Schon Zeit für Panik, BVB?
- Wo liegen die Probleme von Borussia Dortmund unter Nuri Sahin?
- Müssen BVB-Fans nach der Packung in Stuttgart schon in Panik verfallen?
- Ein Blick auf die Statistiken zum Saisonstart, die teilweise Grund zur Sorge liefern
Von Simon Zimmermann
Eigentlich ist Borussia Dortmund unter dem neuen Cheftrainer Nuri Sahin gut in die Saison gestartet. Zumindest die Ergebnisse stimmten bei Schwarzgelb. Einem Sieg im DFB-Pokal gegen Phoenix Lübeck folgte ein Heim-Dreier zum Bundesliga-Auftakt gegen Eintracht Frankfurt. In Bremen kam der BVB im Anschluss zwar nicht über ein torloses Remis hinaus, nach der Länderspielpause startete man allerdings mit einem 4:2-Heimsieg gegen Heidenheim, das als Tabellenführer nach Dortmund gereist war. Und einem klaren 3:0-Sieg zum Champions-League-Start in Brügge.
Die herbe 1:5-Pleite in Stuttgart war nun der erste große Rückschlag unter Sahin. Der Terzic-Nachfolger war im Sommer angetreten mit dem Ziel, Schwarzgelb wieder dominanter auftreten zu lassen. Kombiniert werden sollte das mit einer Spielweise, die zur Stadt und zum Klub passt. Übersetzt bedeutet das wohl: Tempofußball, Gegenpressing und viel Laufarbeit.
Die Klatsche gegen den VfB hat aufgezeigt, dass es zu Sahins Idealvorstellung noch ein weiter Weg ist. Schwierigkeiten wurden durch die meist guten Ergebnisse teilweise kaschiert. Gegen die Eintracht hätte es genauso gut eine Pleite setzen können, in Brügge hatte man Glück, dass die Belgier Chancenwucher betrieben. "Super-Joker" Gittens leitete erst in der Schlussphase den 3:0-Sieg ein. Sein Schuss zur Führung wurde zweimal abgefälscht. Spielglück in Reinform könnte man das auch nennen.
Doch wo liegen die Probleme beim BVB? Und sollte man bereits in Panik verfallen?
Die Antwort auf die zweite Frage ist sicher: Nein! Die Saison ist noch frisch, Sahin noch nicht lange im Amt. Auch wenn die Ungeduld bei einem Klub wie Borussia Dortmund traditionell groß ist. Man muss Sahin Zeit geben, um seine Ideen umzusetzen. Vor allem, weil der BVB unter Terzic spielerisch meist deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.
Zu Saisonbeginn hat Sahin ein neues, flexibleres Spielsystem integriert, in dem er den BVB häufig in einer Dreierkette agieren und statt mit klaren Flügelstürmern lieber mit Julian Brandt und Marcel Sabitzer im offensiven Halbraum spielen lässt. Sahin will offenbar versuchen, das eigene Offensivspiel vermehrt durch die Mitte zu lenken.
Mit Pascal Groß kam ein neuer Spieler für das zentrale Mittelfeld, der die Umstellung der Spielweise vorantreiben soll. Ein solcher ballsicherer und passstarker Spielertyp wie der 33-jährige Routinier fehlte dem BVB-Kader definitiv. Insgesamt konnte die Mannschaft im Sommer gut verstärkt werden. Serhou Guirassy könnte im Sturmzentrum ein Upgrade zu Niclas Füllkrug sein, mit Maximilian Beier kam ein flexibel einsetzbarer Stürmer aus Hoffenheim. Dazu Waldemar Anton, der den Hummels-Abgang auffangen und die Defensive stabilisieren soll. In Yan Couto hat man sich zudem einen talentierten Außenverteidiger geschnappt.
Der riskante Sahin-Weg
Dass die teils neuen Rädchen noch nicht perfekt ineinandergreifen, wurde in Stuttgart mehr als offensichtlich. Der VfB war dem BVB technisch und taktisch deutlich überlegen. Im Anschluss legten Sahin, Sportdirektor Sebastian Kehl und auch einige Spieler den Finger tief in die Wunde. So etwas dürfte "nie mehr passieren", war man sich einig.
Begünstigt wurde die herbe Pleite sicher auch von einigen kontroversen Sahin-Entscheidungen. Die nun umso mehr diskutiert werden. War die Systemumstellung richtig? Was ist die ideale Besetzung im zentralen Mittelfeld? Warum setzt Sahin bislang kaum auf die Neuzugänge Beier und Couto?
Fragen gibt es einige, die man dem neuen BVB-Cheftrainer stellen kann. Zündstoff-Potenzial bieten insbesondere die Rollen von Kapitän Emre Can und Marcel Sabitzer, der sich nach dem Brügge-Spiel öffentlich über seine Position beschwerte. Bislang versucht Sahin diese Diskussionen charmant abzuwimmeln. Doch er und sein Team müssen in den nächsten Wochen liefern - andernfalls werden die Diskussionen in Dortmund noch deutlich größer!
Ein Blick in die BVB-Statistiken zum Saisonstart
Ganz objektiv muss man zum Saisonstart festhalten, dass die Sahin-Idee noch nicht wie gewünscht umgesetzt werden kann. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Dazu blicken wir auf die nackten Zahlen (via bundesliga.com und fbref.com) und fokussieren uns auf die ersten vier Bundesliga-Partien:
Der BVB liegt mit zwei Siegen, einem Remis und einer Niederlage mit einem Torverhältnis von sieben zu sieben auf Rang acht. In Sachen eigenen Toren hat man gemäß der "Expected Goals" (xG) überperformt. Diese liegen bei 5,6. Bei den Gegentoren liegt der zu erwartende Wert (xGA) bei 6,9 - also minimal unter den tatsächlich kassierten sieben Gegentreffern. Insgesamt ergibt das einen xGD-Wert (zu erwartende Tordifferenz) von -1,3.
Zum Vergleich: Aus der oberen Tabellenhälfte hat nur RB Leipzig einen negativen Wert (-0,8) vorzuweisen. Die Bayern (+6,9) und Leverkusen (+6,0) liegen deutlich im Plus-Bereich. Das gilt auch für die punktgleichen Stuttgarter (+3,1).
In Sachen Passquote und Ballbesitz befindet sich der BVB dagegen in der Spitzengruppe. 58 Prozent Ballbesitz konnte man in den ersten vier Spielen verzeichnen. Damit liegt Schwarzgelb hinter den Bayern (64%) und dem VfB (60%), aber noch vor Leipzig (58%) und Leverkusen (55%). Mit einer Passquote von 89,7 Prozent liegt der BVB ebenfalls auf Rang drei im Bundesliga-Ranking, hinter den Bayern (91%) und Leverkusen (89,9%).
Am ganz anderen Ende der Bundsliga-Tabelle liegt die Sahin-Truppe aber bei der Anzahl gewonnener Zweikämpfe. Spitzenreiter ist in dieser Statsitik RB Leipzig mit 419. Leverkusen (400), Bayern (398) und der VfB (377) liegen auf Rang vier bis sechs. Der BVB dagegen auf dem vorletzten 17. Rang (327). Damit ist man vom Ziel, "Dortmunder Fußball" zu spielen, sicher weit entfernt.
Ähnlich ernüchternd sieht es bei der reinen Laufdistanz aus. Hier liegt der BVB auf Rang 16 mit 346,2 zurückgelegten Kilometern. Der FC Bayern liegt auf Rang zwei mit 474,8 km. In Sachen angezogenen Sprints ein ähnliches Bild: Der BVB steht ligaweit auf Platz 16 mit 725. Die Bayern haben auf Platz fünf schon 176 Sprints mehr angezogen. Bei den sogenannten 'intensiven Läufen' liegt der BVB auf Rang 17 mit 2.122. Die Bayern auf Rang drei mit 2.916. Allerdings muss man anmerken, dass der BVB hier in "guter Gesellschaft" liegt. Leverkusen (16.) und Stuttgart (18.) finden sich auch am unteren Ende wieder.
Was sagen uns diese Zahlen? Intensiv und Dortmund-like wie zu besten Klopp-Zeiten ist das BVB-Spiel unter Sahin definitiv (noch) nicht. Auch der Blick auf die xG- und xGA-Werte zeigt, dass spielerisch noch viel Sand im Getriebe ist. Der reine Ballbesitz-Anteil liegt dabei im Vergleich zu Vorsaison unter Terzic nur um einen Prozentpunkt höher. Die Passquote konnte um 2,8 Prozentpunkte verbessert werden, bei der Laufdistanz, Sprints und intensiven Läufen lag die Borussia unter Terzic jeweils im Mittelfeld bzw. unteren Mittelfeld.
Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass Sahin die Mannschaft in allen Bereichen noch deutlich verbessern muss. Damit solche Spiele wie in Stuttgart "nie mehr passieren" - in denen man technisch und taktisch so klar schlechter ist als der Gegner. Das Potenzial im Kader sollte dafür vorhanden sein. Sahins Weg, um dieses auszuschöpfen ist riskant. Man muss ihm aber noch mehr Zeit geben, um bewerten zu können, ob dieses Risiko aufgeht oder nicht.
Bis dahin ist noch keine Zeit für Panik!