WM 2022: Das Marionetten-Theater Katars
Von Marc Knieper
Ein Jahr vor dem Startschuss der WM 2022 gleicht die Situation in Katar noch immer einem Marionetten-Theater. Der Golfstaat möchte den Menschen in aller Welt schöne Bilder liefern und kehrt dafür all die existierenden Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen hinter eine Fassade. Ein Kommentar.
Katar gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Eine gute Voraussetzung für die Austragung einer Weltmeisterschaft, will man meinen. Die nackte Wahrheit sieht aber auch ein Jahr vor WM-Beginn gänzlich anders aus. Das Emirat ist und bleibt ein Überwachungsstaat ohne Presse- und Meinungsfreiheit.
Die Berichterstattung über die absurde Situation der über zwei Millionen Gastarbeiter fällt den Journalisten ziemlich schwer. Die Sportschau schafft es seit über zwei Jahren trotzdem immer wieder erfolgreich, die Missstände vor Ort aufzudecken.
Katar verstößt gegen Arbeitsstandards
Bereits im Mai 2019 klagten Gastarbeiter über abgenommene Reisepässe und verspätete Gehaltszahlungen von bis zu acht Monaten. Auch die FIFA gab zu, dass gegen internationale Arbeitsstandards verstoßen wurde.
Bei einem zweiten Besuch reist Autor Benjamin Best nicht etwa verdeckt, sondern als offenkundiger Journalist nach Katar. Eine offizielle Führung durch ein Arbeitercamp zeigt auf, dass sich die Wohnbedingungen verbessert haben sollen. Tatsächlich gibt es hier und da Schrauben, an denen die Kataris gedreht haben.
Doch beim Thema Lohn sind die Arbeiter weiter unzufrieden. Sie schuften für einen umgerechneten Stundenlohn von etwa zwei Euro. Das ist in Katar zwar das Doppelte des gesetzlichen Mindestlohns, dennoch - und vor allem für die harte Arbeit - zu wenig.
Das grundsätzliche Problem: Es gibt sehr viele Subunternehmen, die die Arbeiter teils noch schlechter bezahlen. Die Regierung verfolgt nicht, welche Unternehmen die Gesetze einhalten und welche Unternehmen dagegen verstoßen.
Mehr Schein als Sein: Die absurde PR-Strategie Katars
Für Katar geht es ohnehin nur um eine PR-Strategie. Darum, dass die Welt positiv auf Katar blickt - unabhängig davon, wie schlecht es WM-Arbeitern wirklich geht. Die Situation erscheint wie ein Marionetten-Theater. Den Medien wird eine heile Welt vorgegaukelt. Besucht man die Arbeiter privat, so sieht man, dass die Dinge ganz anders ablaufen.
Die Gesundheit der Arbeiter spielt überhaupt keine Rolle. Seit dem Jahr 2010, in dem die WM an Katar vergeben wurde, sind laut Guardian über 6.500 Menschen gestorben. Viele von ihnen stammen aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka. Sind sie tot, werden sie im Sarg und per Flugzeug zurück zu ihren Angehörigen transportiert.
Als Todesursache werden häufig vage Herzfehler benannt. Die Devise der Regierung: Abhaken und weiter. Ach ja, und wenn ein Arzt den Arbeitern eine Krankschreibung wegen einer potenziell lebensbedrohlichen Krankheit erteilt, wird dieser von den Unternehmen bedroht. Welch eine kranke Welt!
Kommentar: WM muss Grenzen der Kommerzialisierung aufzeigen!
Die Stadien sind so gut wie fertig. Für den Bau dieser Millionen-Schuppen kamen über 6.500 Menschen ums Leben. Viele weitere bekommen kaum oder gar kein Geld, werden quasi mit den Füßen getreten und bangen darum, ihre Familien zu Hause irgendwie finanziell versorgen zu können.
Knapp ein Jahr vor WM-Beginn versucht die katarische Regierung trotz Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen weiterhin, ihr Land in gutes Licht zu rücken. Doch es kann einfach nicht wahr sein, wie stark in Katar Menschenrechte und demokratische Werte mit Füßen getreten werden.
Wie müssen sich die Spieler, Funktionäre und Zuschauer fühlen, wenn sie bemerken, dass genau für dieses eine Event, bei dem sie sich gerade befinden, Hunderte oder gar Tausende Menschen gestorben sind? Und wie soll man sich etwas anschauen, bei dem man wissentlich weiß, dass Familien ihre Väter verloren haben, beim bloßen Versuch sie zu ernähren?
Bleibt nur zu hoffen, dass die WM in Katar endlich aufzeigt, dass die Kommerzialisierung des Sports ihre klaren Grenzen hat - und zwar spätestens dann, wenn Menschen(leben) darunter leiden.
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