Schalke 04 "klaut" Negativ-Rekord vom HSV
Von Guido Müller
Dass es anderen genauso schlecht geht, wie einem selber, hilft substanziell zwar meistens nicht weiter (denn die eigene schlechte Lage verändert sich dadurch ja nicht immer unbedingt), kann aber bisweilen durchaus zu Erleichterung (durch Teilung des Leids) führen. In dieser diffusen Gemütslage dürften auch die Verantwortlichen beim Hamburger SV auf die aktuelle Lage in Gelsenkirchen blicken.
Und sei es nur, weil man zumindest im medialen Kontext nicht mehr als die größte Sau des Dorfes durch selbiges getrieben wird. Denn auch die permanenten Erinnerungen daran, dass man ja immer noch der Klub sei, der die meisten Trainer innerhalb einer Saison verschlissen hat, wirken wie ein steter Zufluss von Gift, der am Ende den ganzen Organismus zerstören kann.
Dieser Giftzufluss ist nun bis auf weiteres gestoppt. Denn seit dem 27. Februar 2021 hat die Rekordstellung bezüglich von Trainerentlassungen in einer Spielzeit der von vielen schon als "HSV 2.0(21)" titulierte FC Schalke 04 inne.
Wer auch immer in der Veltins-Arena die Nachfolge des Schweizers Christian Gross antreten wird - er wird der fünfte (!) Übungsleiter der Knappen (nach David Wagner, Manuel Baum, Huub Stevens und eben Gross) in dieser Spielzeit. Das kann kein einziger Profi-Klub in Deutschland "vorweisen". Nicht einmal der HSV, der als bisheriger Spitzenreiter der deutschen Chaosklubs-Tabelle fungierte.
HSV zweimal mit vier Übungsleitern in einer Spielzeit
Doch natürlich lassen sich auch in Hamburg jahrzehntelange Misswirtschaft und fehlendes know-how in der Führungsetage nicht einfach so aus den Archiven tilgen. So bleibt der schwarz-weiß-blauen Anhängerschaft (oder sollte man sagen: der des FC Schalke 04?) immerhin noch der "Trost", dass es der 1887 gegründete HSV ist, der es sogar zweimal in seiner Geschichte geschafft hat, binnen einer Spielzeit vier Trainer zu bestellen.
In der Saison 2013/14 folgte auf den im Vorjahr noch zum Retter stilisierten Thorsten Fink (der ja als Ex-Münchener das Bayern-Gen in sich trug!) der nicht weniger erfolglose Interimscoach Esteban Cardoso, ehe der amtierende Vize-Weltmeister Bert van Maarwijk und schließlich dessen Nachfolger Mirko Slomka begannen, die Scherben einzusammeln.
In der folgenden Spielzeit bildeten dann Mirko Slomka, das "Experiment" Joe Zinnbauer, der zum Trainer re-aktivierte Rucksack-Manager Peter Knäbel und der spätere Retter Bruno Labbadia die "Viererkette" auf der Trainerbank der Hanseaten.
Dicht dran am Trainer-Poker waren die Hamburger dann nochmal in der bis dato letzten Bundesliga-Saison des einstigen Dinos. In der Spielzeit 2017/18 schafften es weder Markus Gisdol noch Bernd Hollerbach, den Richtung Abstieg schlingernden Kahn wieder auf Kurs zu bringen.
Als dann alle Rettungsseile gekappt waren, trat man mit Neuling Christian Titz den unvermeidlich scheinenden und am Ende bestätigten Weg in die Zweite Liga an.
Keine Trainer-Diskussion beim HSV
Von einer neuerlichen Trainer-Diskussion ist man beim HSV trotz der Negativentwicklung der letzten Wochen (zum Glück!) noch ein ganzes Stück entfernt. Selbst bei einer morgigen Niederlage im Stadtduell beim FC St. Pauli dürfte Thiounes Posten als Chefcoach unangetastet bleiben. Ungemütlich dürfte es angesichts der traditionell nervösen Medienlandschaft in der Elbmetropole trotzdem für ihn werden.
Vielleicht hat bei den Spitzen des Klubs ja tatsächlich ein Denkprozess eingesetzt. Denn blinder Aktionismus führt nie zu Problemlösungen, sondern höchstens zu ablenkenden Übertünchungen. Drei oder vier oder mehr Trainer statt einem zu bezahlen, um die Saisonziele zu erreichen (bzw. den worst case abzuwenden) hat bislang noch immer nur mehr zusätzliches Geld gekostet, das Scheitern des jeweiligen Unternehmens am Ende jedoch auch nicht verhindert.
Ob sich aber ausgerechnet der HSV dafür eignet, dem FC Schalke 04 irgendwelche Ratschläge für die grau bis schwarz anmutende Zukunft des Klubs an die Hand geben zu können, will ich an dieser Stelle mal bezweifeln.
Am Ende liegt zwischen vier oder fünf Trainern auch kein allzu großer Unterschied mehr. Die Entscheidungsträger beider Vereine sollten sich auch also auch in Zukunft ihrer bei jeder Krisensituation gern bemühten Schlagworte von wegen Kontinuität oder Nachhaltigkeit entsinnen - und auch danach handeln.
Anderenfalls ist es sonst wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Rekordmarke von fünf Trainern pro Saison fallen wird. Ob nun in Hamburg. Oder in Gelsenkirchen. Oder an jedem anderen beliebigen Standort, in dem Profi-Fußball gespielt wird, obwohl offensichtlich keine Profis in der Führungsetage das Sagen haben.