Schlechter Zustand auf Schalke darf kein Freifahrtschein für Grammozis sein
Von Yannik Möller

Trotz der zu erwartenden Ausgangslage schwindet der Kredit von Dimitrios Grammozis auf Schalke rapide, aber anscheinend eher bei den Fans, als bei den Verantwortlichen. Die immer schlechten Auftritte schmerzen dabei mehr als die Niederlagen an sich - aber ist der fünfte Trainer dieser laufenden Saison nicht einfach nur ein Opfer des Zustandes dieser Mannschaft und des Klubs?
Am vergangenen Wochenende hat sich Schalke 04 bereits die 22. Niederlage in dieser Saison eingehandelt, dazu ist die Tordifferenz aufgrund der inzwischen 80 Gegentore in 31 Spielen auf -61 gestiegen. Es ist und bleibt eine verheerende Bilanz, die auch Dimitrios Grammozis nicht in halbwegs solide Bahnen hat lenken können.
Mit der 2:4-Niederlage gegen die TSG Hoffenheim hat der fünfte Trainer sein achtes Spiel an der Seitenlinie gestanden. Eine Partie davon konnte er gewinnen, eine weitere resultierte in einem torlosen Unentschieden. Die restlichen Spiele gingen allesamt verloren. Heißt: Vier Punkte aus acht Spielen, mit einem Punkteschnitt von 0,5 die Statistik eines glasklaren Absteigers. Sie ist nur minimal und nicht spürbar besser als die Werte für die (bisherige) Gesamtsaison.
Das Wirken Grammozis' auf die Mannschaft ist begrenzt - das darf aber kein Freifahrtschein sein
Nicht verwunderlich also, dass es längst die ersten Diskussionen über den Trainer gibt. Dabei geht es aber darum, ob man mit ihm in die neue Saison gehen sollte oder nicht. Ob er schon verbrannt ist, ist eine häufig gestellte Frage. Aufgrund seiner aktuellen Werte und mancher Aussagen wird Grammozis aber mittlerweile auch generell als Coach bei S04 in Frage gestellt. Zwar im Hinblick auf die nächste Saison, aber ungeachtet der Tatsache, dass er diesen Abstieg begleitet und in den Knochen hat.
Der Streitpunkt dabei unter den Fans: Kann dem 42-Jährigen diese restliche Saison überhaupt angelastet werden? Ist sie überhaupt aussagekräftig genug, um ein solches Urteil schon jetzt fällen zu können?
Fakt ist: Die Mannschaft ist kaputt. Das ist weder eine neue Erkenntnis, noch eine wagemutige Aussage. Man sieht es jede Woche auf den Platz, hört Geschichten rund um die Spiele herum. Ein richtiges Teamgefüge gab es nie so wirklich. Durch den sportlichen Absturz dürfte die Stimmung nicht unbedingt besser, harmonischer oder professioneller geworden sein.
Abläufe, Teamspirit und das Wirken als Einheit. Auf Schalke längst keine Faktoren mehr. Für einen Trainer, und ganz besonders für Nummer fünf (!) in einer Saison, muss es unglaublich schwer und kompliziert sein, aus dieser Mannschaft etwas Produktives herauszuquetschen. Etwas, das auch Grammozis nicht schafft.
Ob es aber auch seine Schuld ist, das ist schwer zu beantworten. Aber: Er wusste, auf was er sich dabei einlässt. Er hat sich diese Aufgabe zugetraut und droht schon jetzt an ihr zu scheitern. Von Sportvorstand Peter Knäbel wurde er angekündigt als der Richtige, um diese Saison abzuwickeln und um dann den Neuaufbau führen zu können.
Man kann also etwas Nachsicht angesichts der fehlenden Resultate haben - und damit ist primär das spielerische Auftreten gemeint. Eine Entschuldigung, oder gar ein Freifahrtschein darf es allerdings nicht sein. Das Fußballgeschäft und insbesondere die Lage, in der sich Schalke befindet, ist viel zu heikel und gefährlich, als dass man rein mit gutem Willen und der Hoffnung auf Besserung wieder Erfolge erzielt.
"Habe ich 'kreativ' gesagt?" - Aussagen des Trainers sorgen für Unmut bei den Fans
Gleichzeitig kommen auch einige Aussagen Grammozis' alles andere als gut an bei den Fans. Ein ganz aktuelles Beispiel: Bei der Pressekonferenz vor dem Mittwochsspiel gegen Hertha BSC wurde er gefragt, ob er seinem Anspruch zum Amtsantritt, auch wieder "kreativen" Fußball spielen lassen zu wollen, seiner Meinung nach näher gekommen sei. Aus der Sicht des fragenden Reporters sei dem nicht so.
Die Antwort des Trainers: "Habe ich 'kreativ' gesagt? Ich habe gesagt, dass wir einen Fußball spielen möchten, der für Schalke 04 irgendwo stehen soll." Ein Coach, der sich nahezu erschrocken vom Wort "kreativ" entfernen möchte, das hat einerseits für Erstaunen gesorgt. Dass er dieses Wort, was in der 2. Bundesliga bei mehr Ballbesitz so unglaublich wichtig werden wird, offenbar auch als Gegensatz zu "für Schalke stehen" versteht, sorgte nur für Entsetzen und Ernüchterung.
Ja, in solche Worte + Ausschnitte kann man viel interpretieren.
— Yannik (@YannikM99) May 10, 2021
Aber: Wenn sich ein Trainer vom Wort "kreativ" geradezu überrascht zu entfernen versucht und "was für Schalke steht" als eine Art Gegensatz dazu sieht, dann haben wir noch einen langen Weg vor uns. ?#S04 #S04BSC https://t.co/0ErLnhZlhH
Das ist so unglaublich und peinlich. Das ist echt der endgültige Beweis für diese Scheiße. Wir brauchen dringend eine Mindset Änderung auf #Schalke. #S04 https://t.co/lfHc3qJG21
— Max (@dailyMaxS04) May 10, 2021
Oh man...
— Haritondo #ProGrammozis (@Jul_S04) May 10, 2021
Ich dachte, er meinte das vor paar Wochen ernst mit dem kreativen/ansehnlichen Fußball, der zur Abwechslung mal Spaß machen soll.
Und jetzt nach dem Motto: "Was? Ich wollte doch nicht kreativ spielen!"... puh. Die Aussage enttäuscht mich gerade schon bisschen. https://t.co/We8EXvRbhE
Es zeichnet sich also eine für S04 gefährliche Mischung ab. Den Fans geht immer mehr der Glauben verloren, dass Grammozis der passende Trainer für einen Neuaufbau sein kann, dessen Bedeutung nicht überschätzt werden kann.
Das sind zum einen die reinen Ergebnisse und die Auftritte, die zum großen Teil für immer mehr Enttäuschung und Entsetzen sorgen, die selbstverständlich an ihm hängen bleiben werden. Doch auch verschiedene Statements und Erklärungen, etwa die erste Hälfte gegen Hoffenheim sei spielerisch gut gewesen (lediglich effizient, gleiche Werte wie in Halbzeit zwei), lassen den Glauben spürbar schrumpfen.
Dass Knäbel am Sonntag bei Sky90 erneut beteuerte, mit Grammozis in die neue Saison gehen zu wollen, hilft dabei nur wenig. Erzwungene Kontinuität ist ein gefährliches Mittel. Schalker wissen das allerspätestens seit dem letzten Sommer. Aber: Der Sportvorstand erklärte, dies sei "die feste Absicht". Sein "definitiv", das er zuvor immer wiederholt hatte, fügte er erst auf Nachfrage hinzu.
Dass er Rouven Schröder als Sportdirektor die Befugnisse erteilt hat, auch alleinverantwortlich über das Trainerteam entscheiden zu können, könnte ebenfalls noch einen bislang unabsehbaren Twist einbringen. Laut Bild gibt es aber nach wie vor weder ein Ultimatum, noch ein Ziel, dass der Coach über die letzten drei Spiele zu erreichen hat.