Schaaf als Wachrüttler: Warum die Kohfeldt-Entlassung richtig ist
Von Marc Knieper
Wenige Tage vor dem großen Saisonfinale gegen Borussia Mönchengladbach stellt Werder Bremen Cheftrainer Florian Kohfeldt frei. Vereinslegende Thomas Schaaf übernimmt den Posten interimsweise. 90min erklärt, warum die Entlassung der einzig richtige Schritt ist.
0:2 in Augsburg, das neunte Sieglos-Spiel in Folge, kein einziger Treffer trotz 36 Minuten Überzahl, die dümmste Gelbe Karte der Saison und die stets fehlende Kaltschnäuzigkeit vor dem gegnerischen Gehäuse. Werder is doing Werder things!
Nachdem man sich am Osterdeich zehn Spieltage vor Schluss bereits in Sicherheit wog, könnte das Chaos nun größer kaum sein. Der Relegationsrang avanciert mehr und mehr zum Bremer Wunschszenario. Um nicht direkt abzusteigen, müssen die Grün-Weißen entweder selbst gegen Gladbach gewinnen oder aber auf Schützenhilfe der Schalker in Köln hoffen.
Der Bundesliga-Keller nach dem 33. Spieltag:
- 15. Bielefeld | -28 Tore | 32 Punkte
- 16. Bremen | - 19 Tore | 31 Punkte
- 17. Köln | -27 Tore | 30 Punkte
- 18. Schalke | - 60 Tore | 16 Punkte
Am Samstagabend wackelte er erneut, der Trainerstuhl. Sportdirektor Frank Baumann sprach im ZDF-Sportstudio keine Jobgarantie für Florian Kohfeldt aus. Stattdessen wolle er sich abermals mit seinen Kollegen und dem Aufsichtsrat über die Zukunft des Bremer Cheftrainers unterhalten.
Das Ergebnis: Kohfeldt fliegt, Schaaf übernimmt! Eine Konsequenz, die sich viele Fans schon Ende April nach dem 1:3 gegen Union Berlin gewünscht hätten. Doch mit einem starken Auftritt im Pokal gegen RB Leipzig hielt sich Kohfeldt noch soeben über Wasser.
Kohfeldt hing am seidenen Faden
"Soeben über Wasser" - Genau diese drei Wörter stehen sinnbildlich für eine längst bröckelnde Beziehung zwischen Werder und Kohfeldt. Der Bremer Übungsleiter hing seit geraumer Zeit am seidenen Faden, saß keinesfalls fest im Sattel.
Nach dem erfolgreichen Ultimatum gegen Leipzig hielten die Hanseaten zwar weiter an ihrem Coach fest, trauten Kohfeldt abermals den Klassenerhalt zu, schienen darüber hinaus aber nicht mit ihm zu planen. Die Gerüchte, dass Kohfeldt selbst bei einem Verbleib in der Bundesliga gehen muss, hielten sich hartnäckig. Die Sport Bild brachte gar fünf Nachfolge-Kandidaten ins Gespräch.
Das Argument, Kohfeldt zu halten, da man langfristig und nachhaltig auf die Arbeit des Delmenhorsters schwört, griff schon lange nicht mehr. Und da Kohfeldt offenbar unabhängig vom Liga-Verbleib ohnehin nach der Saison hätte gehen müssen, ist die Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt der einzig richtige Schritt.
Schlussstrich folgerichtig, wenngleich zu spät
Die Entlassung entspricht zwar keinesfalls der feinen, familiären Bremer Art und Weise, aber mit dem häufig kritisierten "Wir haben uns alle lieb" ist nun einmal auch am Osterdeich irgendwann Schluss. Das Wohl des Vereins steht über allem - besonders über etwaige freundschaftliche Beziehungen zwischen den Verantwortlichen. Der Schlussstrich ist somit folgerichtig, wenngleich zu spät.
Kohfeldt schien seine Spieler schon lange nicht mehr zu erreichen. Anders lässt sich eine Sieglos-Flaute von neun Spielen und fünf mickrigen Toren nicht erklären. Den Spielern fehlt vor allem die letzte Konsequenz vor dem Tor. Dafür bedarf es einen neuen Impuls. Einen Impuls, den häufig nur eine personelle Veränderung herbeiführen kann.
Denn ob die Mission Klassenerhalt ein weiteres Mal mit Kohfeldt gut gegangen wäre, darf definitiv angezweifelt werden. Bereits im letzten Jahr bekleckerten sich die Hanseaten in der Relegation nach einem 0:0 zu Hause und einem 2:2 in Heidenheim keinesfalls mit Ruhm.
Thomas Schaaf als Wachrüttler?
Trainer-Legende Schaaf könnte tatsächlich als Wachrüttler fungieren - und auch die gegnerischen Fohlen zumindest ein kleines bisschen verunsichern. Nichtsdestotrotz wird die Aufgabe auch für den 60-Jährigen kein Zuckerschlecken. Viele denken ohnehin, dass die Bremer früher oder später dran glauben müssen. Zu knapp schliff man in der Vergangenheit am Abstieg vorbei.
In den letzten zehn Jahren befand man sich satte sieben Mal in der unteren Tabellenhälfte. Das Saisonziel Europa League wurde häufig alsbald in die Mission Klassenerhalt umgewandelt. Seit geraumer Zeit ist Werder sowohl finanziell als auch sportlich ein absoluter Wackelkandidat. Wirkliche Star-Spieler finden ihren Weg schon lange nicht mehr nach Bremen - zu unattraktiv das sportliche Umfeld.
Der Schrei nach einer gesamten Umstrukturierung, nicht nur auf dem Trainerstuhl, sondern auch - und vor allem - im Management ist größer denn je. So sympathisch und bodenständig Kohfeldt auch sein mag, seine Mission in Bremen musste nach dreieinhalb Jahren ein Ende nehmen - und zwar noch vor Abschluss dieser prekären Saison. Der erste Schritt in Richtung personeller Umstrukturierung ist damit getan. Nun gilt es, die Klasse zu halten.