Turbine Potsdam im DFB-Pokalfinale: Endspiel mit besonderer Bedeutung
Von Helene Altgelt
Wenn Turbine Potsdam am Samstag (16.45 Uhr, ARD & Sky) auf den VfL Wolfsburg trifft, könnten die Rollen nicht viel klarer verteilt sein. Der VfL ist Seriensieger, möchte zum achten Mal in Folge den DFB-Pokal in die Höhe stemmen. Auf der anderen Seite steht Underdog Turbine Potsdam, für den der Pokal die beste Chance auf einen Titelgewinn ist.
Sechs Mal Frauen-Bundesliga Meister, drei Pokalsiege und zwei Champions-League-Triumphe sowie zwei weitere Finalteilnahmen: Die Liste der Erfolge von Turbine Potsdam ist beachtlich. Bloß: All diese Erfolge liegen schon zehn Jahre oder länger zurück. 2014 spielte Potsdam zuletzt international, seitdem scheiterten sie oft knapp an der Qualifikation. Diese Saison wurde die Champions League nicht als das große Ziel ausgegeben, Priorität sollten eine bessere Punktausbeute und Tordifferenz haben.
"Das Wort Champions League nehmen wir gar nicht in den Mund. Unsere Ziele sind klar definiert. Wir wollen weniger Gegentreffer kassieren als letzte Saison, mehr Tore erzielen und mehr Punkte holen."
- Trainer Sofian Chahed vor der Saison
Diese Ziele wurden erreicht: Potsdam holte vier Punkte mehr als letzte Saison und besonders die Tordifferenz verbesserte sich: 2021/22 schoss das Team 52 Tore in 22 Spielen und musste 29 Gegentreffer hinnehmen. Letztes Jahr waren es noch 41 erzielte Tore und 36 Gegentore gewesen. Und doch herrscht keine Ausgelassenheit in Brandenburg vor, denn das Ende der Saison war bitter. Erst auf den letzten Metern verpasste Turbine den dritten Platz, und so bleibt vor allem Enttäuschung.
Das junge Team spielte über weite Strecken der Saison unbekümmerten, direkten Fußball und überraschte so den ein oder anderen Gegner. Bayern München rang Potsdam ein Unentschieden ab, gegen den diesjährigen Champions-League-Teilnehmer Hoffenheim holte das Team in zwei Begegnungen vier Punkte.
Mit den guten Leistungen stellten sich höhere Erwartungen ein, was Chahed auch für das enttäuschende Saisonende verantwortlich macht: "Letztendlich sind wir am eigenen Druck gescheitert", erklärte der Trainer nach der 0:5-Niederlage gegen den FC Bayern im letzten Saisonspiel. Zusätzlich zu dem Druck riss sich Top-Torjägerin Selina Cerci im März das Kreuzband. Mit 13 Toren und vier Assists in 15 Spielen war die 21-Jährige unersetzlich für Potsdam. Gegen schwächere Gegner konnte der Ausfall zunächst noch kompensiert werden, zum Ende hin war das Fehlen der Sturmspitze aber deutlich bemerkbar.
Große Chance Champions League knapp verpasst
Es bleibt das Gefühl, dass diese Saison vielleicht die große Chance für die lukrative Champions-League-Teilnahme war. Allein die Gruppenphase bringt 400.000 Euro, für Vereine von Turbines Kaliber viel Geld. Die finanziellen Sorgen des Traditionsvereins nehmen zu, die Konkurrenzfähigkeit im Kampf um die oberen Plätze ist ohne finanzkräftige Männerabteilung nur schwer zu erhalten. Zusammen mit der SGS Essen wird Potsdam nächste Saison der einzige reine Frauenverein sein. Viele andere sind abgestiegen (Sand) oder mit einem Männerverein fusioniert (Frankfurt und Jena). Selbst ein neues Maskottchen für 3.600 Euro ist für den Club schwer zu stemmen, Potsdam veröffentlichte neulich einen Spendenaufruf.
Ist diese Saison also eine verpasste Chance? Potsdam hat maximal effizient gespielt und alles aus dem Team herausgeholt - eine beachtliche Leistung. Dass es trotzdem nicht gereicht hat, ist ein beunruhigendes Vorzeichen für die Zukunft. Denn diese Effizienz, kombiniert mit hervorragendem Scouting, zu wiederholen ist eine Herkulesaufgabe.
Potsdams gute Verpflichtungen haben sich ausgezahlt, besonders junge Spielerinnen konnten glänzen. Die bereits erwähnte Cerci war auf dem besten Weg zur Toptorjägerin, ihre Sturmpartnerin Melissa Kössler ist Topscorerin der Bundesliga, Kapitänin Sara Agrez zeigte konstant starke Leistungen in der Verteidigung. Genau wie Gina Chmielinski (sechs Tore, vier Assists) oder Dina Orschmann (fünf Tore, zwei Assists) sind sie alle 24 oder jünger. Was die fünf Spielerinnen ebenfalls gemeinsam haben: Ihre Verträge laufen diesen Sommer aus.
Besonders bitter für Potsdam bei diesen Abgängen ist, dass sie keine Transfererlöse bekommen. Die vielen auslaufenden Verträge werfen auch die Frage auf, warum es nicht möglich war, vielleicht in der Winterpause oder schon vorher entweder ein paar Verträge zu verlängern, oder für die Spielerinnen immerhin eine Ablöse zu bekommen.
Agrez und Kössler haben bereits ihre neuen Vereine angekündigt (Wolfsburg und Hoffenheim), auch bei vielen anderen stehen die Zeichen auf Abschied. Insgesamt elf Verträge laufen zum Ende der Saison aus. Potsdam ist ein Traditionsverein mit tollen Fans (Platz zwei in der Zuschauertabelle), aber was Infrastruktur und Gehalt angeht, können sie nicht mit den großen Vereinen mithalten. Während Wolfsburgs Spielerinnen den Sport professionell betreiben können, und auch bei Hoffenheim ein großer Teil nicht arbeiten muss, ist das bei Potsdam nicht der Fall.
Turbine leidet unter den Bedingungen in Deutschland
Anders als die englische Liga - wo sogar in der zweiten Liga ein guter Teil der Vereine professionell ist - ist das in der Frauen-Bundesliga keine Vorschrift und auch nicht die Norm. Die italienische und spanische Frauenliga werden nun professionalisiert, beim DFB ist in seinen Plänen zur Zukunft des Frauenfußballs darüber nichts zu hören. Was dieser Schritt für Vereine wie Potsdam bedeuten könnte, darüber kann nur spekuliert werden. Sicher ist jedoch, dass es für die reinen Frauenfußballvereine in der Zukunft ohne Förderung vonseiten des Verbandes noch deutlich schwerer werden wird.
Angesichts der schwierigen Lage war und ist es auch bei Potsdam intern ein großes Thema, wie die Zukunft angegangen werden soll. Letztes Jahr fand die Präsidentschaftswahl statt, die Rolf Kutzmutz knapp mit 110:100 Stimmen gegen die Ex-Nationalspielerin Tabea Kemme verlor. Der Wahlkampf war hitzig, es kam zu Vorwürfen auf beiden Seiten. Kemme, die für einen Neuaufbruch bei Potsdam plädierte, warf dem Verein etwa vor, den Termin so gelegt zu haben, dass die erste Mannschaft nicht abstimmen konnte. Zudem kritisierte sie die mangelnde Unterstützung vonseiten des Clubs:
"Hier wird mir vereinsschädigendes Handeln vorgehalten, und es werden mir Schuldzuweisungen an Niederlagen der Mannschaft entgegen geworfen."
- Tabea Kemme vor der Präsidentschaftswahl
Verkrustete Strukturen, Defizite in der Nachwuchs- und Öffentlichkeitsarbeit, mangelnde Professionalisierung: Das waren die Kritikpunkte von Kemme, die konkret enger mit Hertha BSC zusammenarbeiten wollte und den Verein mit professionellen Bedingungen wieder attraktiv gestalten wollte. Angesichts des erneuten Umbruchs diesen Sommer scheint es so, als hätte Kemme Recht behalten.
Ein Sieg im Pokalfinale hätte vor dem Hintergrund dieser Probleme eine besondere Bedeutung für Turbine Potsdam. Der Titel wäre ein gutes Argument, um Spielerinnen zu überzeugen, sich dem Club anzuschließen und auch zu bleiben. Auch finanziell wäre ein Sieg natürlich wichtig - die Teilnahme am Finale bringt Potsdam bereits 70.000 Euro ein, der Titel sicherlich noch einiges mehr.
In Zukunft wird es für Turbine Potsdam nur noch schwerer, mit den finanzkräftigen Konkurrenten aus Hoffenheim, Frankfurt und auch Leverkusen mitzuhalten. Das Finale könnte also eine der wenigen Gelegenheiten in naher Zukunft sein, einen Titel zu erringen.
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