Was ist dran am Leeds-Gerücht um Stephan Ambrosius?
Von Guido Müller
Stephan Ambrosius soll einem Bericht des norwegischen Journalisten Jonas Giaever (via Twitter) zufolge beim Premier-League-Aufsteiger Leeds United im Gespräch sein. Das kann, muss aber nicht unbedingt überraschen. Zumal wenn man die globale Entwicklung beobachtet.
Spieler werden immer jünger
Denn dass Spieler offenbar in immer jüngerem Alter ihre Profi-Karrieren beginnen, ist nicht nur ein Gefühl der Fans oder sonstigen Beobachter der Szene, sondern ein Fakt. Beim BVB z.B tummeln sich mittlerweile drei 17- bis 18-Jährige (Reyna, Bellingham und Reinier) im Profi-Kader. Mit Moukoko sitzt ein demnächst erst 16-Jähriger schon in den Startlöchern. Und Spieler wie Haaland, Sancho oder Morey (allesamt 20 Jahre alt) gehören demnach schon fast zu den erfahrenen.
Auch der DFB hat dieser neuen Realität Rechnung getragen und erst vor einigen Monaten das Mindestalter für Spieler, die Profi-Einsätze absolvieren dürfen, auf eben jene 16 Jahre gesenkt.
Damit einher geht natürlich auch ein Wandel im Berater-Geschäft. Denn nun sind die Spieler, die es zu scouten gilt, halt nicht mehr auf der auch für Laien einsehbaren Bühne der ersten Liga präsent, sondern tummeln sich zuhauf in den Zweitvertretungen großer Klubs, die teilweise in der dritten oder gar vierten Liga eines jeweiligen Landes spielen.
Das muss man präsent haben, um das Interesse von Leeds United an Stephan Ambrosius, 21 Jahre alt oder jung, einzuordnen. So einfach, wie es manche Aussagen ("Zwei gute Spiele, und schon soll er gut genug für einen Premier-League-Klub sein?") in den einschlägigen Foren suggerieren, ist es nicht mehr. Man kann davon ausgehen, dass auch ein Leeds United die Entwicklung bestimmter Spieler schon seit deren 12. oder 13. Lebensjahr "verfolgt". Ob dies im konkreten Fall Ambrosius auch so ist, bleibt dabei jedoch nur Spekulation.
Ambrosius' Entwicklung geht seit einiger Zeit steil nach oben
Fakt ist: Ambrosius hat in den vergangenen Monaten ganz offensichtlich eine gute Entwicklung genommen. Nicht umsonst stand er im wegweisenden letzten Saisonspiel der vergangenen Spielzeit gegen den SV Sandhausen die komplette zweite Halbzeit auf dem Platz. Was zu einem Teil der dünnen Personaldecke geschuldet war (Ambrosius wurde damals für den wieder mal verletzten Ewerton eingewechselt). Und zu einem anderen der guten Entwicklung des Spielers. Bei dem damaligen peinlichen 1:5 des HSV war er dann auch einer der ganz wenigen Spieler, die man aus der (vernichtenden) Generalkritik ausklammern musste. Seinen Job hat Ambrosius damals zufriedenstellend erledigt. Die kicker-Note 3 bestätigt das. Die Kollegen Ewerton und van Drongelen bekamen jeweils eine vernichtende 6.
Fakt ist auch: Ambrosius' Vertrag in Hamburg läuft im nächsten Sommer aus. Und unter den Eindrücken sowohl der Vorbereitungsspiele als auch der ersten beiden Liga-Auftritte wäre es eher verwunderlich, wenn kein Verein Interesse an dem kantigen und bulligen Verteidiger angemeldet hätte. Nicht umsonst versucht ja auch der HSV seit einiger Zeit, den gebürtigen Hamburger von einer Vertragsverlängerung zu überzeugen.
Fakt ist weiter, dass die meisten Medienvertreter keine Ahnung haben, wieviel Ambrosius bisher beim HSV verdient hat. Nun sind 500.000 Euro (ungefähr angesetzt für Ambrosius) für einen Premier League-Klub schlichtweg Peanuts. Schon ein Leeds United, das in dieser Saison sicherlich nicht zu den Favoriten auf einen der vorderen Plätze gehört, könnte einem jungen, talentierten Spieler mit einem Gehaltsangebot jenseits der Millionen-Marke mächtig den Kopf verdrehen.
Fakt ist aber auch, dass Leeds United - Stand heute - bereits fünf Innenverteidiger in seinem Kader hat. Unter anderem nahm der Bielsa-Klub den früheren Freiburger Robin Koch unter Vertrag. Die Frage, die sich einem Spieler wie Ambrosius jetzt stellt, ist folgende: will ich es probieren - und lande womöglich, zwar gut entlohnt, nur auf der Bank? Oder gehe ich weiterhin den Weg mit meinem Stammverein (der eigentlich der FC St.Pauli ist, aber Schwamm drüber)?
Berater-Aussagen nur branchenübliches Klappern?
Wirklich Licht ins Dunkel bringen auch die offensiven Aussagen von Ambrosius' neuem Berater Nochi Hamasor nicht. Denn dass Spieleragenten ihre Schützlinge gerne mal über Gebühr loben und anpreisen, gehört zum Business. Zumal wenn, wie jetzt, Verhandlungen über eine Vertragsausweitung laufen. Und da man auch nicht weiß, wieviel mehr der HSV nun bereit wäre, Ambrosius jährlich zu zahlen, erübrigen sich voreilige Prognosen.
Ambrosius-Abgang wäre ein schlechtes Signal
Ich persönlich würde einen Abgang des Hamburger Jungen sehr bedauern. Denn auch ich habe gesehen, wozu dieser Spieler offensichtlich fähig ist. Andererseits war es auch eine Spezialität des HSV in den letzten Jahren, seine vermeintlichen Schlüsselspieler zu schnell mit zu viel Geld zufrieden zu stellen. In einem hohen Maße sind die Spieler, denen der Klub eine sukkulente Gehaltsaufstockung zugestanden hat, danach deutlich in ihren Leistungen abgesunken. Das könnte natürlich auch mit Ambrosius passieren. Aber in dieser Personalie sagt mir der Instinkt, dass sich der HSV ruhig ein wenig strecken sollte. Für mich ist Ambrosius bereits jetzt weit vor Rick van Drongelen einzustufen.
Wenn er geht, sollte man Leeds United auch entsprechend "bluten" lassen
Doch sollte sich am Ende die Lust des Spielers auf eine neue (und erheblich besser bezahlte) Herausforderung in Nordengland durchsetzen, hoffe ich wenigstens, dass die Hamburger "ihren" Schnitt machen. Wenn ich sehe, dass der 1.FC Heidenheim zwei seiner Schlüsselspieler (Kleindienst und Dorsch) für jeweils 3,5 Millionen an einen belgischen Champions-League-Teilnehmer (KAA Gent) abgegeben hat, sollte man einen Ambrosius nicht für weniger als vier Millionen nach England transferieren. Doch noch bleibt die Hoffnung, dass Ambrosius demnächst seine Unterschrift unter ein neues Arbeitspapier beim HSV setzt. Und danach die Vorschusslorbeeren auch bestätigt.