Teroddependenz beim HSV? Nur bedingt!
Von Guido Müller
Seit zwei Spielen hat Top-Torjäger Simon Terodde nicht mehr für den HSV getroffen. Rund um den Volkspark macht sich deswegen aber keine Unruhe breit.
Schließlich bietet das Gesamtpaket Terodde auch Vorlagen (oder im heutigen Sprachgebrauch, Scorerpunkte) an. Und in dieser Facette lieferte er auch beim gestrigen 3:1-Sieg gegen Paderborn wieder ab.
Doch wie hoch ist denn nun der Anteil des 32-Jährigen an der Erfolgswelle, auf der der HSV - mit Ausnahme der November-Auszeit - seit Saisonbeginn schwimmt? Tatsächlich so hoch, dass ein längerer Ausfall des Bocholters einen Leistungs- (und damit Ergebnis-)Einbruch der ganzen Mannschaft verursachen würde?
Guckt man auf die nackten Zahlen, ist diese Befürchtung eher unbegründet. Ohne jeden Zweifel waren und sind die Tore Teroddes wichtig. Sehr wichtig sogar. Jedes einzelne von ihnen.
Terodde im Impact-Ranking nur auf Rang acht
Doch wahr ist eben auch, dass er von den bislang 43 zu Buche stehenden Liga-Treffern des HSV an 20 beteiligt war (17 Treffer, 3 Vorlagen). Das ergibt eine Ratio von 46,5 Prozent. Ligaweit liegt der HSV-Stürmer damit “nur” auf Rang acht.
Spitzenreiter in dieser Wertung ist Osnabrücks Sebastian Kerk, dessen Torbeteiligungen (14 Scorerpunkte bei 20 geschossenen Toren der Niedersachsen) einen Anteil von sagenhaften 70 Prozent ausmachen.
Kerk folgen im Ranking Christian Kühlwetter vom 1.FC Heidenheim (60,9 Prozent), Marvin Ducksch von Hannover 96 (57 Prozent), Florian Krüger und Pascal Testroet von Erzgebirge Aue (jeweils 55,55 Prozent), Simon Zoller vom VfL Bochum (51,4 Prozent) und Tobias Kempe von Darmstadt 98 (50 Prozent). (Quelle: kicker.de Stand 30.1.2021)
(Zur Klärung: ein Scorerpunkt wird einem Spieler auch zugeschrieben, wenn er vor einem verwandelten Elfmeter oder Freistoß derjenige war, der zuvor gefoult wurde.)
Wenn der HSV also von seinem Top-Scorer abhängig ist, sind es seine Verfolger allesamt ebenfalls. Und in noch viel höherem Maße.
Zusätzlich entwickelt sich bei den HSV-Gegnern eine psychologische Eigendynamik. Denn mit seinen 17 Treffern in nunmehr 19 Spielen bleibt Terodde natürlich in jeder gegnerischen Analyse der absolute Referenzwert.
Terodde bindet mehrere gegnerische Abwehrspieler - und schafft somit Räume für andere
Was wiederum für andere HSV-Spieler nur von Vorteil sein kann. Denn die Fixierung darauf, die Terodde´sche Tormaschinerie irgendwie aufzuhalten (was sich nicht selten in einer doppelten oder gar dreifachen Bewachung für Terodde widerspiegelt), zieht zwangsläufig mehr Freiräume für Teroddes Kollegen in der HSV-Offensive nach sich. Nicht umsonst weist der HSV die meisten unterschiedlichen Torschützen (12) in dieser Saison auf.
Ich wage sogar mal folgende Behauptung: Terodde müsste bis Saisonende gar nicht mehr treffen - und hätte dennoch einen gewaltigen Anteil am positiven Saisonverlauf, der (hoffentlich) in den Aufstieg in die Bundesliga mündet.
Mit 17 Treffern in 34 Spielen, was einer 50 Prozent-Quote entspricht, wäre er immer noch einer der gefährlichsten Angreifer der Liga. Und wenn er nicht selbst einnetzt - legt er eben auf. Und andere Torschützen springen für ihn in die Bresche.
Gegen Osnabrück gelang Jatta ein Doppelpack, in Braunschweig traf Kinsombi doppelt genauso wie Kittel gestern gegen Paderborn. Von den insgesamt 12 Toren, die der HSV in diesen drei Spielen erzielt hat, ging nur eines auf das Konto von Terodde. Einen nachteiligen Effekt auf die Torgefährlichkeit der Hamburger hatte diese “Krise” ihres Top-Torjägers dennoch nicht.
Keine Neuzugänge im Winter - eine gute Entscheidung
Und genau deshalb halte ich es auch für nachvollziehbar und richtig, dass der HSV in diesem Winter keine Transfers tätigen wird.
Denn es stimmt anscheinend im Kader. Die Mannschaft folgt ihrem Coach in einem Maße, wie es in den bisherigen zweieinhalb Jahren Zweitligazugehörigkeit nie der Fall war.
Während Christian Titz im ersten Jahr im Unterhaus noch von seinem Beinahe-Retter-Bonus aus Bundesliga-Zeiten zehrte, die Mannschaft jedoch mit dem System des mitspielenden Torwarts schlichtweg überforderte (spielerisch wie mental), und Titz´ Nachfolger Hannes Wolf irgendwie immer etwas zu verkrampft rüberkam, scheiterte der letztjährige Übungsleiter Dieter Hecking an seiner eigenen Sturheit und daran, nicht alle im Kader mitgenommen zu haben.
Quasi-Neuzugänge Kinsombi und Narey
Spieler wie Khaled Narey oder David Kinsombi spielten gegen Ende von Heckings Schaffenszeit in der Hansestadt nur noch eine Statistenrolle - und blühen nun plötzlich wieder auf.
Daniel Thioune hat es geschafft (als erster HSV-Trainer seit langer Zeit), jeden einzelnen Spieler im Kader um sich zu scharren. Das ging zwar zu Beginn der Saison bisweilen auf die Ordnung im Team, wenn Thioune wieder einmal 16 Spieler in den Genuss der Punktprämie kommen lassen wollte, stellt sich aber auf Strecke als vorteilhaft für den Klub heraus.