Niederlande-Kritik an van Gaal: Hat die Elftal ihre Fußball-Identität verloren?
Von Yannik Möller
Die Niederlande ist durch Louis van Gaal mit viel Selbstbewusstsein und mit einer guten Stimmung in der Mannschaft in die Weltmeisterschaft gegangen - und ohne den 'Totaal Voetbal', wofür die Nation eigentlich steht. Weil es schlussendlich keinen Erfolg gab, ist die Kritik am scheidenden Bondscoach deutlich zu vernehmen.
Kaum ein Nationaltrainer war vor und auch während der Weltmeisterschaft so deutlich in seinen Aussagen, das Turnier auch gewinnen zu wollen, wie Louis van Gaal. Der Tulpengeneral, wie er hierzulande gerne genannt wird, ist für selbstbewusste und markante Aussagen bekannt. So verwunderte es nicht, dass er klar seine Meinung vertrat, dass die Elftal diese WM auch gewinnen kann.
Und tatsächlich sah es zwischenzeitlich so aus, als gäbe es diese Chance. Denn obwohl Oranje spielerisch nicht unbedingt mit Zauberfußball und absoluter, spielfreudiger Dominanz überzeugen konnte, wurde abgeliefert. Zudem schien die Mannschaft eine gute Stimmung aufrechterhalten zu können. Daran war schon so manche niederländische Auswahl gescheitert.
Das Aus gegen Argentinien, im Elfmeterschießen des Viertelfinals, schmerzt umso mehr. Denn so mutig und selbstbewusst das Team und vor allem ihr Trainer auch auftrat, so bleibt von diesem Turnier nichts.
Die Elftal zeigte keinen 'Totaal Voetbal' - was in der Niederlande für Kritik sorgt
Ein Erfolg war diese Katar-WM für die Niederlande nicht. Und nun, da van Gaal das Nationalteam auch nicht ins Halb- oder gar ins Finale hat coachen können, wird die Kritik in der Heimat laut: Schließlich hatte man sich von den niederländischen Idealen im Fußball abgewandt, während kein Erfolg eingestrichen werden konnte.
Doch um diese Kritik überhaupt verstehen zu können, muss man einen kleinen Geschichts-Exkurs vornehmen. Die Nation ist für den Ansatz des 'Totaal Voetbal' bekannt. Es ist der 'totale Fußbal', der aus den 1970er Jahren stammt und vor allem auf Ajax Amsterdam und eben die Nationalmannschaft zurückzuführen ist.
Kurzum: Ein dominanter, unterhaltsamer und aktiver Spielstil, der zumeist mit dem 4-3-3 als Grundordnung in Verbindung gebracht wird. Johan Cruijff ist wiederum der Name, der damit mit am meisten assoziiert wird. Es ist eine fußballerische Identität, die nicht nur Jahrzehnte und somit viele Turniere, sondern auch zahlreiche Trainer überdauert hat.
Nun war es aber nicht van Gaal, der von dieser Spielidee abkehrte und primär auf ein 3-5-2 setzte. Frank de Boer war es, der diesen Umbruch anführte. Schon bei der letzten Europameisterschaft erntete er dafür viel Kritik. van Gaal hingegen übernahm die Mannschaft und sah es weder als notwendig noch als zielführend an, diesen Spielansatz etwas mehr als ein Jahr vor der WM wieder einzukassieren und alles über den Haufen zu werfen.
Vorwurf an van Gaal: Bondscoach hat die Fußball-Identität "verschachert" - und blieb zugleich erfolglos
Entsprechend hielt der 71-Jährige an diesem Ansatz mehr oder weniger fest. Die Kritik aus der Heimat liest sich teils drastisch. Die Voetbal International etwa schreibt (via oranjefussball): "van Gaal wollte so sehr Weltmeister werden, dass er dafür die Kernwerte des niederländischen Fußballs, des offensiven, abenteuerlichen und kreativen Spiels, verschacherte. Unter ihm hat Oranje vielleicht kein Spiel verloren, dafür aber sein Image."
Weiter heißt es: "Wenn du all deine Werte für das Ergebnis über Bord wirfst, musst du auch Weltmeister werden. Gelingt das nicht, bist du gescheitert. Als Niederlande hast du eine Kultur zu pflegen, mit der niederländische Spieler und Trainer zu Exportschlager wurden."
Diese Kritik hat einen wahren Hintergrund - wenngleich sie auch recht harsch ist. Die Niederlande hat zu 'ihrem' Fußballstil eine besondere Beziehung. Es ist nahezu ein Kulturgut, das gehegt und gepflegt werden möchte. Wird es beiseite geschoben, wie von de Boer praktiziert und von van Gaal übernommen, dann muss damit zwangsweise auch Erfolg einhergehen.
Und das war nun einmal nicht der Fall. Oranje hat es verpasst, sich gegen Argentinien durchzusetzen und ins Halbfinale einzuziehen. Obwohl sich der Bondscoach in den Tagen vor dem Spiel schon sehr sicher war.
Das macht die Entscheidung des Trainers, innerhalb von einem Jahr nicht die vollumfängliche Umkehr der eingeleiteten Stil-Änderung eingeleitet zu haben, aber nicht grundsätzlich falsch. Natürlich spielt nun auch das Ausscheiden und der damit einhergehende Frust und die Enttäuschung eine Rolle bei der Bewertung des Coaches. Wäre das Elfmeterschießen gut verlaufen und die Elftal würde im Halbfinale stehen, wären derartige Stimmen (noch) nicht laut geworden.
Und dennoch ist es sehr interessant zu sehen, welch eine große Rolle doch die eigene Fußball-Identität bei einer ganzen Nation spielen kann.