Pro & Kontra: Braucht es Kimmich & Goretzka als Doppelsechs auch im DFB-Team?
Von Dominik Hager

Es ist nicht lange her, als Joshua Kimmich und Leon Goretzka als Anführer einer gescheiterten Generation im DFB-Team heftig kritisiert worden sind. Während Kimmich von seiner Lieblingsposition im Mittelfeld weichen musste, wurde Goretzka im gesamten EM-Jahr 2024 komplett außen vor gelassen. Inzwischen ist Kimmich Kapitän der Nationalmannschaft und Goretzka der gefeierte Rückkehrer. Die beiden 30-Jährigen brillierten mit Top-Leistungen gegen Italien und zeigten sich im Zusammenspiel immer wieder gefährlich. Dabei spielten sie anders als im Verein nicht mal gemeinsam auf der Doppelsechs.
Besiegelte die Rückkehr von Toni Kroos ins Nationalteam vor einem Jahr noch das vorläufige Ende von Kimmich und Goretzka auf der Doppelsechs, gibt es nun wieder sehr gute Argumente dafür, dem Bayern-Duo in Hinblick auf die WM 2026 das Vertrauen auf dieser so wichtigen Position auszusprechen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch ebenso gute Gründe dafür, genau das nicht zu tun.
Pro 1: Kimmich und Goretzka kennen sich in- und auswendig
Joshua Kimmich und Leon Goretzka sind aktuell im Verein im zentralen Mittelfeld gesetzt und haben als Partner unglaublich viele große Spiele bestritten. Wie gut die beiden miteinander harmonieren können, sieht man nicht nur aktuell beim FC Bayern, sondern war auch im Länderspiel gegen Italien klar zu erkennen. Natürlich kann ein Team noch mehr vom blinden Verständnis der beiden profitieren, wenn sie direkt nebeneinander agieren. Folgerichtig darf die Frage erlaubt sein, ob es dann noch Sinn ergibt, zwei Spieler aus unterschiedlichen Vereinen zu nehmen. Bis jetzt hat sich jedenfalls noch kein anderes Duo einspielen können, weil wahlweise Robert Andrich, Pascal Groß, Aleksandar Pavlovic und Angelo Stiller in verschiedenen Konstellationen eingesetzt worden sind.
Pro 2: Große Spiele werden im zentralen Mittelfeld entschieden
Das zentrale Mittelfeld ist in den meisten großen Spielen ein ganz entscheidender Faktor. In der Feldmitte wird entschieden, welches Team den Ton angibt und welches hingegen in den Zweikämpfen immer wieder zu spät kommt und in die Defensive gedrängt wird. Folgerichtig ist es auch besonders wertvoll, die besten Akteure in einer zentralen Rolle zu haben. Derzeit ist Joshua Kimmich definitiv einer der Top-Spieler in Deutschland und könnte in einer zentralen Rolle mehr Einfluss auf das Spiel nehmen. Spielt anstelle von Kimmich ein Spieler im Mittelfeld, der weniger Qualität besitzt, fällt dies mehr ins Gewicht als auf der Außenverteidiger-Position. Goretzka ist ebenfalls ein Spielertyp, der gerade in großen Spielen im Mittelfeld zu gefallen weiß. Der 30-Jährige bringt einfach die nötige Laufstärke, Physis und Entschlossenheit mit, um in solchen Partien wichtig zu sein.
Pro 3: Alter von Kimmich womöglich ein Problem für hinten rechts
Sind Zentrumspieler mit 30 Jahren genau in ihrer Prime, trifft das auf Außenverteidiger und Flügelspieler im Allgemeinen nicht mehr unbedingt zu. Hier kommt schließlich die Sprintgeschwindigkeit und Wendigkeit besonders zum Tragen. Dies sind Komponenten, die im fortgeschrittenen Fußballer-Alter ab einem gewissen Zeitpunkt abnehmen können. Kimmich hat für einen Außenverteidiger ohnehin schon ziemliche Tempo-Defizite, macht diese aber ganz gut mit seiner Mentalität und seinem Fußball-IQ wett. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es bis zur nächsten WM noch fast eineinhalb Jahre sind. Demnach besteht durchaus die Gefahr, dass Kimmich weiter an Tempo verliert und das dann nicht mehr so gut kompensieren kann.
Kontra 1: Keine Alternative hinten rechts
Die Rechtsverteidiger-Position ist eigentlich schon seit dem Karriereende von Philipp Lahm ein Problem, jedoch war dieses noch nie so eklatant wie aktuell. Das verletzungsbedingte Fehlen von Benjamin Henrichs macht sich bemerkbar, der zumindest einen soliden Part hinten rechts hätte spielen können. Alternativen sind derzeit kaum zu finden und auch nicht wirklich in Sicht. Folgerichtig hat Nagelsmann auch keinen weiteren Rechtsverteidiger nominiert. In der Bundesliga drängen sich Mitchell Weiser und Ridle Baku wohl noch am ehesten auf, jedoch sind beide eher Schienenspieler als klassische Rechtsverteidiger. Andere mögliche Optionen wie Josha Vagnoman konnten zuletzt auch nicht überzeugen. Zieht man Kimmich von rechts hinten ins Mittelfeld, hat man eine eklatante Lücke in der Abwehrkette.
Kontra 2: Stiller und Pavlovic fußballerisch stärker als Goretzka
Wie bereits erwähnt, gibt es rechts hinten kaum Spieler, die ansatzweise die Qualität für die Nationalmannschaft mitbringen. Im zentralen Mittelfeld ist die Situation ein bisschen anders. Zwar steht kein Spieler der Marke Toni Kroos oder Ilkay Gündogan mehr zur Verfügung, jedoch ist die Auswahl nicht gerade gering. Neben den erfahrenen Optionen wie Robert Andrich und Pascal Groß, wären da ja auch noch die Youngster Aleksandar Pavlovic und Angelo Stiller. Beide können frischen Wind ins Spiel bringen und sind fußballerisch beschlagen. In Sachen Technik und Passspiel übertreffen sie Goretzka deutlich. Dies könnte schon dazu führen, dass das deutsche Spiel feiner wird, wenn Stiller oder Pavlovic mit dabei sind. Kommen die beiden Talente in Richtung WM 2026 noch besser in Fahrt, könnten sie in Sachen Qualität an Goretzka vorbeiziehen. Folgerichtig bestände die Möglichkeit, Stiller oder Pavlovic an die Seite von Kimmich zu stellen. Genauso gut wäre aber ein Duo Pavlovic/Stiller mit Goretzka denkbar, damit Kimmich rechts hinten bleiben könnte. Goretzka ist jedenfalls ein Spielertyp, der an der Seite von Pavlovic oder Stiller funktionieren kann. Ist einer der beiden bis 2026 reif genug, um den Spielaufbau auf höchsten WM-Level zu schmeißen, dürfte das Duo Kimmich und Goretzka der Vergangenheit angehören.
Kontra 3: Flankenstärke von Kimmich
Joshua Kimmich ist zwar kein typischer Flügelflitzer, weiß aber seine Stärken dennoch einzusetzen. Zu diesen Qualitäten gehören definitiv seine Flanken. Die Halbfeldflanke auf den Kopf von Tim Kleindienst hat dies erst gegen Italien wieder bewiesen. Kimmich weiß einfach, wie er den Kopf seiner Mitspieler mit präzisen Bällen findet. Wenn dann ein Tim Kleindienst vorne steht und ein Leon Goretzka nach vorne prescht, macht sich das doppelt bezahlt. Nicht umsonst besagt eine Statistik, dass Kimmich seit seinem DFB-Debüt 48 Prozent der Kopfballtore des Teams vorbereitet hat. Aktuell ist nicht absehbar, dass ein anderer Rechtsverteidiger ähnlich gute Hereingaben in die Mitte bringen kann. Demnach muss man sich schon zweimal überlegen, ob man auf die Flanken von Kimmich verzichten kann. Diese kann er punktuell natürlich auch als zentraler Mittelfeldspieler liefern, jedoch definitiv nicht so häufig wie als Rechtsverteidiger.
Fazit:
Aktuell ist es fast unmöglich vorauszusagen, ob Kimmich und Goretzka in Hinblick auf die WM die richtige Wahl darstellen. Sollte sich eine akzeptable Lösung für die rechte Abwehrseite finden und Pavlovic und Stiller leistungstechnisch nicht durch die Decke schießen, wären die beiden 30-Jährigen wohl die richtige Wahl fürs zentrale Mittelfeld. Pascal Groß und Robert Andrich reißen schließlich aktuell auch keine Bäume aus. Jedenfalls müsste man sich mit Kimmich und Goretzka auf einer Schlüsselposition keine Sorgen machen. Auf der anderen Seite ist es aktuell aber einfach so, dass kein anderer klassischer Rechtsverteidiger DFB-Elf-Niveau und eine entsprechende Form besitzt. Sollte sich Stiller noch steigern oder Pavlovic nach seiner Erkrankung wieder bei 100 Prozent sein, sind beide die deutlich besseren Alternativen als alle optionalen Rechtsverteidiger. Für Julian Nagelsmann heißt es nun einfach die Entwicklung abzuwarten.
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