Vom Leben und Tod der Super League - Pläne werden offiziell suspendiert
Von Tal Lior
Die Fans des Fußballs haben gesiegt. Die totale Kapitulation der Super League ist (vorerst) vollbracht. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch zogen sich die englischen Klubs offiziell aus dem Projekt zurück. Es ist der dramatische Höhepunkt der wohl ereignisreichsten 48 Stunden im Weltfußball.
Schon im Verlaufe des Dienstags machten sich erste Gerüchte über Zweifel bei einigen englischen Klubs breit. Dem gigantischen und in dieser Form noch nie gesehenen Protest der Fans gesellten sich endlich auch eindeutige Aussagen von Spieler, die bei den 12 Super-League-Klubs unter Vertrag stehen. Am nennenswertesten waren darunter die deutlichen Statements von Liverpool-Kapitän Jordan Henderson und Manchester-United-Verteidiger Luke Shaw.
In den Abendstunden wurde es dann plötzlich hektisch. Während Chelsea-Fans massenweise vor ihrem Stadion protestierten, vermeldeten englische Medien die Hammer-Meldung: Chelsea steht kurz davor, aus der Super League zurückzutreten! Es war der erste Riss in der plötzlich und ohne jede Vorbereitung aufgebauten Mauer der Supermächte des Fußballs. Es folgten niederschmetternde Schläge, die in unglaublich dramatischer Art und Weise zum sofortigen Tod der Super League führten. Hier folgen die wichtigsten Ereignisse und die Zustände der involvierten Klubs im Überblick.
1. Wie geht es weiter mit der Super League?
Ihr Kapitulationsschreiben gab die verbliebene Gruppe der Teams in der Super League mitten in der Nacht ab - wenn auch in nicht so deutlichen Worten.
Die Gruppe wiederholte ihre Argumente über den negativen Trend im Interesse am Fußball und dem daraus resultierenden Bedürfnis nach Reformen. Zugleich gab man jedoch zu, dass man das Projekt überdenken und suspendieren wird.
Hier das komplette Statement m Wortlaut:
"Die Europäische Super League ist davon überzeugt, dass sich der aktuelle Status Quo des europäischen Fußballs ändern muss.
Wir schlagen einen neuen europäischen Wettbewerb vor, weil das bestehende System nicht funktioniert. Unser Vorschlag zielt darauf ab, dem Sport die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln und gleichzeitig Ressourcen und Stabilität für die gesamte Fußballpyramide zu generieren, einschließlich eines Beitrags zur Überwindung der finanziellen Schwierigkeiten, die die gesamte Fußballgemeinschaft als Folge der Pandemie erlebt. Es würde auch wesentlich verbesserte Solidaritätszahlungen an alle Interessengruppen des Fußballs vorsehen.
Trotz des angekündigten Ausstiegs der englischen Klubs, die aufgrund des auf sie ausgeübten Drucks zu solchen Entscheidungen gezwungen wurden, sind wir davon überzeugt, dass unser Vorschlag voll und ganz im Einklang mit europäischem Recht und europäischen Vorschriften steht, wie heute durch eine Gerichtsentscheidung zum Schutz der Super League vor Klagen Dritter bewiesen wurde.
In Anbetracht der aktuellen Umstände werden wir die am besten geeigneten Schritte zur Neugestaltung des Projekts überdenken, immer mit dem Ziel vor Augen, den Fans das bestmögliche Erlebnis zu bieten und gleichzeitig die Solidaritätszahlungen für die gesamte Fußballgemeinschaft zu erhöhen."
In Anbetracht der Tatsache, dass aber fast alle Klubs schon ausgetreten sind, ist eine Umgestaltung dieser Idee eigentlich unvorstellbar. Wenn etwas Ähnliches durchgeführt wird, dann wohl nur durch die UEFA. Fans sollten sich auf jeden Fall nach diesem Sieg nicht ausruhen und den nächsten Kampf erwarten.
Diese Klubs sind raus
2. Manchester City
Manchester City machte den Anfang. Der erste Klub, der seine Teilnahme an der Super League bekannt gab, veröffentliche zwei Tage danach, wie ein in die Knie gezwungener Gladiator, ein Dekret der Kapitulation.
"Der Manchester City Football Club kann bestätigen, dass er formell die Prozeduren eingeleitet hat, um sich aus der Gruppe zurückzuziehen, die Pläne für eine europäische Super League entwickelt."
Das war es. Ein einziger Satz. Zu mehr konnte man sich ob der Blamage nicht hinreißen.
Manager Pep Guardiola äußerte Stunden zuvor noch auf einer Pressekonferenz deutliche Kritik am Konzept und ließ genauso wie Jürgen Klopp seinen Frust über seine fehlende Macht in dieser Situation durchblicken.
3. FC Liverpool
"Der Liverpool Football Club kann bestätigen, dass unsere Beteiligung an den vorgeschlagenen Plänen zur Gründung einer europäischen Super League eingestellt wurde.
In den letzten Tagen hat der Verein von verschiedenen wichtigen Interessenvertretern, sowohl intern als auch extern, Stellungnahmen erhalten, und wir möchten ihnen für ihre wertvollen Beiträge danken."
Zumindest ein Satz mehr als bei Manchester City. Die Kritik an Liverpool fiel aufgrund der Vereinshymne (You'll never walk alone) besonders hart aus. Klopp und seine Spieler ließen das nicht auf sich sitzen und übten intern und öffentlich einen immensen Druck aus, der nun in der Kapitulation der amerikanischen Eigentümer des Vereins resultiert. Sponsor TRIBUS zog sich zuvor sogar aufgrund der Super-League-Pläne aus der Partnerschaft mit Liverpool zurück.
4. FC Arsenal
Arsenals Austrittserklärung fiel in der Wortwahl deutlich mutiger als bei den anderen Klubs aus. Der vom unpopulären Besitzer Stan Kroenke geführte Klub entschuldigte sich bei seiner massiven Fangemeinde mit ehrlichen Worten in einem Brief.
"Die letzten Tage haben uns wieder einmal gezeigt, wie tief die Gefühle unserer Fans auf der ganzen Welt für diesen großartigen Verein und das Spiel, das wir lieben, sind.
Wir mussten nicht daran erinnert werden, aber die Reaktion der Fans in den letzten Tagen hat uns Zeit für weitere Überlegungen und tiefes Nachdenken gegeben.
Es war nie unsere Absicht, einen solchen Kummer zu verursachen, aber als die Einladung zum Beitritt in die Super League kam, wollten wir nicht zurückbleiben, obwohl wir wussten, dass es keine Garantien gab, um sicherzustellen, dass wir Arsenal und seine Zukunft schützen.
Nachdem wir in den letzten Tagen auf euch und die breitere Fußballgemeinde gehört haben, ziehen wir uns aus der vorgeschlagenen Super League zurück. Wir haben einen Fehler gemacht, für den wir uns entschuldigen.
Wir wissen, dass es Zeit brauchen wird, um euer Vertrauen in das, was wir hier bei Arsenal zu erreichen versuchen, wiederherzustellen, aber lasst uns klarstellen, dass die Entscheidung, Teil der Super League zu sein, von unserem Wunsch getrieben wurde, Arsenal, den Verein, den ihr liebt, zu schützen und den Sport, den ihr liebt, durch größere Solidarität und finanzielle Stabilität zu unterstützen.
Stabilität ist essentiell für das Gedeihen des Spiels und wir werden uns weiterhin bemühen, dem Spiel die Sicherheit zu geben, die es braucht, um sich vorwärts zu bewegen.
Das System muss repariert werden. Wir müssen zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden, die die Zukunft des Fußballs schützen und die außergewöhnliche Kraft des Fußballs nutzen, um uns in Atem zu halten.
Wir wissen, dass dies am Ende eines unglaublich schwierigen Jahres für uns alle sehr beunruhigend war.
Unser Ziel ist es immer, die richtigen Entscheidungen für diesen großartigen Fußballverein zu treffen, um ihn für die Zukunft zu schützen und uns weiterzubringen. Wir haben hier nicht die richtige Entscheidung getroffen, was wir voll akzeptieren.
Wir haben euch gehört.
Der Arsenal-Vorstand"
5. Tottenham Hotspur
Die Enttäuschung über Tottenhams Beitritt in die Super League entsprang der Tatsache, dass der Londoner Klub vor nicht allzu langer Zeit dem Mittelmaß des englischen Fußballs gehörte und von den Top-4 weit entfernt war. Der Vorstandsvorsitzende Daniel Levy, der in den letzten Stunden wohl all den Kredit verloren hat, den er sich über Jahre bei den Spurs erarbeitet hat, meldete sich in einer offiziellen Stellungnahme.
Der Tottenham-Boss übte sich dabei aber eher in Ausreden:
"Wir bedauern die durch den ESL-Vorschlag ausgelösten Ängste und Verärgerungen. Wir hielten es für wichtig, dass unser Klub an der Entwicklung einer möglichen neuen Struktur teilnimmt, die das finanzielle Fairplay und die finanzielle Nachhaltigkeit besser gewährleisten und gleichzeitig die Unterstützung für die breitere Fußballpyramide deutlich erhöhen soll.
Wir glauben, dass wir niemals stillstehen sollten und dass der Sport ständig Wettbewerbe und Führungsstrukturen überprüfen sollte, um sicherzustellen, dass das Spiel, das wir alle lieben, sich weiterentwickelt und die Fans auf der ganzen Welt begeistert.
Wir möchten uns bei allen Fans bedanken, die ihre wohlüberlegten Stellungnahmen abgegeben haben."
6. Manchester United
Von den Glazers haben Fans von Manchester United alles erwartet, nur nicht das. Nachdem Starspieler Bruno Fernandes schon am Montag deutliche Kritik an der Idee äußerte und die Fans mit Boykotten drohten, hisst die Klubführung nun die weiße Flagge.
Zunächst veröffentlichte man die Hammer-Meldung, wonach Ed Woodward, der wohl mächtigste -und zugleich unpopulärste - Funktionär im Klub, den Verein zum Saisonende nach 16-jähriger Tätigkeit verlassen wird. United-Fans schlagen also mit ihrem Protest zwei Fliegen mit einer Klappe.
Anschließend folgte ein kurzes - und erneut mit Ausreden gespicktes - Statement zum Austritt: "Wir haben uns die Reaktionen unserer Fans, der britischen Regierung und anderer wichtiger Interessengruppen genau angehört.
Wir sind weiterhin entschlossen, mit anderen aus der gesamten Fußballgemeinschaft zusammenzuarbeiten, um nachhaltige Lösungen für die langfristigen Herausforderungen des Fußballs zu finden."
Es kommt aber noch besser. Dem Telegraph zufolge ist nun ein Verkauf des Klubs wahrscheinlicher denn je!
7. FC Chelsea
Chelsea benötigte viele Stunden, um ein offizielles Statement zum Rückzug zu veröffentlichen. Die Fans sorgten mit ihrem lautstarken Protest in London für weltweite Schlagzeilen und jubelten live, als über den Rückzug ihres Teams berichtet wurde.
"Nachdem wir Ende letzter Woche der Gruppe beigetreten sind, hatten wir nun Zeit, die Angelegenheit gründlich zu überdenken und sind zu dem Schluss gekommen, dass unsere weitere Beteiligung an diesen Plänen nicht im besten Interesse des Clubs, unserer Fans oder der gesamten Fußballgemeinschaft wäre", schrieb der Klub in seiner Vereinsmitteilung.
8. Inter Mailand
Rund um Inter war es in den heftigen ersten Stunden anfangs verdächtig ruhig. Erst nach der Veröffentlichung der Suspendierung des Projekts erklärte Klub-Chef Giuseppe Marotta gegenüber dem spanischen Radiosender Cadena Copa, dass man die Gruppe "wahrscheinlich" verlassen wird. Nun ist der Austritt auch fix.
9. Atletico Madrid
In einer offiziellen Stellungnahme hat nun auch Atletico Madrid den Austritt aus dem Wettbewerb bestätigt. Den Klubangaben zufolge waren für den Beitritt "Umstände verantwortlich, die nun nicht mehr existieren." Worum es sich dabei wohl handeln könnte....
10. Wieso sind alle England-Klubs ausgetreten?
Es gibt viele Faktoren, die dies beeinflusst haben. Spanische Medien wie Mundo Deportivo behaupten, dass die UEFA den englischen Klubs sofort mehr Geld zusichern konnte um sie zum Umdenken zu bewegen, dasselbe war bei den anderen Klubs nicht möglich. Zudem soll laut dem BBC die britische Regierung mit der Drohung des Entzugs von Arbeitserlaubnissen von Spielern und neuen Steuern erheblichen Anteil an dieser Dynamik gehabt haben. Dass dann noch viele Fans auf den Straßen und Spieler der involvierten Klubs sich klar dagegen äußerten, tat ihr Übriges.
11. Welche Konsequenzen drohe den austretenden Klubs?
Laut dem spanischen TV-Sportprogramm El Chiringuito wird die verbliebene Super-League-Gruppe alle englischen Klubs verklagen, die ursprünglich dem Projekt beigetreten sind. Dies deckt sich mit Marca-Infos, wonach für den Falle eines Rückzugs einzelner Klubs heftige Geldstrafen vertraglich vereinbart wurden.
12. AC Milan
Milan ist seit Mittwoch ebenfalls raus! Dies erfolgt nur wenige Stunden nachdem Klub-Geschäftsführer Ivan Gazidis den neugeschaffenen Wettbewerb öffentlich noch in den Himmel lobte: "Wir sind zuversichtlich, dass dieser neue Wettbewerb die Fantasie von Milliarden von Fans anregen wird und ein neues, aufregendes Kapitel für den Fußball darstellt. Die Super League wird der gesamten Fußballpyramide mit größeren finanziellen Ressourcen Wert und Unterstützung bieten."
Dumm gelaufen, Ivan. Ob die Fans den von den neuen amerikanischen Besitzern des Klubs installierten CEO nach dieser Aktion noch tolerieren werden, ist unwahrscheinlich...
13. Juventus Turin und Klubboss Andrea Agnelli
In der Mittwochs-Ausgabe der Corriere dello Sport standen Aussagen, die Andrea Agnelli wohl nachträglich bereuen wird: "Es gibt einen Blutpakt zwischen unseren Clubs. Wir werden weitermachen. Es gibt eine 100-prozentige Erfolgsquote." Dumm gelaufen, Andrea.
Die anfangs zirkulierenden Gerüchte um einen Rücktritt Agnellis von seinem Chefposten bei Juve sind aber ebenfalls Unsinn. Der 45-jährige Vize-Präsident des Projekts erklärte höchstpersönlich, dass er trotz aller Anfeindungen weitermachen wird.
Eine öffentliche Stellungnahme zur Meinung von Juventus zum derzeitigen Zustand des Super-League-Projekts wurde am Mittwoch veröffentlicht. Es war keine eindeutige Rücktrittserklärung, zugleich hat der Klub aber die jetzige Version der Super-League-Idee aufgegeben.
Diese Klubs sind (noch) dabei
14. Real Madrid und Klubboss Florentino Perez
Klubpräsident und Super-League-Initiator Florentino Perez, der noch in der Nacht von Montag auf Dienstag seine dreist anmutenden Argumentationen für das Projekt lieferte und mit verdächtigem Selbstvertrauen behauptete, dass die Liga trotz der heftigen Reaktionen durchgehen wird, wurde durch die Lawine aus England total überrumpelt. Der 74-jährige Real-Macher musste ein für die letzte Nacht angesetztes Radio-Interview absagen und stattdessen einem Meeting mit seinen Super-League-Partnern beiwohnen. Seine zuvor in der französischen Zeitung L’Équipe getätigten Aussagen, die von einer Fortsetzung sprachen, wurden jedoch zu seinem Grauen am heutigen Morgen veröffentlicht.
Wer hätte gedacht, dass die vielleicht größte Persönlichkeit in der Geschichte des vielleicht größten Klubs auf der Welt so unglaublich tief fallen kann...
15. FC Barcelona
Laut Mundo Deportivo will die Klubführung des FC Barcelona trotz des Massen-Austritts am Projekt festhalten. Allerdings könnte die Tatsache, dass Klubpräsident Joan Laporta die Teilnahme des Vereins vertraglich an die Zustimmung der Mitglieder gebunden hat, das Unterfangen endgültig zum Scheitern verurteilen.
Gerard Pique ließ jedenfalls durchblicken, was er von der Idee hält...