Systematischer Missbrauch im US-Frauenfußball: Untersuchung belastet Trainer, US Soccer und Klubs

Paul Riley und Rory Dames sind zwei der Trainer, die im Zentrum des neuen Berichts stehen. Untereinander verstanden sie sich wohl gut
Paul Riley und Rory Dames sind zwei der Trainer, die im Zentrum des neuen Berichts stehen. Untereinander verstanden sie sich wohl gut / Andy Mead/ISI Photos/GettyImages
facebooktwitterreddit

Nachdem letztes Jahr zahlreiche Missbrauchsvorwürfe in der amerikanischen Frauenliga (NWSL) publik geworden waren, hatte der Verband US Soccer eine unabhängige Untersuchung in Auftrag gegeben. Der Bericht, unter der Leitung von Anwältin Sally Yates geschrieben, legt weitere Missbrauchsfälle offen und zeigt, dass Verband und Liga die Spielerinnen nicht genug schützten. Er belastet besonders US Soccer und Klub-Eigentümer, die von den Vorwürfen wussten, schwer.


Der komplette, 156-seitige Bericht kann hier gefunden werden. Trigger-Warnung: In der Untersuchung werden einige Missbrauchszenen geschildert, deren Inhalt teilweise auch hier wiedergegeben wird.

Hintergrund der Untersuchung

Im Oktober 2021 hatte das amerikanische Sportmedium The Athletic einen Bericht veröffentlicht, der Paul Riley, damals Trainer von North Carolina Courage, schwer belastete. Mehrere Opfer von Riley kamen darin zu Wort. Sie erzählten von seinem verbalen und sexuellen Missbrauch, der jahrelang von verschiedenen Seiten ignoriert wurde. Daraufhin wurde Riley entlassen, der Bericht löste eine Welle an Empörung und weitere Vorwürfe gegen andere Trainer und gegen den Verband, die Liga und die Klub-Eigentümer aus. Insgesamt fünf Trainern wurde 2021 Missbrauch vorgeworfen.

Der Verband, US Soccer, gab daraufhin eine Untersuchung in Auftrag, um die eigene Rolle in den Missbrauchsfällen aufzuarbeiten und weitere Verstrickungen offenzulegen. US Soccer versicherte, dass die Autorin des Berichts, Sally Yates, alle Freiheiten bei der Untersuchung habe und ein kritischer Blick von außen gewollt sei.

Das Fazit der Untersuchung lautet nun, dass der Verband die Spielerinnen nicht genug geschützt hat. Der strukturelle Missbrauch wird anhand der Vorwürfe gegen drei Trainer erläutert, zudem gibt der Bericht Vorschläge zur zukünftigen Prävention. Insgesamt wurden während einem Jahr Hunderte Interviews geführt, um Missbrauch auf verschiedenen Ebenen aufzudecken.

Schwere Vorwürfe gegen Christy Holly, Paul Riley und Rory Dames

Drei ehemalige Trainer stehen im Zentrum der Untersuchung: Christy Holly, Paul Riley und Rory Dames. Allen drei Trainern wurde jahrelang Missbrauch vorgeworfen und die Vorwürfe dem Verband und / oder dem Verein berichtet. In allen Fällen passierte dennoch nichts. Alle Trainer konnten weitere Stellen annehmen, selbst nachdem bereits Vorwürfe gegen sie laut geworden waren.

Christy Holly

Christy Holly
Christy Holly, früherer Trainer von Racing Louisville / Howard Smith/ISI Photos/GettyImages

Christy Holly ist der ehemalige Trainer von Sky Blue FC und Racing Louisville. Holly wurde 2017 von Sky Blue FC entlassen, wegen einer Beziehung mit einer Spielerin und verbalem Missbrauch. In dem offiziellen Statement war davon aber nichts zu hören, stattdessen war von einer einvernehmlichen Trennung die Rede. Ein Muster, das sich in vielen Fällen wiederholte. Eine Spielerin von Gotham (das frühere Sky Blue), Michelle Betos, sagte nach der Veröffentlichung des Berichts, dass Präsident James O'Connor, heute immer noch im Amt, sich auf die Seite von Holly geschlagen habe.

Das trotz gravierender Vorwürfe, auch schon bei Sky Blue FC - und bei seinem nächsten Verein wurde Hollys Verhalten nur noch schlimmer: Holly bestellte während seiner Zeit bei Louisville mehrmals eine Spielerin zu sich, unter dem Vorwand, ihr Spielmaterial zu zeigen und zu analysieren. In Wirklichkeit zeigte er ihr einmal pornographischen Inhalt und masturbierte dabei. Ein anderes Mal berührte er sie an den Brüsten, wenn sie einen Fehler auf dem Video gemacht hatte. 2021 wurde Holly von Louisville entlassen.

Paul Riley

Paul Rileys Missbrauch von Spielerinnen war ein "offenes Geheimnis", wie der Bericht sagt. Trotzdem konnte er drei NWSL-Teams trainieren. Von 2015 bis 2021 gingen Beschwerden bei der Liga und dem Verband ein. Es passierte: nichts. Der frühere Präsident Sunil Gulati und Jill Ellis, damals Nationaltrainerin, wurden über Rileys Verhalten informiert, wurden aber auch nicht aktiv. Gulati tat die Vorwürfe als "normales Verhalten eines Profitrainers" ab. Riley zwang mindestens drei Spielerinnen zu einer sexuellen Beziehung mit ihm. Sein erster Verein in der NWSL, die Portland Thorns, entließen ihn nach einer vereinsinternen Untersuchung. Im Statement war erneut von nichts davon die Rede, die Thorns erklärten, sein Vertrag sei nicht verlängert worden.

Rory Dames

Über Dames gingen schon früh Beschwerden ein, als er noch ein Jugendteam trainierte. Damals habe er ein sexualisierendes Umfeld geschaffen, wobei in mehreren Fällen die Linie zu sexuellen Beziehungen überschritten wurde. Das hinderte Dames aber nicht daran, weiter seine Karriere zu verfolgen und die Chicago Red Stars zu trainieren. Auch sein Verhalten wurde schon vor Jahren, 2014, an US-Soccer-Präsident Gulati und Jill Ellis gemeldet, auch hier passierte: nichts. 70% der Spielerinnen der Red Stars gaben gegenüber einem Sportpsychologen an, emotionalen Missbrauch durch Dames entweder selbst mitbekommen oder erlitten zu haben. Dames durfte freiwillig zurücktreten, er besitzt weiterhin einen Jugendklub in Chicago.

Viele Spielerinnen hätten das nicht erleiden müssen, Dames bot nach den ersten Vorwürfen bei den Red Stars sogar seinen Rücktritt an. Aber der Eigentümer, Arnim Whisler, lehnte das ab und wollte ihn um jeden Preis als Trainer behalten. Er schob die Schuld stattdessen den Spielerinnen zu und sagte, sie wollten die Liga zerstören. Bis heute beteuert er, nichts von dem Missbrauch gewusst zu haben. Zahlreiche Spielerinnen bestreiten das aber. Als Antwort auf eine Beschwerde habe Dames gesagt: "Rory ist halt Rory, so ist das nun mal."

Der Fall Portland Thorns: Missbrauch auf mehreren Ebenen geduldet

Die Portland Thorns, Paul Rileys Ex-Klub, werden im Bericht als "unkooperativ" beschrieben, was die Veröffentlichung verzögerte. Gleiches gilt auch für Racing Louisville und die Chicago Red Stars, die sich weigerten, Dokumente offenzulegen. Bei den Portland Thorns gehen die Vorwürfe aber am weitesten. Der frühere Direktor, Gavin Wilkinson, schlug sich trotz der Ergebnisse der internen Untersuchung auf Rileys Seite. Im Gespräch mit dem Vizepräsidenten von Western New York Flash, der nach einem neuen Trainer suchte, sagte Wilkinson, dass Riley "von der Spielerin in eine schlechte Position gebracht wurde". Er selbst würde ihn wieder einstellen. Der Eigentümer der Thorns, Merritt Paulson, schrieb in einer E-Mail an den Präsidenten von Flash, dass er "viel Zuneigung" für Riley habe.

Nachdem Riley, auch wegen dieser Empfehlungen, dort eingestellt und wieder entlassen wurde, war er wieder auf dem Trainermarkt. Thorns-Eigentümer Paulson sagte dem Eigentümer von North Carolina Courage, dass Riley in der internen Untersuchung als weitestgehend unschuldig befunden wurde - eine glatte Lüge. Der Geschäftsführer der Thorns, Mike Golub, fiel ebenfalls mit sexistischem Verhalten auf und fragte etwa die Trainerin Cindy Parlow Cone 2013: "Was steht auf deiner Bucket List, außer mit mir zu schlafen?" Auch in den Jahren danach habe er für eine "Atmosphäre der Respektlosigkeit gegenüber Frauen" gesorgt.

Versagen auf allen Ebenen

Die Spielerinnen in den USA sind durch das Franchise-System nicht bei den Vereinen direkt angestellt, sondern bei der NWSL - früher war der Verband in dieser Rolle. Das gibt der Liga eine besondere Verantwortung, der sie aber nicht gerecht wurde. Die frühere Kommissionarin der NWSL, Lisa Baird, hatte es sich etwa auf die Fahnen geschrieben, gegen Missbrauch kämpfen zu wollen. Die Realität sah anders aus: Die Beschwerden über Missbrauch wurden ignoriert, Baird versuchte sogar, Riley in der Trainer-Position zu halten.

Dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, macht der Bericht mehrmals klar. Zu ähnlich sind die Muster, die immer wieder auftauchen: Trainer, die einen Status wie ein Gott haben und vom Verein völlig unterstützt werden, oft mit den Bossen befreundet sind. Spielerinnen, denen nicht geglaubt wird oder deren Erfahrungen verharmlost werden. Umfragen unter Spielerinnen, die klar den Missbrauch identifizieren und trotzdem kein Gehör finden. Eine Liga, die mehr auf ihr eigenes Image aus ist als auf tatsächliche Aufklärung. Am Ende eine Trennung, die es den Tätern erlaubt, nahtlos bei einem anderen Verein weiterzumachen.

Diese Strukturen, auch das betont die Untersuchung, beschränken sich nicht auf die Profiliga. Es ist ein System des Missbrauchs, das, wie Dutzende bezeugen, schon in den Jugendligen anfängt. Die Trainer haben dort wie auch später fast vollkommene Macht über die Karriere der Spielerinnen. Der Bericht fordert daher vor jeder Einstellung einen gründlichen Check der bisherigen Stationen des Trainers, der über Gespräche von befreundeten Klub-Eigentümern hinausgeht. Zudem werden jährliche Umfragen unter Spielerinnen empfohlen, denen ein tatsächliches Gewicht zugemessen wird.


Folgt uns für mehr Frauenfußball bei 90min:

Twitter:@FF_90min
Podcast: Raus aus dem Abseits

Alle News zum Frauenfußball hier bei 90min:

Alle Frauenfußball-News
Alle DFB-News
Alle Frauen-Bundesliga-News