Schleppender Saisonstart beim HSV: Irgendwo zwischen Statistiken und Gefühlen!
Von Guido Müller
Gefühle können täuschen. Das ist im Sport nicht anders als im wahren Leben auch. Zusätzlich kompliziert macht es im Fußball der Umstand, dass Fans ihre (negativen) Gefühle auch gerne mal beiseite lassen, wenn denn die eigene Mannschaft am Ende doch noch den erhofften Dreier, wie auch immer, eingefahren hat. Oder wenn sie, anders herum, sich nach Niederlagen auch nicht von den eigenen (positiven) Wahrnehmungen in ihrem Gesamturteil umstimmen lassen.
Genau dies passiert auch gerade in einem großen Teil der Anhängerschaft des Hamburger SV. Selbige kann man, etwas vereinfacht, in zwei Lager trennen: zum einen sind da die, die schon alle Hoffnungen haben fahren lassen, zum anderen die, die sich auch weiterhin am kleinsten Strohhalm festhalten, in der Hoffnung, dass es irgendwann doch wieder bergauf geht. Eine Mitte scheint es nicht zu geben.
Scheinbar paradox, aber im emotionalen Fußball-Geschäft gar nicht so unüblich, lassen sich auch für beide Haltungen Argumente für und wider finden. Und zwar zur gleichen Zeit.
Zahlen lügen nicht
Die Fatalisten berufen sich dabei vor allem auf nackte Zahlen. Und tatsächlich sind die nunmehr sechs Zähler auf der Habenseite der Rothosen, nach fünf Spielen, die schwächste Ausbeute der Hamburger zu Zweitligazeiten.
Garnieren können die Schwarzmaler ihr Urteil (dass nämlich alles schlechter statt besser wird) zusätzlich mit weiteren Datensätzen bezüglich von Gegentoren, zugelassenen Torchancen der Gegner, Ballbesitzwerten und was Statistiken sonst noch so hergeben.
Und ja: ein Torverhältnis von 8:7 (das man sich übrigens mit der Konkurrenz aus Bremen teilt!), oder ein Gesamt-Torschussverhältnis von 73:69, aber auch nur die Ratio von eigenen und gegnerischen Abschlüssen im Strafraum (49:47) lassen nicht gerade auf eine übermächtige Dominanz der Hamburger schließen. (Zahlen gemäß Sportec Solutions, via bild.de).
Doch wer hatte diese Überlegenheit der Hamburger denn überhaupt erwartet? Gerade in dieser Zweitliga-Saison, in der das Unterhaus so namhaft wie nie zuvor bestückt war. Und gerade nach den Erfahrungen der letzten drei Jahre.
Und bislang hat der HSV ja auch erst ein einziges Pflichtspiel verloren. Das jedoch im emotional aufgeladenen Stadtderby, wo eine Niederlage - gefühlt - immer noch ein Stückchen mehr weh tut als in anderen Spielen.
Fakt ist auch, dass der HSV in allen bisherigen Partien (besagtes Derby mal ausgeklammert!) die überlegene Mannschaft war. Durchschnittlich hatten die Rothosen einen Spielbesitzanteil von 61,7 Prozent. Doch Ballbesitz ohne Effektivität (= Chancen oder Tore) verkommt zu einer reinen theoretischen Größe. Was im Fußball zählt, sind nun mal die Tore.
Und an genau dieser Effektivität mangelt es den Hamburgern in dieser Anfangsphase der Saison. Was natürlich auch an immer noch fehlender Feinabstimmung zwischen den Linien liegt. Die wiederum war mit Bestellung eines neuen Übungsleiters vorprogrammiert.
Denn wie jeder neue Trainer in Hamburg muss auch Tim Walter mit dem Erbe seiner Vorgänger umgehen. Für die neuen Ideen des neuen starken Mannes an der Seitenlinie wurde zwar eine Reihe von Spielern aussortiert und im Gegenzug eine Handvoll Spieler neu hinzugeholt, doch ist dieser Prozess auch noch nicht abgeschlossen.
Noch darf Walter nämlich berechtigterweise darauf hoffen, dass die sportliche Führung bis Dienstag um Mitternacht ihm weiteres frisches Personal an Land holt.
So gesehen ist ein erstes Zwischenfazit eigentlich erst dann statthaft, wenn der Coach mit seinem definitiv erstellten Kader vier, fünf Spiele absolviert hat. Dies wird aber erst am 10. Spieltag der Fall sein. Bis dahin werden die Pessimisten und Unker das Wort führen und angeben, alles schon vorhergesehen zu haben.
Positive Eindrücke beim Spiel in Heidenheim
Dabei wäre ihnen eigentlich zu raten, aus den durchaus positiven Eindrücken (womit wir wieder beim Gefühl wären) des Heidenheim-Spiels heraus etwas wohlgemuter in die Zukunft zu blicken. Denn auch unabhängig davon, ob nun noch neues Personal verpflichtet wird oder nicht, taugte der Auftritt am vergangenen Samstag durchaus dafür.
Mit sechs Großchancen (Heyer zweifach, Kittel, Leibold, Wintzheimer und Meffert in den Schlusssekunden) hat sich der HSV in dieser Sparte ein dickes Plus gegenüber traditionell sehr heimstarken Gastgebern (nur sechs Niederlagen in den letzten 36 Ligaspielen in der Voith-Arena) herausgespielt.
Zudem stand hinten endlich auch mal wieder die Null, womit sich die (gefühlte) höhere Sicherheit in der Hamburger Defensive auch in Zahlen ausdrücken lässt.
Dass auch die Mannen von Frank Schmidt ihrerseits zu hochkarätigen Chancen (zweimal Latte!) kamen, sei dabei natürlich nicht unerwähnt. Doch wenn es am Ende 5:2 für die Hanseaten ausgegangen wäre, "hätte sich keiner beschwert", wie Meffert nach dem Schlusspfiff kommentierte.
Wie auch schon eine Woche zuvor nicht beim wilden Heim-Unentschieden gegen Darmstadt. Dort fielen all die Tore, die in Heidenheim fehlten. Nach dem wilden Ritt gegen die Lilien (2:2) sprach denn auch Tim Walter von einem möglichen 7:4 seiner Mannschaft.
Aber nochmal: Der Fußball ist einfach. Und misst sich an Toren. An den selbst geschossenen und an den verhinderten des Gegners.
Kriegt der HSV es in den kommenden Wochen hin, dieses Verhältnis deutlicher zu seinen Gunsten zu entscheiden, könnte das zur Zeit noch eher diffuse Gefühl eines zarten Aufschwungs auch endlich durch unbestechliche Zahlen belegt werden.