"Es wird ein Hauen und Stechen" - SGS Essen-Trainer Markus Högner im Gespräch

Lukas Schulze/GettyImages
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"Letztes Jahr war unser Ziel ganz klar, erstmal den Klassenerhalt zu schaffen", betonte Markus Högner. Der Trainer der SGS Essen blickt zurück auf eine durchwachsene Zeit mit dem Verein, der am Ende der Saison 2021/22 tatsächlich erstklassig blieb. In wenigen Wochen beginnt die neue Spielzeit, welcher Högner optimistisch und mit klaren Zielen entgegenblickt. Unter anderem darüber sprach er in einem exklusiven Interview mit 90min.de.

Rückblick

In der vergangenen Bundesliga-Tabelle stand die SGS Essen am Ende an 10. Stelle und damit nur knapp über den Relegationsplätzen. Seit Jahren hat das Team mit fehlender Konsistenz zu kämpfen. Primär ist dies durch zahlreiche Ab- und Zugänge in den sommerlichen Transfer-Perioden bedingt.

"2019 waren wir auf einem Peak, weil da die ganzen Nationalspielerinnen in unseren Reihen hatten, mit dem Höhepunkt des DFB-Pokalfinals in Köln", resümierte Högner. "Und danach mussten wir wieder neu strukturieren. Es ist klar, wenn man innerhalb von zwei Jahren fünf, sechs A-Nationalspielerinnen verliert, dass dann eine kleine Delle drin ist. Aber das war uns allen bewusst. Dieses Jahr wollen wir uns dann weiter stabilisieren und, falls wir die Spielerinnen auch halten können, im nächsten Jahr wieder auch den Blick nach oben richten."

Lea Schüller
Nationalspielerin Lea Schüller ging einst für die SGS Essen auf Torejagd / Lars Baron/GettyImages

Auch spielerisch sieht Högner Verbesserungspotenzial bei seiner Mannschaft. Besonders die Spielzüge im Strafraum sollen in der kommenden Saison um einiges effizienter gestaltet werden. "In den Statistiken lagen wir eigentlich auf einem relativ guten Platz, also sprich mit Spielaufbau, Pressing-Situationen", betonte der Trainer. "Aber wo wir definitiv im unteren Drittel waren, war tatsächlich unsere Torchancenverwertung. Wir haben uns viele Torchancen erarbeitet, aber dann einfach zu wenige ausgenutzt und daran gilt es zu arbeiten."

Saisonziele im Blick

Für eine bessere Torquote sollen ab September unter anderem die Neuverpflichtungen sorgen. Mit Ramona Maier konnte die SGS Essen die Torschützenkönigin der 2. Bundesliga für sich gewinnen, die im Trikot des FC Ingolstadt 04 beeindruckende 25 Tore in 22 Spielen erzielte. Zudem kehren mit Laureta Elmazi und Annalena Rieke zwei Stürmerinnen zurück, die in der Vergangenheit für den Verein bereits auf Torejagd gingen. Ein weiterer Transfer, den Markus Högner hervorhebt, ist der von Maria Edwards, die im Sommer die zweite Mannschaft von Manchester United verließ.

Ramona Maier
Neuzugang mit großer Torgefahr: Ramona Maier / Lukas Schulze/GettyImages

"Ich glaube, da haben wir uns gut verstärkt und auch nachjustiert", sagte der Trainer zufrieden. "Und das ist letztendlich auch genau das, was wir jetzt in den Vorbereitungsspielen gesehen haben: dass sie da einfach Qualität dazu gewonnen haben."

Wie auch die Transferstrategie, sind die Saisonziele der SGS Essen für die neue Spielzeit klar formuliert. Bei gleich sieben Neuzugängen sei es laut Högner zunächst das Wichtigste, diese ausreichend in das Team zu integrieren. Aufgrund der Europameisterschaft in England hatte der Bundesligist aus dem Westen viel Vorbereitungszeit, die ausgiebig genutzt wurde. "Von daher war es dann auch möglich, die Spielerinnen an unser System anzupassen, dass sie in Essen ankommen und sich wohlfühlen", reflektierte der Trainer, der 2019 zur SGS Essen zurückkehrte.

"Und dann natürlich ganz klar, dass wir uns dieses Jahr weiter stabilisieren in der Bundesliga. Also, dass wir möglichst von Anfang an Punkte einfahren. Ich glaube, es ist wichtig, dass man [dadurch] eine gewisse Sicherheit hat." Basierend darauf fügte Högner hinzu, dass sich die Spielerinnen dann auch noch "einen Ticken weiter oder besser entwickeln" könnten.

Svenja Huth, Lena Ostermeier
Das Team der SGS geht herausfordernden Duellen entgegen / Maja Hitij/GettyImages

Jedoch wird es die Konkurrenz in der Bundesliga der SGS Essen nicht allzu leicht machen, ihre Saisonziele zu erreichen. Der Trainer hat längst zur Kenntnis genommen, dass viele der anderen Vereine, allen voran der 1. FC Köln und Bayer 04 Leverkusen, vermehrt in ihre Frauen-Teams investieren. "Das wird natürlich nicht weniger und viele Vereine [rufen das Ziel aus], oben angreifen zu wollen, in kürzester Zeit oder auch mittelfristig", warf er auf. "Also das wird schon ein Hauen und Stechen, das muss man ganz klar sagen. Umso wichtiger ist es für uns, Spielerinnen jetzt auf ein gutes Niveau zu bringen, [und] auch zu halten. Dann haben wir auch ein eingespieltes Team."

Kaderschmiede Essen

Die SGS Essen hat zahlreiche, bekannte Nationalspielerinnen hervorgebracht. Zu ihnen zählen unter anderem die heutigen Spielerinnen des FC Bayern Lea Schüller und Linda Dallmann, sowie Lena Oberdorf und Marina Hegering, die mittlerweile beim VfL Wolfsburg unter Vertrag stehen. Mit den ständigen Ab- und Zugängen scheint sich der Verein jedoch in einem Teufelskreis zu befinden, da es nach wie vor nicht gelingt, die Top-Talente langfristig zu halten.

Lena Sophie Oberdorf
Lena Oberdorf ist eines der Top-Talente, das bei der SGS Essen ausgebildet wurde / Boris Streubel/GettyImages

"Aber das ist unser Weg", gab Markus Högner zu bedenken. "Uns ist auch bewusst, dass sie später, wenn sie Nationalspielerinnen sind, auch noch den nächsten Schritt machen wollen." Viele andere Vereine könnten gute Gesamtpakete anbieten können, weshalb die SGS Essen jetzt ihre Hausaufgaben machen müsse, um dementsprechend auch die Spielerinnen bei sich zu halten. Doch wo genau besteht der notwendige Verbesserungsbedarf?

"Unsere Anlage ist jetzt weiter professionalisiert worden", antwortete der Trainer. "Wir haben seit einem halben Jahr wirklich einen sehr guten Trainingsplatz und -zentrum. […] Die Stadt Essen unterstützt uns da auch und wir bekommen jetzt noch ein Funktionsgebäude gebaut. Ich glaube, da sind wir dann nächstes Jahr, was die Infrastruktur betrifft, auf einem sehr guten Weg. Dass es dann auch tatsächlich unsere Anlage ist, die wirklich nur für uns da ist."

Für den Verein sei dabei auch wichtig, den Spielerinnen die Möglichkeit zu bieten, eine gute berufliche Ausbildung zu erhalten. "Es wird immer von Spielerinnen als Vollprofis geredet", so Högner. "Aber ich sage, […] es ist auch unsere Aufgabe, den Spielern eine Möglichkeit anzubieten, ihre berufliche Basis aufzubauen und dann können sie immer noch Profis werden. Auch da ist unser Ziel, diesen dualen Weg weiter fortzuführen, weiterzuentwickeln und weiter zu professionalisieren."

Stärken und Schwächen

Dem Abgang der zahlreichen Top-Talente kann der Trainer jedoch auch etwas Positives abgewinnen. So zeige dies, dass man sich als Verein einen guten Ruf erarbeitet habe und hervorragende Ausbildungsarbeit leiste. "Von daher gehen wir diesen Weg weiter, uns bleibt auch letztendlich nichts anderes übrig", sagte Markus Högner. "Aber ich glaube, die Spielerinnen sind schlau genug zu erkennen, dass der Weg bei uns für die meisten dann auch der richtige ist, weil sie einfach die Ruhe haben [sich zu entwickeln] und in einem familiären Umfeld sind." Aufgrund dessen fühlten sich so viele Talente bei der SGS Essen wohl und könnten sich für den Verein begeistern.

Markus Högner
Markus Högner blickt der neuen Saison optimistisch entgegen / Lukas Schulze/GettyImages

Das daraus entstandene Gemeinschaftsgefühl sieht der Trainer als eine der größten Stärken des Teams an. Auch taktisch ist man gut für die nächste Saison aufgestellt. "Wir haben auch viele Spielerinnen [mit] sehr guter Dynamik und Schnelligkeit", führte Högner aus. "Ich glaube, jetzt haben wir tatsächlich eine bessere Balance. Die Positionen sind tatsächlich relativ gleichwertig doppelt besetzt. Die Spielerinnen wissen, was zu tun ist, wir arbeiten schon seit Jahren mit Leitlinien." Daher glaube man an sich als relativ gutes Gesamtpaket, dessen größte Schwäche eben die Verwertung von Torchancen sei.

Bei der Frage nach dem taktischen Spielstil seiner Mannschaft musste Markus Högner lachen. Er beschrieb sie als "Die jungen Wilden", die jedoch auch die notwendige Disziplin an den Tag legten. "Wir haben schon gute Situationen im Spielaufbau, haben uns wirklich von hinten nach vorn durchgespielt", erklärte er. "Von den technischen Fähigkeiten und von der Flexibilität ist das schon okay."

Quo vadis, SGS?

Den großen Hype um den Frauenfußball, den im Sommer die Europameisterschaft in England auslöste, will man sich auch in Essen zu Nutze machen. Man sei im Hinblick auf die stabilen Zuschauerzahlen von etwas mehr als 800 pro Spiel während der letzten Jahre zufrieden. Dennoch hofft Högner, dass mehr begeisterte Fans der Nationalmannschaft den Weg in die Bundesliga-Stadien finden. Auch birgt das gestiegene Interesse am Sport Potenzial für weitere, strukturelle Verbesserungen bei der SGS.

"Man muss allerdings auch Realist bleiben und klar erkennen, [dass wir] nie die gleichen Zuschauerzahlen haben werden wie der Männerfußball", führte der Trainer aus. "Aber wenn sich das jetzt durch Marketing-Maßnahmen auf einem guten Maß einpendelt (…), dann gilt es natürlich auch von unserer Seite, die Euphorie mitzunehmen." Mehr ZuschauerInnen im Stadion brächten mehr Aufmerksamkeit, die man auch durch die Live-Übertragung im Fernsehen weiter steigern könnte. Für Markus Högner würde diese Kettenreaktion idealerweise in der Generierung von neuen Sponsoren münden, die mehr Geld in den Verein investieren würden.

Svenja Huth, Lena Ostermeier
Neuauflage des DFB-Pokal Finals 2019 als Eröffnungsspiel der Saison 2022/23 / Lars Baron/GettyImages

Während all dies noch Zukunftsmusik zu sein scheint, herrscht dennoch große Spannung in der Bundesliga, inwiefern sich das neue Interesse am Frauenfußball in der neuen Saison entfaltet. Die SGS Essen kann mit neu gewonnener Balance und klaren Zielen auf die Unterstützung vieler treuer Fans zählen, wenn es am ersten Spieltag direkt gegen Titelverteidiger Wolfsburg geht. Die Partie wird am 17. September um 13:00 Uhr im AOK Stadion ausgetragen.


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