Werbung für den Fußball! 5 Erkenntnisse zu Englands packendem 2:1-Sieg gegen Spanien

England steht im Halbfinale
England steht im Halbfinale / Naomi Baker/GettyImages
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Was für ein Spiel! Im ersten Viertelfinale der Euro 2022 konnte sich Gastgeber England mit 2:1 nach Verlängerung gegen Spanien durchsetzen. 90min hat die Partie genau verfolgt und fünf Beobachtungen gemacht, die eine nähere Betrachtung verdienen.


1. Nicht nur auf dem Papier ein Spitzenspiel

Spannung bis zum Schluss, zwei mit Weltklassespielerinnen gespickte Teams, ein mitreißender Spielverlauf: England und Spanien lieferten sich eine spektakuläre und emotionale Partie auf hohem fußballerischen Niveau - eine bessere Werbung für den Fußball kann man sich kaum vorstellen!

Während die Spanierinnen vor allem mit ihrer technischen Brillanz und Ballzirkulation überzeugen konnten, lieferte England eine Glanzleistung in Sachen Mentalität und wusste ein Publikum hinter sich, das mindestens genau so viel Einsatzbereitschaft zeigte wie ihre Lionesses auf dem Rasen.

Spätestens nach dem von der eingewechselten Athenea del Castillo toll vorbereiteten spanischen Führungstreffer nahm die Begegnung richtig an Fahrt auf. England gelang kurz vor Schluss der vielumjubelte Ausgleich, ehe Georgia Stanway in der Verlängerung die rechte Klebe auspackte und das Community Stadium in Brighton endgültig zum Explodieren brachte. Apropos Georgia Stanway...

2. Die Bundesliga kann sich auf Georgia Stanway freuen

Die schussgewaltige Engländerin wechselt zur kommenden Saison in die Bundesliga und wird das Trikot des FC Bayern tragen. Spätestens gegen Spanien wurde klar, dass sich die deutschen Fans auf eine absolute Ausnahmekönnerin freuen dürfen.

Bereits in der Gruppenphase lieferte Stanway hervorragende Leistungen ab, im Viertelfinale bewies die 23-Jährige, dass sie auch gegen Top-Nationen unter großem Druck performen kann. Die zentrale Mittelfeldakteurin erzielte nicht nur den englischen Siegtreffer (bei dem sie auch vom unzureichenden Stellungsspiel der spanischen Torhüterin Sandra Panos profitiere). Ihre Kampfkraft und ihr Einsatzwille waren für den englischen Sieg mindestens genauso ausschlaggebend. Dass man Stanway keineswegs auf den Faktor Kampf und Physis reduzieren darf, zeigte sie in der Entstehung des Ausgleichstreffers mit einem beherzten Dribbling, ohne das die Kugel nie bei Lauren Hemp, der Flankengeberin zum 1:1, gelandet wäre.

Die Bundesliga darf sich auf eine Spielerin mit eindrucksvoller Dynamik und Mentalität freuen, die dem FC Bayern sowohl offensiv als auch defensiv weiterhelfen wird. Angesichts von Stanways Schussgewalt müssen sich die Bundesliga-Torhüterinnen warm anziehen.

3. Schade, dass es einen Verlierer geben musste

Genau wie England hätten auch die Spanierinnen das Weiterkommen verdient gehabt. Das Team von Trainer Jorge Vilda präsentierte sich nach einer eher durchwachsenen Vorrunde in toller Verfassung, dominierte die Partie über weite Strecken und ging verdient in Führung.

Da der Fokus des spanischen Spiels auf Technik, Passspiel und Ballzirkulation liegt, gehen die anderen Qualitäten der Ibererinnen gelegentlich unter. Spanien beherrschte gegen die Lionesses nicht nur das schöne Spiel, sondern trug ebenso mit rassigen Zweikämpfen und einer gesunden Aggressivität zur hohen Qualität des ersten K.o.-Duells dieser EM bei.

Aus diesem Grund werden die Fans nicht nur die feine Technik und Eleganz von Mariona Caldentey oder Aitana Bonmati vermissen. Auch die Tacklings von Mapi Leon oder die Physis von Irene Paredes hätten dem Turnier weiterhin gut getan.

4. England ist schlagbar

Nach der Gruppenphase mit neun Punkten und 14:0-Toren galt England als Top-Favorit, der kaum Schwächen offenbart hatte. Die makellose Bilanz der Vorrunde hing allerdings auch mit den schwachen Leistungen der englischen Gegner zusammen. Weder Nordirland noch das enttäuschende Norwegen stellten einen geeigneten Gradmesser für die K.o.-Phase dar. Gegen den Gruppenzweiten Österreich wurden die Lionesses deutlich stärker gefordert und gewannen nur knapp mit 1:0.

Dass Spanien noch einmal ein anderes Kaliber als Österreich ist, bekamen Millie Bright und Co. über weite Strecken der Partie schmerzhaft vor Augen geführt. Die Spanierinnen hätte bereits in der ersten Halbzeit in Führung gehen müssen, ließen es aber wie gewohnt an der nötigen Zielstrebigkeit vermissen. Das änderte sich in der 54. Minute, als die spanische Mittelstürmern Esther Gonzalez zum verdienten 1:0 traf.

Im weiteren Spielverlauf sah es keineswegs so aus, als könnte England das Ruder herumreißen und das Duell zu seinen Gunsten drehen. Besonders augenfällig war die fehlende Durchschlagskraft über Außen, die in der Vorrunde noch der große Trumpf der Lionesses gewesen war. Besonders Top-Torschützin Beth Mead fand gegen die hervorragend eingestellte spanische Defensive kein Durchkommen und wurde zu Recht ausgewechselt. Dasselbe galt für die sonst so spielfreudige Fran Kirby, die zu keinem Zeitpunkt der Partie Gefahr ausstrahlte. In der Viererkette erwies sich Linksverteidigerin Rachel Daly als Schwachstelle. Die 30-Jährige bekam Athenea del Castillo, von der sie vor dem spanischen 1:0 getunnelt wurde, nicht in den Griff.

Den Sieg hatte die Gastgeberinnen zu einem Gutteil ihren Jokerinnen zu verdanken. Alessia Russo und Ella Toone sorgten gemeinsam für den Ausgleichstreffer und brachten auch ansonsten frischen Schwung in die englischen Angriffsbemühungen. Alex Greenwood kam nach gut 80 Minuten in die Begegnung und machte ihre Sache gegen Athenea del Castillo deutlich besser als die überforderte Daly.

5. Der Heimvorteil als entscheidender Faktor

Dass die Chemie zwischen Fans und Spielerinnen passt und eine gesamte Nation mit ihren Lionesses mitfiebert, war bereits in der Vorrunde zu beobachten. Gegen Spanien erwies sich der Heimvorteil als entscheidender Faktor auf dem Weg ins Halbfinale.

Die englischen Anhänger peitschten ihr Team unaufhörlich nach vorne und halfen jeder Spielerin dabei, über die Schmerzgrenze zu gehen. Für die Spanierinnen war es angesichts der wilden Kulisse
besonders nach dem Ausgleich schwer, wieder zurück in die Spur zu finden.

Sollte es die deutsche Mannschaft tatsächlich ins Finale schaffen und dort auf die Gastgeberinnen treffen, müssen Sara Däbritz und Co. nicht nur gegen elf hervorragende Fußballerinnen bestehen, sondern auch das englische Publikum im ausverkauften Wembley Stadium schlagen.


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