Trainer-Kandidaten bei Real Madrid: Was für Raúl und gegen Löw spricht

Joachim Löw beim WM-Qualifikationsspiel in Rumänien
Joachim Löw beim WM-Qualifikationsspiel in Rumänien / Alexander Hassenstein/Getty Images
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Eine der großen und weiterhin unbeantworteten Fragen rund um Real Madrid berührt das Traineramt. Der Vertrag von Zinédine Zidane läuft im nächsten Jahr aus - und noch immer steht nicht fest, ob der Franzose nach Ablauf der laufenden Saison weiterhin an der Seitenlinie der blancos stehen wird. Im Rennen um den Posten haben sich bislang zwei Namen herausgeschält: Joachim Löw und Raúl González Blanco.


Einem Vergleich zwischen beiden sei vorangestellt, dass die Erfüllung des Vertrages des aktuellen Übungsleiters von Klubseite her die wünschenswerteste ist. Zidane ist mit seinen vier Champions League-Titeln (einen als Spieler, drei als Trainer) eine absolute Vereinslegende, für viele Fans auf einer Höhe mit anderen Ikonen der Klubgeschichte wie Puszkas, di Stéfano, Gento oder eben selbiger Raúl.

Erfolg - bei Real kein Wunsch, sondern Pflicht!

Aber Real ist eben auch ein ständig Getriebener. Getrieben von den eigenen großartigen Erfolgen der Vergangenheit. Adel - zumal königlicher - verpflichtet eben! Im tagtäglichen Fußball-Business übersetzt sich diese Tradition in den permanenten Anspruch, Erfolg zu haben.

Und dieser Begriff, "Erfolg", wird in kaum einem anderen Verein auf der Welt so eng interpretiert wie beim - offiziell - "besten Klub des 20. Jahrhunderts". Der Gewinn einer Meisterschaft? Ja, schön. Bedeutet ja auch immer, den Erzrivalen aus Barcelona im "Wettbewerb der Beständigkeit" hinter sich gelassen zu haben. Der heimische Pokal? Na ja, wenn es sonst nichts gibt...

Das "Problem" der Verantwortlichen: wer 13 Champions-League-Trophäen in seinem Vereinsmuseum stehen hat - und damit mehr als jeder andere Klub in Europa - kann sich schlecht hinstellen und das Erreichen des Viertel- oder Halbfinales der Königsklasse (der Name sagt es ja schon!) als Zielsetzung ausgeben.

Im Gegenteil: Jahr für Jahr muss die Mannschaft eigentlich alle Titel, um die sie spielt, gewinnen. Vor allem den Henkelpokal. Und wenn es tatsächlich mal ein oder zwei oder mehr Jahre nicht klappen sollte, wird die Forderung im Folgejahr nur um so lauter.

Das alles muss man wissen, wenn man diesen Klub verstehen will. Einem Raúl muss man das nicht mehr erklären - er hat es während seiner 16-jährigen Profi-Karriere in Weiß am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Man muss die Landessprache nicht nur sprechen - sondern beherrschen!

Wenn aber Joachim Löw nun denkt, mit ein paar Stunden Spanisch-Unterricht sei es getan, dann sei er vorgewarnt. Im Bernabéu sind schon ganz andere Kaliber gescheitert. Und nicht selten war der linguistische Faktor einer der Mitgründe dafür.

Es ist eine Sache, ein paar Sätze semantisch und grammatikalisch sinnvoll aneinanderzureihen - eine komplett andere, eine Sprache so zu beherrschen, dass man auch die Subtöne innerhalb eines Kaders wahrnimmt. Auch Nähe zu den Spielern kann dauerhaft nur entstehen, wenn man sich sprachlich auf Augenhöhe begegnet.

Und ohne dem Spanischen eine exorbitante Kompliziertheit attestieren zu wollen (mit Sicherheit ist es für einen Spanier schwieriger, deutsch zu lernen) reicht der Fundus eines dreimonatigen Kurses in der Regel nicht aus, um die unterschiedlichsten Egos innerhalb eines Teams zu einem harmonischen Kollektiv zu formen.

Selbst zum Weltmeister-Glück musste Löw "gezwungen" werden

Hinzu kommt der Status an sich. Ja, Löw ist 2014 Weltmeister geworden. Doch diese unumstößliche Wahrheit sagt eigentlich nichts anderes, als dass er geschafft hat, aus den Besten eines Landes (in diesem Fall Deutschland) ein gut aufeinander abgestimmtes System zu entwickeln. Den Rest haben dann die Spieler auf dem Feld erledigt.

Bei großen Erfolgen großer Mannschaften kommen bisweilen zynische Stimmen auf, die behaupten, dass selbst der Platzwart aus Mannschaft X oder Y einen Champion gemacht hätten. Und wir wollen, bei aller Wertschätzung für Löws Verdienste, auch nicht vergessen, dass es bei der WM in Brasilien erst der Verletzung (und des anschließenden Ausfalls für das restliche Turnier) eines Shkodran Mustafi bedurfte, damit Löw das "Experiment" mit Philipp Lahm als Mittelfeldspieler wieder verwarf.

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Der Moment, als für Mustafi im Achtelfinale gegen Algerien nichts mehr ging (neben ihm Dr. Müller-Wohlfahrt) / GABRIEL BOUYS/Getty Images

Mit Lahm auf seiner angestammten Position auf der rechten Abwehrseite fing sich die deutsche Elf ab dem Viertelfinale nur noch ein Gegentor - das 1:7 von Oscar beim Mineirazo von Belo Horizonte.

Löws wenig glamouröse Vita als Vereinscoach

Erfahrungen als Vereinstrainer hat Löw vor über zwanzig Jahren beim VfB Stuttgart (mit dem er 1997 Pokalsieger wurde), danach in einer international eher unterdurchschnittlichen Liga wie der türkischen (bei Fenerbahce) und anschließend im jährlichen Wechsel bei Klubs wie dem KSC, Adanaspor, Tirol Innsbruck (wo er 2002 österreichischer Meister wurde) und Austria Wien gesammelt. Für den Glamourfaktor, bei Real nicht ganz unbedeutend, eindeutig zu wenig.

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Hier tauschen Giovane Élber und Joachim Löw Erinnerungen an gemeinsame Stuttgarter Zeiten aus / JOHN MACDOUGALL/Getty Images

Anschließend, ab 2004, war er siebzehn Jahre lang an einen Rhythmus gewöhnt, der ihn "nur" alle drei oder vier Monate plus alle zwei Jahre über drei oder vier Wochen hinweg forderte, Leistungen abzuliefern. In der spanischen Hauptstadt müsste sich Löw von innen her komplett re-setten, um den dortigen Ansprüchen gerecht zu werden.

Und fragen wir doch mal, rein hypothetisch, die Fans von großen Klubs hierzulande. Zum Beispiel die des FC Bayern: wen hätten sie wohl lieber - einen Trainer, der aus den eigenen Reihen kommt, als Spieler womöglich für viele Erfolge des Klubs mitverantwortlich gezeichnet hat - oder den ausländischen Weltmeister-Trainer aus dem Jahr XY?

Raúl emotionaler (und uneinholbarer) Vorteil

Oder anders gefragt: wer glaubt wirklich, dass einem Bastian Schweinsteiger ein Didier Deschamps oder ein Vicente del Bosque (gleiche Qualitäten als Trainer vorausgesetzt!) vorgezogen würde? Genau - keiner! Und genau diesen emotionalen Nachteil gegenüber einer Figur wie Raúl - einen Nachteil, den Löw auch nie wird aufholen können - muss er mit noch mehr Überzeugungsarbeit im tagtäglichen Geschäft versuchen, zu kompensieren. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, Monat für Monat.

Und ja, bei Real gucken sie vielleicht auch noch mehr als in anderen Klubs auf das, was man Erscheinungsbild nennt. Damit ist gar nicht die reine Physis gemeint (man muss kein Modell sein um Real zu trainieren) sondern der Habitus, der Gestus. Etwas Herrschaftliches (die Spanier nennen es "señorial"), etwas Erhabenes muss den Trainer umgeben. Sich vor laufender Kameras bestimmter Sekrete zu entledigen, gehört auf keinen Fall dazu.

Den Trainer Zidane umgibt dieses Fluidum des beinahe Unantastbaren schon allein aufgrund seiner unfassbaren Qualität als Spieler und seiner mit Titeln gespickten Fußballer-Karriere. Dasselbe gilt, in etwas geringerer Form, für Raúl (der auf Länderebene nie etwas gewinnen konnte).

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Zwei Real-Legenden bejubeln ein Tor: Raúl und Zidane / PIERRE-PHILIPPE MARCOU/Getty Images

Es ist eben schon was anderes, ob dir in der Kabine eine absolute Legende der Fußball-Historie gegenüber steht und von dir etwas einfordert - oder eben "nur" ein recht erfolgreicher Verbandstrainer, der als Spieler aber nie über das Mittelmaß der Bundesliga hinausgekommen ist.

Jetzt könnte man sagen: Arrigo Sacchi war ebenfalls kein großer Spieler - als Trainer des AC Mailand aber ist er zur Legende geworden. Stimmt! Aber genauso wahr ist es halt auch, dass selbst diesem innerhalb seines Gremiums unantastbaren Übungsleiter in Madrid (und er trainierte von 1998 bis 1999 "nur" Reals Stadtrivalen Atlético) kein Glück während dieser Etappe beschieden war.

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Beim AC Mailand ein Messias, bei Atlético glücklos: Arrigo Sacchi (hier mit Atléticos Präsidenten Jesús Gil y Gil) / DOMINIQUE FAGET/Getty Images

Egal wie groß die Erfolge des jeweiligen Kandidaten in der Vergangenheit waren - bei Real werden die Uhren immer wieder auf Null gestellt. Und nur sehr wenigen Akteuren (und auch nur wenn sie Stallgeruch haben) wird ein bestimmtes Maß an Geduld zugestanden. Wie eben Zidane. Wie vielleicht in der Zukunft Raúl. Einem Joachim Löw würde dieses Privileg nicht zuteil.