Wie der FC Bayern unter Julian Nagelsmann aussehen könnte
Von Dominik Hager
Überraschend schnell und unproblematisch ging der Transfer von Julian Nagelsmann zu den Bayern über die Bühne. Der Klub bestätigte, dass der 33-Jährige das Zepter von Hansi Flick übernehmen wird und einen Vertrag bis 2026 erhält. Bemerkenswert ist bei diesem Deal vor allem die Ablöse, die inklusive Prämien auf bis zu 25 Millionen steigen kann. Zunächst überweisen die Bayern laut Bild-Angaben eine fixe Ablöse im zweistelligen Millionenbereich nach Leipzig. Wir schauen uns schon mal an, wie der Klub mit dem neuen Trainer aussehen könnte.
Für die Münchner ist eine solche Ablöse für einen Coach zwar nicht unbedingt einen Freudenschrei wert, jedoch war das Öffnen des Geldkoffers in dem Fall wohl unvermeidlich. Die Trainerposition ist nun mal elementar für den Erfolg der ganzen Mannschaft. Der Verein muss überzeugt davon sein, dass der Coach einerseits die Fähigkeit besitzt, einen Weltklub zu trainieren, und andererseits in das Anforderungsprofil der Münchner passt.
Kandidaten, die diese beiden Punkte vereinen, sind nur schwer zu finden. Trainer wie José Mourinho und Max Allegri passen nicht ins Bild, weil sie eher für ergebnisorientierten Defensiv-Fußball stehen. Xabi Alonso oder Mark van Bommel kennen zwar den Klub, sind aber auf höchstem Niveau noch unerfahren. Lediglich Ralf Rangnick hätte die nötige Kompetenz mitgebracht, ist aber vermutlich zu sehr Alpha-Tier, um mit den Bayern-Bossen zusammenarbeiten zu können.
Nagelsmann der beste Kandidat? Die Erfolge sprechen für sich
Aufgrund der Tatsache, dass Jürgen Klopp und Thomas Tuchel derzeit nicht verfügbar sind, war Nagelsmann eigentlich die einzige Lösung, bei der auf dem ersten Blick keine Schwachstellen zu erkennen sind. Mit seinen 33 Jahren ist er zwar noch immer extrem jung, jedoch verfügt er schon über mehr als fünf Jahre Bundesliga-Erfahrung.
Bislang war seine Trainerzeit auch fast durchgängig von Erfolgen geprägt. Als der Coach im Februar 2016 die TSG Hoffenheim übernahm, war der komplette Glanz des einst so furiosen Aufsteigers dahin. Der Klub stand tief im Tabellenkeller, ehe Nagelsmann kam und das Team mit 23 Punkten in 14 Spielen doch noch rettete. Im Anschluss ging es auf die Tabellenplätze drei und vier. Vom Abstiegsaspiranten zum Champions-League-Klub: Eine Geschichte, die an Jürgen Klopp beim BVB erinnert.
Seit seinem Wechsel zu Leipzig holte Nagelsmann im Schnitt starke zwei Punkte pro Spiel und erreichte im Vorjahr das Champions-League-Halbfinale. In dieser Saison könnte der junge Trainer seine erfolgreiche Leipziger Zeit mit dem DFB-Pokal-Titel abschließen.
Setzt Nagelsmann auch in München auf die Dreierkette?
Nagelsmann ist jedoch nicht nur erfolgreich, sondern bewegt auch wirklich etwas auf dem Platz. Als er in Hoffenheim übernahm, begann der Klub plötzlich Fußball zu spielen und verstand sich auf dem Platz blind. Nagelsmann gelang es, dass sich jeder Akteur seiner Rolle und Aufgabe im Spiel sicher sein konnte. Auf diese Weise erschienen durchschnittliche Spieler wie Kevin Vogt, Benjamin Hübner, Nico Schulz und Sebastian Rudy auf einmal als Top-Kicker.
Nagelsmann bevorzugt eine Dreierkette mit zwei Schienenspielern, die über die Außen Dampf machen. Diese Formation sorgt vor allem im Aufbauspiel für genügend Optionen und wird vom mittleren Innenverteidiger gelenkt.
Spannend wird sein, ob er seine bevorzugte Formation auch in München durchsetzt. Wirklich gepasst hätte dies, zumindest was das Offensivspiel betrifft, bislang nicht. David Alaba und Jerome Boateng gehören zu den herausragendsten Aufbauspielern der Liga und benötigen keinen dritten Mann neben sich, der eine weitere Option darstellen könnte. Im Gegenteil: Bei einer Dreierkette wäre ein Spieler praktisch verschenkt gewesen.
Im kommenden Jahr werden jedoch Dayot Upamecano, Lucas Hernández oder womöglich auch Niklas Süle die Abwehr bilden. Der Spielaufbau wird also auf einem etwas schwächeren Niveau als zuvor stattfinden.
Wechsel zwischen 3-4-3 und 4-2-3-1? So könnte Nagelsmann die Bayern umkrempeln
Profiteur der Geschichte könnte Alphonso Davies sein, der auf der linken Seite noch mehr offensive Freiheiten hätte. Für die linke Innenverteidigung ist Lucas Hernández wie geschaffen. Das Zentrum würden Niklas Süle oder Dayot Upamecano besetzen, während Benjamin Pavard für die rechte Innenverteidigerposition - genauso wie damals als VfB-Stuttgart-Spieler - eine Rolle spielen könnte. Damit bleibt jedoch fraglich, wer die rechte Position als Schienenspieler abdeckt. Die Möglichkeit bestände, ein leicht asymmetrisches System zu spielen. In Leipzig ist der linke Schienenspieler, Angelino, auch Offensiver als Mukiele auf rechts. Benjamin Pavard ist jedoch auf dem Weg nach vorne zu limitiert, um diese Rolle einzunehmen.
Aus dem derzeitigen Personal kämen also auf der rechen Seite eher Offensivkräfte wie Kingsley Coman oder Serge Gnabry in Frage. Wenngleich Gnabry defensivstärker ist, dürfte die Wahl wohl eher auf Coman fallen, da man Gnabry seinen Zug zum Tor und seine Abschlussstärke zu sehr nehmen würde.
Links müsste man Davies ein wenig defensiver denken lassen. Der Kanadier hätte allerdings die Geschwindigkeit, um bei Ballverlust rasch zurückzueilen und aus der Dreierkette eine Viererkette zu machen. Daraus würde ein Systemwechsel von 3-4-3 mit Ball und dem klassischen 4-2-3-1 gegen den Ball resultieren.
Nagelsmann-Elf mit Ball:
Nagelsmann-Elf gegen den Ball:
Chance oder Risiko? Das unterscheidet Nagelsmann von Flick
Es ist dem 33-jährigen Taktik-Fuchs natürlich auch zuzutrauen, andere Systeme spielen zu lassen, mit denen man derzeit noch nicht rechnet. Nagelsmann hat in der Vergangenheit schon gezeigt, dass er gerne unterschiedliche Kniffe probiert. Gerade in dieser Saison hat er wahlweise komplett auf Stürmer verzichtet, um dann wieder mit den zwei Brechern Poulsen und Sörloth zu agieren. Bei den Bayern findet er mit Lewandowski nun einen kompletten Stürmer vor, der dieses Wechselspiel einschränken dürfte - jedoch ist anzunehmen, dass uns Nagelsman immer wieder überrascht. Dies unterscheidet ihn von Hansi Flick.
Unter dem 56-Jährigen war die Devise praktisch durchgängig gleich. Aggressives Pressing, eine offensive Denkweise und eine hohe Abwehr waren prägend für sein Spiel. Alles war letztlich darauf ausgerichtet, die Defensive gezielt zu vernachlässigen und mit voller offensiver Power mindestens ein Tor mehr zu machen. Dieses Prinzip zog der Bayern-Coach trotz gewisser Rückschläge bis zuletzt gnadenlos durch.
Die neuen Denkansätze von Nagelsmann könnten demnach sowohl eine Chance, als auch ein Risiko sein. Der junge Coach muss jedenfalls aufpassen, nicht zu viel zu wollen und nicht jede mögliche Spielweise auszutesten. Das Besondere ist im Fußball oft weniger wert als das Einfache. In welche Richtung sich die Zusammenarbeit entwickelt, werden wir in der nächsten Saison sehen. Als Bayern-Fan darf man sich über den frischen Wind auf der Trainerbank freuen, wenngleich das Flick-Aus natürlich schwer zu verkraften ist. Letztlich war ohnehin klar, dass der steile Karriereweg Nagelsmann früher oder später zum Bayern-Coach machen wird.
Nagelsmann erhält Fünfjahresvertrag: Ist das überhaupt zeitgemäß?
Eine Sache verwundert dann aber doch. Die Vertragslaufzeit von fünf Jahren ist außergewöhnlich lang. In den letzten 35 Jahren gelang es nur Ottmar Hitzfeld (1998 bis 2006), die Bayern länger als sechs Jahre zu trainieren.
Wie schnelllebig das Trainergeschäft ist, zeigt auch, dass in der neuen Saison mit dem VfL Wolfsburg, Union Berlin, SC Freiburg, Werder Bremen und dem VfB Stuttgart maximal fünf Bundesligisten mit dem gleichen Coach wie im Vorjahr an den Start gehen werden.
Hier zeigt sich ganz gut, dass es nicht unbedingt wahrscheinlich ist, dass Nagelsmann bis Vertragsende bleibt. Den Bayern droht demnach früher oder später eine Abfindungszahlung. Wie schmerzhaft diese sein kann, haben zuletzt die Spurs erfahren, die laut Medienberichten 17 Millionen an José Mourinho zahlen mussten.