Road to EM 2020 - Emre Can: Auf ungeliebter Position zur Europameisterschaft?
Von Christian Gaul
So richtig angekommen in der deutschen Nationalmannschaft ist Emre Can noch nicht, obwohl der 27-Jährige immerhin schon 30 Länderspiele vorweisen kann. Viele langwierige Verletzungen, die Konkurrenz im Mittelfeld der DFB-Elf und auch die Wahl seiner Arbeitgeber sorgten bislang dafür, dass Can ständig um einen Kaderplatz für ein großes Turnier in seiner Landesauswahl kämpfen musste. Reicht es diesmal für ihn?
90min wirft während der Länderspielpause einen ausführlichen Blick auf den aktuellen Kader der deutschen Nationalmannschaft und stellt die einzelnen Spieler in einer kleinen Serie vor. Dabei betrachten wir die bisherigen Erfolge und ordnen die Chancen der Profis in Bezug auf eine Teilnahme an der EM 2020 ein.
Emre Can zwischen eigenem Anspruch und harten Rückschlägen
Die Karriere von Emre Can verlief anfangs eigentlich wie gemalt, doch immer wieder schlug sich der robuste Abräumer mit Verletzungen herum, die ihn zumeist in seiner Entwicklung blockierten. Der gebürtige Frankfurter wechselte 2009 im Alter von 15 Jahren von der Jugend der Eintracht zur U17 des FC Bayern. Zwei Jahre später bekam er die Fritz-Walter-Medaille in Gold verliehen, eine Auszeichnung, die seine Ausnahmestellung in einem Jahrgang mit Kaan Ayhan, Mitchell Weiser, Rani Khedira oder Marvin Ducksch belegte.
In der Saison 2012/13 spielte er dann sogar für die Profis des FC Bayern, die in besagtem Jahr das Triple unter Heynckes holten. Allerdings brachte es Can damals auf lediglich sieben Einsätze. Nach dem "unverschuldeten" Triple-Gewinn ging Can von München zu Bayer Leverkusen, von wo er nach nur einer Saison und starken 39 Einsätzen für die Werkself den großen Sprung zum FC Liverpool wagte.
Für die Reds absolvierte Can von 2014 bis 2018, also vor den Triumphen in der Königsklasse 2019 und der Premier League 2020, immerhin 167 Partien, doch 32 weitere verpasste er aufgrund vieler Blessuren. Dabei zog er sich im März 2018 eine langwierige Rückenverletzung zu, die ihn letztlich auch die WM in Russland kostete.
Nach dem verpassten Turnier mit der DFB-Elf zog Can weiter zu Juventus Turin, wo er sich kurz nach seiner Ankunft wegen einer Krankheit für sechs Wochen zurücknehmen musste und auch deshalb bei den Bianconeri nie richtig Fuß fassen konnte. Dennoch brachte er es in rund 15 Monaten auf immerhin 45 Spiele für die Juve, bevor er im Frühjahr 2020 von Borussia Dortmund verpflichtet wurde, nachdem er in der Saison 2019/20 von den Italienern nicht für die Champions League nominiert wurde.
In Dortmund etablierte er sich schnell zum gewünschten Mann für die klaren Zeichen auf dem Platz, eine Rolle, die dem BVB zuvor immens abging. Während er in Liverpool und in Turin jedoch zumeist auf seiner angestammten Position im zentral-defensiven Mittelfeld gebraucht wurde, wich er in Dortmund - auch aufgrund eines personellen Engpasses - oft in die Innenverteidigung aus.
Diese Vielseitigkeit könnte ihm gegenüber Konkurrenten wie Antonio Rüdiger oder Jonathan Tah einen Vorteil verschaffen, wenn es um einen Kaderplatz für die kommende Europameisterschaft geht.
Kein Platz im Mittelfeld - Teamkollege Hummels als Bremse für Can?
Die Rolle in der Abwehr ist für Can auch im DFB-Team keine ungewohnte. In sechs seiner letzten sieben Einsätze für die deutsche Mannschaft bot ihn Jogi Löw als Verteidiger auf. Ohnehin ist es für den lauf- und zweikampfstarken Box-to-Box-Player schier unmöglich, sich gegen die derzeitige Konkurrenz um Toni Kroos, Ilkay Gündogan, Joshua Kimmich oder Leon Goretzka durchzusetzen.
Wenn also für Can ein Ticket für die EM herausspringen soll, wird er sich mit der Rolle in der Verteidigung abfinden müssen. Denn wo ihm der Weg in der deutschen Mittelfeld-Zentrale verwehrt bleibt, könnte er sich in der bisweilen noch ohne sichere Hierarchie versehenen deutschen Abwehr hervortun.
Cans in der Dreier- oder Viererkette des BVB gesammelte Praxis könnte ihm den nötigen Schub geben, auch in der DFB-Elf ein Zeichen zu setzen. Jedoch könnte ihm der Dortmunder Teamkollege Mats Hummels einen Strich durch die Rechnung machen. Mit einer öffentlichen Bestätigung der Rückkehr des 32-Jährigen in das DFB-Aufgebot diente Löw zwar bislang nicht, doch verdichten sich die Anzeichen, dass Hummels und Thomas Müller wieder reaktiviert werden.
Dabei ist sicherlich auch nicht ausgeschlossen, dass Hummels UND Can für Deutschland bei der EM 2020 auflaufen werden, jedoch vereinfacht ein weiterer Konkurrent mitnichten die Perspektive Cans. Sollte Emre Can verletzungsfrei bleiben und sich in den kommenden Länderspielen anbieten können, wird er aufgrund seiner Vielseitigkeit und seines Werdegangs wohl einen Vorteil gegenüber einigen Mitstreitern haben.
Mit Niklas Süle, Antonio Rüdiger und Matthias Ginter scheinen jedoch drei "reine" Innenverteidiger unter Löw gesetzt zu sein - Hummels wäre Nummer vier. Die Aussichten auf eine Teilnahme an seiner zweiten Europameisterschaft nach 2016 (ein Einsatz im Halbfinale gegen Frankreich) sind für Can extrem schwer zu bewerten. Kehrt Hummels nicht zurück, sollte Can dabei sein - hat Löw ein Einsehen, muss sich Can vermutlich mit Rüdiger und Ginter um ein Ticket streiten.
Emre Cans bisherige Erfolge im Überblick:
- Triple-Sieger mit dem FC Bayern 2013
- zweifacher italienischer Meister mit Juventus Turin
- Confed-Cup-Sieger mit Deutschland 2017
- 30 Länderspiele für Deutschland