Vor dem Hamburg-Derby: "Für die Stadt wäre das tatsächlich sensationell!"
Von Guido Müller
Hamburg fiebert dem Stadtderby entgegen. Wenn am Freitag (18.30 Uhr) die Rothosen die Braun-Weißen empfangen, werden auch die Keeper beider Teams im Fokus stehen. Im Vorfeld der Partie sprachen Sven Ulreich und Robin Himmelmann mit Sportbild über das Stadtduell, über die Corona-Krise und den gesellschaftlichen Stellenwert des Fußballs im Allgemeinen.
In der vergangenen Spielzeit konnte Himmelmann zwei Siege im brisanten Nachbarschaftsduell feiern. Viele Pauli-Fans waren vor allem nach dem 2:0-Sieg im Volkspark (am 23. Spieltag) derart erleichtert, dass sie dem ungeliebten Rivalen sogar den Aufstieg in die Bundesliga gönnten.
"Nein, der FC Bayern der Zweiten Liga sind wir nicht."
- Sven Ulreich, Sportbild
Über das Derby und einen möglichen gemeinsamen Aufstieg
Doch der HSV blieb bekanntlich auf dem Weg dorthin irgendwie stecken und musste anderen Teams den Vortritt lassen. Ob sich Himmelmann denn nun über eine weitere Gelegenheit freue, es dem "großen Bruder" abermals zu zeigen? "Was heißt 'freuen'? Wenn der HSV aufgestiegen wäre, hätten wir uns jetzt für längere Zeit Stadtmeister nennen können - so wollen wir beide Siege nochmal bestätigen und das überragende Gefühl noch mal erleben", erklärte der Pauli-Keeper der Sportbild.
Um es im nächsten Jahr dann in der Bundesliga eventuell abermals aufleben zu lassen? "Wenn wir uns wünschen könnten", so Himmelmann, "das Spiel in der 1. Liga stattfinden zu lassen, dann gibt es keinen einzigen Grund, der mir einfallen würde, der dagegen sprechen würde." Auch sein Kontrahent aus dem Volkspark würde sich über einen Hamburger Doppel-Aufstieg freuen. Unter einer Voraussetzung: "Für die Stadt wäre das tatsächlich sensationell. Wenn wir dabei sind, gönne ich St. Pauli auch den Aufstieg."
Von Wortschöpfungen wie "FC Bayern der Zweiten Liga" hält er - trotz des makellosen Starts von fünf Siegen in fünf Spielen - indes eher wenig. "Nein, der FC Bayern der Zweiten Liga sind wir nicht. Wir haben viele gute, junge Spieler, die sich aber noch weiterentwickeln müssen und werden. Uns wird in dieser Liga nichts geschenkt. Ich habe den HSV vergangene Saison schon verfolgt. Nach einem starken Start war es am Ende ein Schneckenrennen um den Aufstieg - mit dem schlechteren Ende für den HSV. Das müssen einige Jungs bei uns aus den Köpfen herausbekommen. Denn natürlich hängt das noch etwas nach. Doch mit jedem Sieg steigt das Selbstvertrauen und die Überzeugung."
Auch Himmelmann erkennt die Leistung des Rivalen bis hierher an. Doch gerade auf so ein emotionales Derby haben die vorherigen Ergebnisse beider Teams meistens keinen großen Einfluss, wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat. "In den vergangenen Jahren hat man auch immer erwartet, dass der HSV durch die individuelle Qualität stark startet und dann von vorne das Rennen macht. Aber außer, dass der FC Bayern immer Meister wird, kann man im Fußball kaum etwas vorhersagen. Wir wollen auf jeden Fall die erste Mannschaft sein, die die HSV-Serie durchbricht."
Dass das Spiel im traurigen Corona-Rahmen, sprich: fast ohne Zuschauer (selbst die angepeilten 1.000 Fans sind Stand heute fraglich) stattfinden wird, wurmt auch die Keeper. "Natürlich wären es uns allen auch lieber", spricht Ulreich auch gleich für seinen Berufskollegen mit, "aber ein heißes Spiel wird es so oder so."
Über die Trainer
Natürlich müssen angesichts des guten Starts beider Teams in die neue Saison auch die Trainer Erwähnung finden. "Wir sind zwar noch in der Kennenlern-Phase, aber es wächst mehr und mehr zusammen", meint Ulreich. "Und klar ist: auch Daniel Thioune hat sehr viele Ideen und will Fußball spielen lassen. Er ist sehr variabel in seinen taktischen Varianten."
Auch Himmelmann hat nur lobende Worte für seinen neuen Coach übrig: "Schulle war beim FC St. Pauli sechs Jahre Spieler, mehrere Jahre Co-Trainer und Chef-Trainer in der Jugend. Er kennt die Fans, weiß, wie der Stadtteil tickt. Er bringt extrem viel davon ein, was St. Pauli in der Vergangenheit ausgezeichnet hat."
Über den Blick über das Spielfeld hinaus
Wozu auch durchaus Aspekte außerhalb des Platzes gehören. "Dazu gehört", erklärt Himmelmann, "auch eine klare Positionierung zu Themen wie gegen Rassismus, gegen Homophobie oder Intoleranz gegenüber anderen. Bei uns wird nicht nur irgendwas erzählt. Der Verein und wir Spieler setzen es auch um."
Dass Robin Himmelmann ein Mensch ist, der auch über den eigenen Tellerrand hinausblickt, zeigt seine Tätigkeit für die neu geschaffene Taskforce "Zukunft Profifußball". "Als ich gefragt wurde, ob ich die Spielermeinung in der Taskforce vertreten würde, habe ich nicht lange gezögert. Ich glaube, dass es eine gute Möglichkeit ist, um unsere Sicht der Dinge für die Zukunft des Profifußballs mit einzubringen." Ein Horn, in das auch Ulreich stößt: "(...) Für die Zukunft des Fußballs ist es gut, wenn sich eine Spielergewerkschaft einbringt. Oder die Taskforce faire Lösungen erarbeitet."
Selbst einem Gehaltsverzicht steht der HSV-Keeper prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. "Ich würde meinen Teil dazu beitragen, die Liga am Leben zu halten. Aber ich möchte wissen, was mit dem Geld passiert. Wenn wir mit unserem Beitrag helfen können, Mitarbeiterentlassungen zu verhindern - dann ist es gut. Wenn damit aber vor allem neue Spieler gekauft werden sollen, macht es für mich keinen Sinn, auf Gehalt zu verzichten. Entscheidend ist, dass ein Verein offen mit dem Thema umgeht."
Über die Sehnsucht der Fans
Angesichts immer weiter steigender Infektionszahlen, könnte das Thema schon bald wieder brandaktuell werden. Wie groß ist bei beiden Schlussmännern die Sorge, dass die Blase Profifußball irgendwann platzen könnte? "Mann muss sich aktuell schon ein Stück weit Sorgen machen", gibt Ulreich zu. "Wenn die Corona-Krise weiter anhalten sollte, wird es den Fußball womöglich gar nicht mehr so geben, wie wir ihn kennen, mit zahlreichen Zuschauern im Stadion."
Doch gleichzeitig verweist der HSV-Keeper auch auf die Kraft, die vom Volksport Nummer 1 ausgeht. "Als beim Lockdown im Frühjahr kein Fußball gespielt werden durfte, hat man gesehen, wie sich viele Menschen nach Fußball gesehnt haben. Auch wenn es nur Geisterspiele waren. Ich hoffe, dass die Regierung den Menschen diese Freude lässt und nicht in die Situation kommt, die Stadien wieder komplett zu sperren."