US-Frauenfußball: Die absurde Jagd nach der jüngsten Profispielerin
Von Helene Altgelt
Olivia Moultrie wollte doch nur spielen. Fußball spielen. Und zwar nicht auf irgendeinem Bolzplatz in der Provinz, sondern am liebsten auf dem höchstmöglichen Niveau. Auf dem Olymp des amerikanischen Frauenfußballs, bei den Portland Thorns: Bei einem der erfolgreichsten Klubs in der amerikanischen Liga NWSL.
Moultrie war ein Fußball-Wunderkind, bei dem alles doppelt so schnell ging wie bei den anderen. Als Elfjährige bekam sie ein Stipendium, um in North Carolina mit den renommierten Tar Heels College-Football zu spielen. Zwei Jahre später wurde Moultrie von den Thorns verpflichtet, machte als jüngste Spielerin aller Zeiten den Fußball zu ihrem Beruf.
Es gab da nur ein Problem. Moultrie konnte mit dem ersten Team des Westküsten-Klubs trainieren, aber in der Liga spielen konnte sie nicht. Die Regularien der Liga verboten Einsätze von Spielerinnen unter 18 Jahren. So zog Moultrie - unterstützt von ihren Eltern, die zwischendurch auch schon planten, für die Karriere ihrer Tochter nach Europa zu ziehen - gegen die NWSL vor Gericht. Moultrie bekam vor Gericht Recht und wurde schnell Stammspielerin bei den Portland Thorns.
Heute, mit 18 Jahren, hat sie für ihre Karriere wohl alles richtig gemacht. Aber Moultries Klage vor Gericht war auch der Katalysator in einem Prozess, der schon Jahre vorher begonnen hatte: Der Jagd nach Talenten, und zwar nicht nur den besten, sondern auch den jüngsten.
Klage ebnete den Weg: Jagd nach den Jüngsten - Folgen unklar
Längst scouten in Europa Vereine Spielerinnen und Spieler in einem Alter, in dem sie kaum richtig lesen und schreiben können. Fußball-Wunderkinder sind auch auf dem "alten Kontinent" zu Genüge bekannt. Zahlreiche Topspielerinnen in Europa gaben ihr Debüt sehr früh, Vivianne Miedema etwa lief mit 14 Jahren das erste Mal in der niederländischen Liga auf.
In den USA nimmt diese Entwicklung aber noch eine ganz andere Dimension an. Denn während die Spielerinnen in Europa weiter normal zur Schule gehen und Fußball ein Hobby auf sehr hohem Niveau ist, können sie es in Amerika nun sehr früh zu ihrem Beruf machen. Sie bekommen zwar Homeschooling, aber Priorität hat der Fußball. Ab dem frühesten Alter verdienen sie mehr Geld, als sich das eine 13-Jährige tatsächlich vorstellen kann. Sie stehen im Rampenlicht, unter Druck.
Ein Zurück ist schwierig. Wer sich für den direkten Weg in die NWSL entscheidet, kann später etwa nicht mehr College-Fußball spielen. Wie sich dieser Druck auf die Psyche der jungen Talente auswirkt, werden wir wohl erst in zehn Jahren wissen, wenn die Generation um Moultrie schon zu gestandenen Spielerinnen geworden ist. Die Problematik liegt auf der Hand. Die Spielerinnen geben sehr jung ihr altes Leben auf, um einen riskanten Traum zu verfolgen.
Mit 13 können einige Spielerinnen schon exzellente Tore schießen, aber wie sie sich körperlich entwickeln werden, wie sie mit dem Druck umgehen, ob sie Jahre später diesen Traum überhaupt noch verfolgen wollen, all das steht in den Wolken. Mit der Möglichkeit, schon im Kindesalter viel Geld zu verdienen, steigt auch die Gefahr, dass weniger der Traum der Kinder als der Eltern verfolgt wird. In einer Liga, die sich seit dem Missbrauchs-Skandal das Wohlergehen der Spielerinnen auf ihre Fahnen geschrieben hat, wirkt diese Entwicklung fast schon makaber.
NWSL: Jüngste Profi-Spielerin der Geschichte verpflichtet
Für die Klubs der amerikanischen Liga NWSL scheint das zweitrangig. Eine wahre Jagd um die jüngste Verpflichtung der Geschichte hat sich entwickelt. Für die Klubs ist eine solche Verpflichtung Gratis-PR, die Schlagzeilen garantiert - und ein starkes Talent noch dazu. Auf Moultrie folgten bald noch jüngere Spielerinnen, auch im Männerfußball gibt es ein ähnliches Phänomen.
In der MLS debütierte diesen Monat ein 14-Jähriger. Im Frauenfußball geht es sogar noch einen Tacken jünger. Der NWSL-Meister NJ/NY Gotham FC, wo auch die Torhüterin der DFB-Frauen Ann-Katrin Berger spielt, verpflichtete die 13-jährige McKenna "Mak" Whitham. Whitham unterschrieb einen Vertrag bis 2028. Sie hatte bereits davor einen Deal mit Nike in der Tasche und könnte bald ihr Debüt für Gotham geben, trainierte dieses Jahr schon vor der offiziellen Unterschrift mit dem Verein.
Für die Verwirklichung ihres Traums zieht Whitham mehr als 4000 Kilometer aus ihrer Heimat in Südkalifornien weg, nach New York. Der Klub zeigte sich der Problematik bewusst, Managerin Yael Averbuch West betonte die Verantwortung des Vereins: "Wir haben einen wirklich soliden Prozess eingeleitet, um sicherzustellen, dass dies das Richtige für ihr Leben ist, sozial, mental und in jeder Hinsicht", sagte sie gegenüber ESPN.
Sehnsucht nach der Jugend - nicht nur im Fußball
Ob die Entscheidung für Whitham nun die Richtige ist oder nicht - der Trend zur ständigen Verjüngungsjagd im US-Sport setzt sich damit fort. Vielleicht kann in dieser Sehnsucht nach immer jüngeren Verpflichtungen auch eine Analogie zu gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA gesehen werden.
Der Traum nach der ewigen Jugend ist bei den Reichen und Schönen im Silicon Valley verbreitet, Millionäre streben nach dem ersehnten Jungbrunnen, und Promis wie Lenny Kravitz wollen auch mit 60 unbedingt so aussehen, als stünden si e in der Blüte ihrer Jugend. Vielleicht also nur folgerichtig, wenn 60 das neue 50 sein soll, dass dann auch 13 das neue 23 ist.