US-Frauenfußball: Machtmissbrauch - Neue Vorwürfe gegen Ex-Nationaltrainerin Ellis
Von Helene Altgelt
"The time for accountability in the @nwsl is now", schrieb Brittany Alvarado am 3. Juli auf Twitter/X - nun sei es Zeit, dass in der amerikanischen Liga, der National Women's Soccer League, Rechenschaft abgelegt würde.
Dabei sollte das doch eigentlich schon for Jahren geschehen sein. 2022 erfasste ein Missbrauchsskandal, wie er bis heute seinesgleichen sucht, die Liga. Zahlreiche Trainer wurden beschuldigt, ihre Positionen ausgenutzt und Spielerinnen belästigt zu haben.
Der von der Liga beauftragte Yates Report berichtete von einem System, in dem toxisches Verhalten bis hin zu Missbrauch keine Einzelfälle waren, sondern auf allen Ebenen toleriert: Von der Liga, von den Klubs, von Investoren. Die Vereine der NWSL gelobten daraufhin Besserung. Auch die San Diego Wave veröffentlichten damals ein Statement: "Wave FC setzt sich dafür ein, ein sicheres, professionelles, unterstützendes und Weltklasse-Umfeld für alle zu schaffen", schrieb der Klub.
Die San Diego Wave ist erst seit 2022 in der Liga dabei und galt gemeinsam mit dem visionären kalifornischen Klub Angel City als die neue Zukunft der Liga: Klubs, die sich clever vermarkten, frischen Wind bringen, ein cooles Image haben und die Chance, neue, sicherere Strukturen zu schaffen.
Jill Ellis: Schon lange eine umstrittene Figur
Schon 2022 sorgte aber die Reaktion des Klubs auf den Yates Report für Verwunderung. Denn der Name von Präsidentin Jill Ellis wurde in dem Statement nicht genannt - dabei fiel er 13 Mal in dem Bericht. Ellis wurde in dem Yates Report vorgeworfen, ein Teil des Missbrauchs-Systems gewesen zu sein. Ellis hörte in ihrer Zeit als US-Nationaltrainerin, von 2014 bis 2019, von ihren Spielerinnen wie Christen Press von den Missbrauchsvorwürfen.
Gemeinsam mit den Funktionären des Verbands US Soccer entschied sie sich, nichts zu tun. Stattdessen nominierte sie Press daraufhin nicht mehr für das Nationalteam. Auch von anderen Spielerinnen gab es ähnliche Vorwürfe: Megan Rapinoe berichtete in ihrer Biografie, dass Ellis ihr vor dem WM-Finale 2015 ihre schlechtesten Szenen gezeigt hatte, und sie, nach dem Rapinoe als Protest gegen Rassismus während der Nationalhymne kniete, aus dem Team ausschloss.
Die Nationalspielerinnen Sydney Leroux und Ali Krieger berichteten von einem "ungesunden Umfeld". Jill Ellis war Teil eines Systems, das auf Schweigen basierte. Ellis schadete es nicht, sie blieb Präsidentin von San Diego Wave FC.
Schwere Vorwürfe von mehreren Ex-Mitarbeiterinnen
All das war zwar nicht in Vergessenheit geraten, aber zumindest unter einer erneuten Decke des Schweigens verhüllt gewesen - bis am 3. Juli Brittany Alvarado ihren Post absetzte, inzwischen millionenfach aufgerufen. Alvarado arbeitete ab 2023 für den Verein und kündigte vor Kurzem ihren Job als Video- und Kreativmanagerin. In ihrem Statement erklärt sie die Gründe dafür: "Die Behandlung, die wir unter Klubpräsidentin Jill Ellis erleiden mussten, war nicht weniger als lebensverändernd und verheerend für unsere mentale Gesundheit."
Alvarado erhebt schwere Vorwürfe gegen die Präsidentin: "Sie hat zahlreiche Leben in Gefahr gebracht, um ihre narzisstische persönliche Agenda voranzutreiben und damit ein Umfeld geschaffen, in dem missbräuchliche Verhaltensweisen von ihren Untergeordneten gedeihen können." Seit 2021, der Gründung des Teams, seien mehr als 30 Beschäftigte gefeuert worden oder hätten selbst ihren Hut genommen, drei Viertel davon Frauen, schreibt sie.
Alvarado postete auch den Screenshot einer Mail, die sie zehn Tage nach ihrer Kündigung von einer Führungsperson erhalten habe. "Du bist die erbärmlichste Person, die ich je getroffen habe. Du hast anscheinend keine Arbeitsmoral oder Integrität. Wir sind ekstatisch, dass du nicht mehr beim Verein bist", heißt es in der Mail.
Sie richtete eine klare Forderung an die Liga: "Die NWSL muss sofort Maßnahmen ergreifen, um Jill Ellis sowohl von der San Diego Wave als auch aus der gesamten Liga zu entfernen, um endlich die Mitarbeiter und die Spieler zu schützen, die sie viel zu lange vernachlässigt und ignoriert haben", schreibt Alvarado.
Daraufhin gingen auch weitere frühere Angestellte an die Öffentlichkeit und erzählten von ihren Problemen mit mentaler Gesundheit während ihrer Zeit bei der San Diego Wave. "Am Ende hatte ich keine Hoffnung für mein Leben und wollte die meiste Zeit nicht mehr leben", schreibt die frühere Öffentlichkeitsarbeit-Managerin Bernadette O'Donnell.
Der Klub sei mehrmals darüber informiert worden. Die Reaktion: O'Connell wurde gekündigt. Auch die frühere Fotografin Jenny Chuang schrieb, dass sie wegen Suizidgedanken um Hilfe bat, aber stattdessen zur Kündigung gedrängt worden war.
Reaktion des Klubs: Vorwürfe "unzutreffend und verleumderisch"
Die Reaktionen folgten schnell: Wave-Stürmerin Alex Morgan schrieb, sie sei enttäuscht, die Anschuldigungen zu hören. Sie würde weiter daran arbeiten, eine sichere Umgebung, auch für Mitarbeiter, aufzubauen.
Der Verein reagierte sehr anders: In einem Statement nannte der Klub die Vorwürfe "unzutreffend und verleumderisch". Die Mail, die Alvarado gepostet hatte, sei ein Fake, und die Vorwürfe falsch - vor allem die, die sich an Ellis richteten. Der Klub würde, wenn nötig, mit gerichtlichen Mitteln gegen Alvarado vorgehen.
Die Enttäuschung von Fans und Journalisten über die Reaktion des Klubs war groß. Nach dem Missbrauchsskandal war die Hoffnung vieler, dass sich die Strukturen der Frauenfußball-Liga nachhaltig ändern würden und auf ungesunde Machtdynamiken und mentale Gesundheit mehr geachtet würde.
Die NWSL unternahm nach dem Yates Report einige Maßnahmen: Die betroffenen Trainer wurden lebenslang gesperrt, anonymisierte Umfragen unter den Spielerinnen eingeführt. Aber schon damals wurde kritisiert, dass gerade auf der Führungsebene der Klubs kaum Veränderungen passierten. Dabei waren diese Klub-Verantwortlichen im Yates-Report als wichtiges Puzzlestein in einem toxischen System genannt worden.
Der Yates-Report nannte auch die Reaktionen der Klubs auf Missbrauchsvorwürfe als ein Problem: Viele Spielerinnen seien eingeschüchtert worden, ihnen wurde gedroht, sie vor Gericht zu verklagen. Die mangelnde Bereitschaft zur Kooperation und Kritikfähigkeit sei eins der großen Probleme gewesen. Zwei Jahre nach dem Erscheinen des Yates-Reports scheinen diese Probleme noch nicht verschwunden.