Wieder einmal Neubeginn beim HSV: Diese Spieler sollte der Klub halten
Von Guido Müller
Der Hamburger SV steht nach dem abermaligen Verpassen des Aufstiegs in die Bundesliga erneut vor einem Umbruch. Finanziell wird man durch den Wegfall zweier Sponsoren (Kühne, Emirates) auf jeden Fall den Gürtel enger schnallen müssen. Dennoch soll Daniel Thioune ein entwicklungsfähiges Team zur Verfügung gestellt werden. Welche Spieler aus dem aktuellen Kader kämen dafür eigentlich in Frage?
Neun Spieler haben den HSV seit Saisonende bereits verlassen. Doch der Klub ließ sich ein Hintertürchen offen und bezeichnete es als "nicht ausgeschlossen, dass sich die Wege mit dem ein oder anderen Spieler im Rahmen einer erneuten Zusammenarbeit nochmals kreuzen werden."
Dies sagte er konkret zu den Abgängen von Jairo Samperio, Timo Letschert, Christoph Moritz und Kyriakos Papadopoulos, deren Verträge am 30. Juni endeten. Bezüglich der fünf Leihspieler (Adrian Fein, Joel Pohjanpalo, Jordan Beyer, Martin Harnik und Louis Schaub) bediente sich der Klub einer ähnlichen Wortwahl.
Von denen, die geblieben sind, kann Stand heute keiner seriös vorhersehen, ob sie auch noch MItte September, zum Saisonstart, für die Rothosen kicken werden. Denn für Transferaktivitäten braucht der HSV wohl auch Erlöse aus Spielerverkäufen. Wir haben uns mal die "Unverzichtbaren" im Kader angesehen. Allzu viele sind es logischerweise nicht.
Zu ihnen gehört auf jeden Fall Julian Pollersbeck. Den Keeper trifft am unbefriedigenden Saison-Kehraus sicherlich die wenigste Schuld. Erst nach dem Spiel beim VfB Stuttgart (am 28. Spieltag) wagte Trainer Dieter Hecking noch mal einen Wechsel im Gehäuse der Rothosen - und auf jeden Fall hat es Pollersbeck seitdem nicht schlechter als Heuer Fernandes gemacht.
In einigen Kategorien wie Strafraumbeherrschung und Spiel mit dem Ball machte er sogar einen stabileren Eindruck als sein Vorgänger. Pollersbecks Vertrag läuft (ebenso wie der vom dritten Torwart, Tom Mickel) im kommenden Jahr aus. In ein letztes Vertragsjahr sollte man mit einem solch talentierten Torwart eher nicht gehen.
Entweder man macht ihn zu Gold, und verkauft ihn noch in diesem Sommer (falls ein unmoralisches Angebot reinkäme) - oder man verlängert in den nächsten Wochen mit dem U21-Europameister von 2017.
Mit Pollersbeck in die Zukunft
Vor Julian Pollersbeck hat sich bis auf die Außenverteidiger, links wie rechts, keiner nachhaltig empfehlen können. Leichte Fehler, die schnell zu Gegentoren führten, zogen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Saison. Nur wurden diese Defizite im ersten Drittel der Saison noch durch überragende Effizienz kaschiert. Als die dann auch nicht mehr da war, entlarvte sich das gesamte Gebilde als riskant zusammengeschustert.
Innenverteidigung stellt sich zur Zeit von selbst auf
Denn vor allem in der Innenverteidigung ist man durch die Enteierung von Papa und dem verspäteten Wettkampfeintritt Ewertons (der bekanntlich schon verletzt nach Hamburg kam, weil er im Heimaturlaub meinte, Beach-Soccer spielen zu müssen) quasi sehenden Auges auf die Wand zugefahren.
Der junge Rick van Drongelen konnte die Verantwortung nicht alleine schultern und verlor mit zunehmender Saisondauer immer mehr an Souveränität. Zu guter Letzt wirkte er genauso so psychisch angeschlagen wie der ganze Rest. "Big Rick" ist nun erstmal bis auf weiteres außer Gefecht gesetzt. Nach seiner schweren Knieverletzung rechnet man im Klub erst für die Rückrunde der kommenden Spielzeit mit ihm.
Sein Landsmann Timo Letschert soll sich, wie jetzt aus dem Umfeld des Klubs zu vernehmen war, zwar bemüht haben, die Chef-Rolle innerhalb der HSV-Defensive zu übernehmen. Seine teils dilettantischen Fehler im Spielaufbau haben dieses Vorhaben aber konterkariert. Auch Letschert wird in Hamburg keiner eine Träne nachweinen.
Stand heute hat der HSV also nur drei gelernte Innenverteidiger zur Verfügung (Ewerton, Jonas David und Stephan Ambrosius) sowie Gideon Jung, der auf dieser Position schon öfter gespielt hat. Zwei gestandene Innenverteidiger sollte der Klub auf jeden Fall noch holen. Diese sollten nach Möglichkeit auch eine klare Steigerung zu dem bestehenden Personal bedeuten.
Neue Chancen für Kittel und Kinsombi - Dudziak wird wohl sowieso gehen
Im Mittelfeld sollte man David Kinsombi auf jeden Fall noch mal eine Chance geben. Bislang haben wir in Hamburg nur eine schlechte Kopie des Spielers gesehen, der bei Holstein Kiel so überzeugen konnte. Auch Sonny Kittel, mit 11 Toren am Ende bester Torschütze der Hamburger, hat vor allem in der ersten Saisonphase viel Spaß gemacht.
Mit insgesamt 18 Scorerpunkten in 31 Spielen hat er eigentlich eine anständige erste Saison für den HSV hingelegt. Das einschränkende "eigentlich" ist natürlich dem Leistungsabfall vor allem nach der Corona-Unterbrechung geschuldet, der Kittel wie die gesamte restliche Mannschaft betraf. Nur noch drei Torvorlagen gelangen Kittel nach dem Neu-Start.
Die Beantwortung der Frage nach dem Warum dieses kollektiven Formabfalls könnte man in der Verpflichtung des neuen Trainers sehen. Für einen Mann seiner Klasse fand Dieter Hecking im Schlussdrittel der Saison zuwenig Antworten auf zu viele drängende Fragen. Ob Daniel Thioune diese Entwicklung stoppen oder gar in die Gegenrichtung lenken kann, bleibt abzuwarten.
Viele würden auch gerne Jeremy Dudziak im nächsten Jahr im Volkspark sehen. Ich bin da etwas zwiegespalten. Zum einen habe ich grandiose Dinge von diesem Spieler gesehen (Dribblings auf engstem Raum, kluge Zuspiele, elegante Ballbehandlung, Tore), die in dieser Form kein anderer im Kader drauf hat. Zum anderen war es aber auch häufig brotlose Kunst, was der Deutsch-Tunesier angeboten hat.
Und es mangelte vor allem an der Konstanz. Überdurchschnittlich gute Auftritte über vier, fünf oder sechs Wochen hinweg habe ich von Dudziak in dieser Saison eben auch nicht gesehen. Eine Ausstiegsklausel in seinem Vertrag könnte für einen Abgang sorgen.
Ich würde den Daumen dafür momentan eher nach oben recken. Ein Wort noch zu Aaron Hunt: der hat sich am Ende mit zwanzig Einsätzen einen neuen Vertrag (1 Jahr) erspielt. Aufgrund seiner Leistungen im Schlussspurt der Saison muss man diesen Umstand eigentlich bedauern.
Wintzheimer, Opoku kehren zurück - und Hinterseer findet hoffentlich wieder in Form
Ganz vorne hat der HSV schon ab initio das Problem einer Kaderleiche. Einer teuren Kaderleiche, die gut und gern, zwei durchschnittliche Jahresgehälter verschlingt. Aber das Problem Bobby Wood ist nun mal da und wird es wohl auch noch bis Sommer 2021 sein. Zwar soll der US-Amerikaner schon seinen Berater gewechselt haben - aber daraus einen zeitnahen Abschied aus Hamburg abzuleiten, wäre verkehrt. Zumal wohl kaum ein Klub das horrende Gehalt des Stürmer zahlen wollen wird. Und wenn Wood nicht freiwillig auf eine Stange Geld verzichtet, sitzt er seinen Vertrag eben noch ein weiteres Jahr aus.
Davon unberührt kommt Aaron Opoku zurück von seiner Leihe nach Rostock. Genauso wie Manuel Wintzheimer aus Bochum. Zusammen mit Lukas Hinterseer hätte man schon ein Trio beisammen, das das eine oder andere Tor erzielen könnte. Einen zuverlässigen Knipser sollte man sich trotzdem noch in den Kader holen.
Einem Talent wie Xavier Amaechi sollte ebenfalls noch eine Chance gegeben werden. Der junge Engländer schien bis langen vor allem an sich selber und seinen Nerven zu scheitern. Das stest unruhige Klima im Klub haben seine Eingewöhnung sicherlich nicht einfacher gemacht.
Graphisch stellt sich der Kreis aus Spielern, die man meiner Meinung nach auf jeden Fall halten müsste, folgendermaßen dar:
TOR: Julian Pollersbeck
ABWEHR: Ewerton, Stephan Ambrosius, Jonas David, Rick van Drongelen (bis Anfang 2021 verletzt)
MITTELFELD: Sonny Kittel, David Kinsombi
STURM: Lukas Hinterseer, Manuel Wintzheimer, Aaron Opoku, Xavier Amaechi
Für alle bisher nicht genannten Spieler (Daniel Heuer Fernandes, Khaled Narey, Bakery Jatta, Josha Vagnoman) plus Gideon Jung gilt: Sollten Angebote für sie eintrudeln, sollte man diese auf jeden Fall prüfen.