Transfercheck beim FC Bayern: Panikkäufe oder langfristige Investitionen?
Von Florian Bajus
Der FC Bayern hat für diese Saison sieben Neuzugänge verpflichtet. Laut Sportvorstand Hasan Salihamidzic steckt hinter jedem Transfer eine Idee - doch ist dem wirklich so? 90min nimmt die neuen Spieler unter die Lupe.
Nach dem Finale furioso ist der Kader des FC Bayern vollständig. Alle Positionen sind doppelt besetzt, Cheftrainer Hansi Flick kann daher rotieren und die Belastung seiner Schützlinge in den kommenden Monaten bestmöglich steuern.
Der ein oder andere Transfer hat allerdings Fragen aufgeworfen, nachdem in den Tagen zuvor andere Namen in der Medienlandschaft kursierten. Welcher Plan wirklich dahintergesteckt hat, wird vermutlich nie jemand erfahren - und am Ende des Tages entscheidet sich ohnehin auf dem Platz, ob sich ein Transfer ausgezahlt hat. Dennoch wirft 90min einen Blick auf die Neuzugänge und wie mit ihnen geplant werden könnte.
1. Alexander Nübel
Alexander Nübels Zukunft ist längst vorbestimmt: Der Neuzugang des FC Schalke 04 soll sich im Schatten von Manuel Neuer weiterentwickeln und eines Tages dessen Nachfolge antreten.
Ähnlich ging der FC Bayern mit Michael Rensing vor, der 2008 in die Fußstapfen von Oliver Kahn treten sollte. Das Eigengewächs wusste aber nicht nachhaltig zu überzeugen und wurde nach nur einer Saison von Routinier Hans-Jörg Butt ersetzt, ehe Neuer im Jahr 2011 verpflichtet wurde.
Nübel wird eine große Zukunft prophezeit, hat jedoch erst 46 Bundesligaspiele hinter sich. Gerade für einen jungen Spieler ist Spielpraxis wichtig, der 24-Jährige wird die nächsten Jahre aber auf der Bank verbringen. Ob er bereit für die Neuer-Nachfolge ist, wird sich zeigen, sobald der Kapitän seine Karriere beendet. De facto ist Nübel aber langfristig eingeplant.
2. Tanguy Nianzou
Auch Tanguy Nianzou ist ein Transfer für die Zukunft. Der 18-jährige Franzose galt als eines der größten Talente bei Paris St. Germain, der Ärger und das Unverständnis über den Wechsel zum FC Bayern war daher insbesondere bei Trainer Thomas Tuchel riesig.
Ende September bezeichnete Ralf Rangnick Nianzou bei Sky90 als "eines der größten Abwehrtalente, die ich je gesehen habe". Der Innenverteidiger, der auch im defensiven Mittelfeld agieren kann, werde "spätestens in ein bis zwei Jahren Stammspieler sein."
Aktuell laboriert Nianzou an einer Verletzung am Oberschenkel, laut Sport1 soll er behutsam aufgebaut werden. Sollte sich Rangnicks Prophezeiung erfüllen, könnte er in die Fußstapfen von Jerome Boateng treten, dessen Vertrag nach dieser Saison ausläuft. So oder so soll er in einigen Jahren eine wichtige Rolle einnehmen.
3. Leroy Sané
Um Leroy Sané hat der FC Bayern ein Jahr lang gekämpft, im Juli konnte der Rekordmeister schließlich Vollzug melden: Für eine Ablösesumme von knapp unter 50 Millionen Euro wurde der Flügelspieler von Manchester City verpflichtet.
Mit Sané erhalten die Münchner einen Hochkaräter, der längst nicht am Ende seiner Entwicklung angekommen ist und nach seinem Kreuzbandriss Zeit benötigt. Aktuell fehlt der deutsche Nationalspieler aufgrund einer Kapselverletzung, doch genau wie Nianzou wird auch ihm die nötige Zeit gegeben, um 100 Prozent fit zu werden.
Sané soll der neue Star werden, erhielt deshalb die Rückkennummer 10, die zuvor zehn Jahre lang von Arjen Robben (2009-2019) getragen wurde. Auf und neben dem Platz nimmt er eine extrem wichtige Rolle ein. Und bei der Transfer-Saga kann nicht die Rede von einem Panikkauf sein.
4. Marc Roca
Auch Marc Roca stand bereits im vergangenen Jahr auf dem Wunschzettel der Bayern-Verantwortlichen, die damals von Espanyol Barcelona aufgerufene Ablösesumme in Höhe von 40 Millionen Euro war man aber nicht bereit zu zahlen.
Bei der Suche nach einem Mittelfeldspieler kam Sportvorstand Hasan Salihamidzic wieder auf Roca zurück - und weil Espanyol in die zweite spanische Liga abgestiegen ist und jede Finanzspritze gebrauchen kann, einigten sich beide Klubs übereinstimmenden Medienberichten zufolge auf eine Sockelablöse in Höhe von neun Millionen Euro sowie Bonuszahlungen über sechs Millionen Euro.
Rocas Vorbild ist Xabi Alonso. Vergleiche mit dem Ex-Bayern-Star (2014-2017) sind in Spanien keine Seltenheit, auch mit Barça-Ikone Sergio Busquets wird der defensive Mittelfeldspieler häufiger verglichen. "Ein feiner Fußballer mit einem richtig guten Passspiel, der enge Situationen gut aufzulösen versteht", sagte Salihamidzic im Interview mit dem kicker über Roca. "Er ist noch jung, er muss sich bei uns weiterentwickeln, er muss unseren Fußball verstehen und fördern", betont der Sportvorstand. Das klingt nicht nach einem Paniktransfer.
5. Eric Maxim Choupo-Moting
Etwas spontaner war der Transfer von Eric Maxim Choupo-Moting. Bekanntgegeben wurde die Verpflichtung des ehemaligen Bundesliga-Stürmers (Hamburger SV, 1. FC Nürnberg, Mainz 05, Schalke 04) am letzten Tag des Transferfensters. Joshua Zirkzee sollte daraufhin verliehen werden, jedoch wurde kein Abnehmer für den jungen Niederlänger gefunden.
Womöglich haben die Verantwortlichen ausgerechnet bei der 1:4-Niederlage gegen die TSG Hoffenheim gemerkt, dass Zirkzee allein als Backup für Robert Lewandowski nicht ausreicht. Der 19-Jährige begann in der Startelf, hatte aber Schwierigkeiten gegen die kompakte und aggressive Verteidigung der Hoffenheimer.
Choupo-Moting überraschte bereits vor zwei Jahren mit seinem Wechsel zu Paris St. Germain. Sein einstiger Förderer Tuchel wollte ihn als Backup für die Offensive. Der 31-Jährige freundete sich mit seiner neuen Rolle an, stellte eigene Bedürfnisse hintan und arbeitete jeden Tag dafür, bereit zu sein, wenn er gebraucht wird.
Eine ähnliche Rolle nimmt er nun auch in München ein. In der Bundesliga wird er Lewandowski einige Male vertreten müssen, in der Champions League genießt wiederum Europas Fußballer des Jahres den Vorzug. Beide Parteien einigten sich vorerst auf einen Vertrag bis Saisonende, sollte Choupo-Moting überzeugen, könnte dieser aber um ein weiteres Jahr verlängert werden. Ein Hintergedanke ist demnach klar zu erkennen, der Zeitpunkt deutet allerdings darauf hin, dass es die Bayern eilig hatten.
6. Bouna Sarr
Über Bouna Sarr war am ehesten gestaunt worden. Der Rechtsverteidiger ist für zehn Millionen Euro von Olympique Marseille verpflichtet worden und soll Benjamin Pavard auf der rechten Abwehrseite unterstützen.
Zuvor wurden junge Spieler wie Sergino Dest (FC Barcelona), Max Aarons (Norwich City) und Tariq Lamptey (Brighton & Hove Albion) mit den Bayern in Verbindung gebracht, den Gerüchten zufolge standen bei allen drei Spielern aber 20 Millionen Euro Ablöse oder mehr im Raum. Auch mit Ridle Baku sollen sich die Münchner beschäftigt haben, der Mainzer entschied sich jedoch für den VfL Wolfsburg.
Genau wie bei den Transfers von Roca und Choupo-Moting war Sarr in der deutschen Berichterstattung kein Name, der im Zuge der Rechtsverteidiger-Suche gefallen ist. Die Handlungsschnelligkeit der Verantwortlichen deutet aber darauf hin, dass er als einer der zahlreichen Alternativen auf dem Zettel gestanden hat.
Möglicherweise war der 28-Jährige nicht die erste Wahl, aber es handelt sich einerseits um eine wirtschaftlich sinnhafte Lösung und andererseits um einen Spieler, der defensiv solide steht und über ein hohes Tempo verfügt. Gut möglich, dass Sarr in die Fußstapfen des früheren Edelreservisten Rafinha treten wird.
7. Douglas Costa
Callum Hudson-Odoi galt als Wunschtransfer von Salihamidzic für die Außenbahn, doch mit dem FC Chelsea wurden sich die Münchner wieder einmal nicht einig. Anschließend berichtete der kicker vom Interesse an Douglas Costa - einen Tag später gaben die Bayern bekannt, dass der Brasilianer von Juventus Turin zurückkehren wird.
Der Transfer birgt ein äußerst geringes Risiko. Eine Leihgebühr wurde nicht fällig, eine Kaufoption oder -pflicht nicht vereinbart. Lediglich das Jaresgehalt muss der deutsche Rekordmeister übernehmen. Außerdem kennt Costa den Verein und das Umfeld, schließlich spielte der 30-Jährige bereits von 2015 bis 2017 bei den Bayern.
Diese Eigenschaften können darauf hindeuten, dass Costa eine Art Paniktransfer war; aber auch bei diesem gab es einen Hintergedanken. Mit Costa, Sané, Serge Gnabry und Kingsley Coman verfügen die Bayern über ein torgefährliches Flügel-Quartett, dahinter steht Jamal Musiala bereit, der ab sofort aber als Backup für Thomas Müller auf der Zehn fungieren dürfte.
Sollte Costa nicht überzeugen, wird er wieder nach Turin zurückkehren. Spielt er in dieser Saison wie in den ersten sechs Monaten nach seiner Ankunft im Sommer 2015, dann könnten beide Vereine über einen festen Transfer verhandeln. Trotz einer gewissen Spontanität ist auch hier alles möglich.