber nicht großartig anders ist.

Doch was ist der FC Bayern nun? Eine Top-Anlaufstelle für Talente oder doch vielmehr eine Karriere-Sackgasse für vielversprechende Youngster?

Müller und Schweinsteiger zeigen, dass es geht

Nun gilt es mehrere Aspekte genauer zu durchleuchten. Zunächst gilt es festzustellen, wie viele Talente den Durchbruch tatsächlich geschafft haben. Zu nennen wären Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller, die sich ohne Umweg schon in jungen Jahren einen Stammplatz sichern konnten. Philipp Lahm gelang das nach einer Leihe, was auch auf David Alaba und Toni Kroos zutrifft, die jedoch erst als Teenager nach München kamen. Nach einigen Jahren Leerlauf gelang Alphonso Davies in der Saison 2019/20 der Durchbruch, kurz darauf tat es ihm Jamal Musiala gleich. Aktuell ist Aleksandar Pavlovic drauf und dran, sich langfristig festzusetzen. 

Die genannten Namen zeigen zwar, dass man es auch als Youngster beim FC Bayern packen kann, jedoch reden wir hier auch von einer Zeitspanne von rund 20 Jahren. 

Immer wieder Fehleinschätzungen: Bayern patzen bei Hummels und Gravenberch

Nun alle Talente-Namen zu nennen, die es beim FC Bayern nicht gepackt haben, würde in einer Endlos-Liste münden. Klar ist allerdings, dass der überwiegende Teil heiß gehandelter Youngster auch im Nachgang nicht das liefern konnte, was den Ansprüchen der Bayern gerecht werden würde. Viel wichtiger zu beachten sind die Talente, die durchgestartet sind, nachdem der FC Bayern sie abgegeben hat. 

Einer der folgenschwersten Fehler war es gewiss, Mats Hummels an Dortmund zu verkaufen, der dort als junger Innenverteidiger prompt durchstartete und den Münchnern zweimal die Schale wegschnappte. Zu nennen wäre zudem Toni Kroos, der zum Wechsel-Zeitpunkt nach Madrid zwar schon mehr war als nur ein Talent, vom FC Bayern aber noch nicht als gestandener Top-Spieler angesehen wurde. Zudem haben die Münchner Pierre-Emile Hojbjerg früh vom Hof gejagt, der im Anschluss eine beachtliche Karriere auf der Insel hinlegen konnte. 

Als aktuelle Beispiele dienen gewissermaßen Ryan Gravenberch, Angelo Stiller und Malik Tillman. Insbesondere Gravenberch ist beim FC Liverpool inzwischen ein absoluter Stammspieler und Leistungsträger. Bedenkt man, wie wenig Chancen der Niederländer in München bekommen hat, bleiben hier einige Fragen offen. Stiller und Tillman hätten es wohl beim FCB nach wie vor schwer, jedoch stimmt es verwunderlich, dass sie nie richtige Gelegenheiten erhalten haben. 

Zwar sprechen wir hier in den vergangenen 15 Jahren auch nur von einer guten Handvoll Spielern, jedoch scheint sich der Trend zu verstärken, dass sich die Bayern vorschnell von talentierten Youngster trennen. Insbesondere bei Mathys Tel läuft der Klub Gefahr, sich erneut richtig zu verbrennen. Der Franzose erhält nun bei den Spurs das Vertrauen und konnte schon in seinem zweiten Pflichtspiel knipsen. 

Kompany kein Talente-Förderer: Das unterscheidet Bayern von Barça

Nach einem guten halben Jahr Vincent Kompany lässt sich jedenfalls festhalten, dass es die jungen Spieler nicht leichter haben als zuvor unter Thomas Tuchel. Bände spricht dafür nicht nur der Abschied von Tel, sondern beispielsweise auch die Leihe von Adam Aznou. Der Marokkaner hat schon starke Länderspiele absolviert und gilt als absoluter Hoffnungsträger für die Zukunft. Angesichts der vielen Verletzungen auf der Rechtsverteidiger-Position wäre es durchaus möglich gewesen, Aznou verstärkt reinzuwerfen. 

Kurioserweise kommt Aznou ausgerechnet vom FC Barcelona, der eine ganz andere Talente-Strategie fährt. Bei den Katalanen werden die begnadeten Kicker aus der legendären Schmiede La Masia regelmäßig ins kalte Wasser geworfen. Denken wir nur an Lamine Yamal, Pau Cubarsi oder Gavi. Zwar sind das auch allesamt Ausnahmekönner, die wohl bei jedem Klub durchgestartet wären, jedoch bleiben eben auch noch Spieler wie Marc Casado, Fermin Lopez oder Alejandro Balde, die sicherlich nicht überall das Vertrauen erhalten hätten. 

Beim FC Bayern mussten die meisten Trainer recht schnell erkennen, dass sie auf Anhieb Punkte und Titel holen müssen. Deswegen setzten sie auch nur auf die Youngster, die eben auch auf Anhieb funktionierten, ohne Fehler zu machen. Einzig und alleine Louis van Gaal wich vom Kurs ab, indem er Müller und Badstuber zu Stammspielern machte und Schweinsteiger in eine zentrale Position schob.

Bischof und Urbig reif genug für Bayern-Wechsel?

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass es schon jede Menge Mut und Selbstvertrauen benötigt, um als Youngster beim FC Bayern zu unterschreiben. Mit Jonas Urbig und Tom Bischof haben erst kürzlich zwei deutsche Top-Talente allen Risiken zum Trotz unterzeichnet. Wie oben beschrieben, haben es mit Davies, Musiala und Co. nur wenige Youngster bei den Profis geschafft, jedoch handelte es sich hierbei auch ausschließlich um Akteure, die mit spätestens 18 Jahren nach München gekommen sind. Bischof (19) und Urbig (21) sind ein wenig älter und erfahrener.

Die Vergangenheit und Gegenwart zeigt, dass sich Spieler, die mit Anfang 20 zum FCB gewechselt sind, oft als Volltreffer erwiesen haben. Zu nennen wären neben dem aktuellen Beispiel Michael Olise, unter anderem Joshua Kimmich, Thiago, Kingsley Coman, Franck Ribery oder mit Abstrichen auch Leon Goretzka, Serge Gnabry und Dayot Upamecano. 

Der FC Bayern ist eben auch kein Verein, der fertige Weltstars wie Harry Kane Jahr für Jahr an Land ziehen kann. Den Münchnern ist also schon zu bescheinigen, junge Spieler zu verpflichten und zu entwickeln. Allerdings scheut man sich davor, Campus-Jungs oder noch enorm unerfahrenen Spielern das Vertrauen zu schenken. Dies ist den Ausnhamekönnern wie Musiala vorenthalten. Ansonsten scheint der FC Bayern am besten damit zu fahren, junge Spieler, die schon ein wenig Erfahrung auf Top-Niveau gemacht haben, zu holen und zur absoluten Weltspitze zu führen. 

Bayern ein Klub für Talente? Die Entwicklung zeigt dies nicht

Ganz so weit ist der Klub also eigentlich gar nicht von den Forderungen Eberls entfernt. Trotz allem wäre es sicherlich wertvoll, mehr eigene Jungs vom Campus zu den Profis hochzuziehen und mehr Geduld bei jungen Spielern walten zu lassen. Diese hatte man zuletzt bei Gravenberch und Tel nicht, was Eberl angesichts seiner Worte eigentlich ja nicht schmecken dürfte.

Was sich nämlich definitiv nicht andeutet, ist, dass der FC Bayern mehr und mehr auf Talente bauen möchte. Die Entwicklung geht eher in die andere Richtung. Es bleibt aber eben auch dabei, dass den Münchnern als Top-Klub ein wenig die Hände gebunden sind, weil jede Niederlage oder kleine Schwächephase mächtig Drama auslöst. 


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