Road to EM 2020 - Die Innenverteidigung: Über allem schwebt Mats Hummels
Von Christian Gaul
Nachdem Mats Hummels zu den drei im März 2019 von Jogi Löw aussortierten Spielern gehörte, ist die DFB-Elf auf der Suche nach einer klaren Hierarchie in der Abwehr. Spieler wie Emre Can, Antonio Rüdiger, Niklas Süle oder Matthias Ginter konnten bislang nicht in die Rolle eines unumstrittenen Chefs schlüpfen.
Um den Erfolg bei der anstehenden Europameisterschaft nicht zu gefährden, wird Löw wohl um eine "Begnadigung" von Hummels nicht herum kommen - was logische Auswirkungen auf die Ambitionen der restlichen Kandidaten beinhaltet.
90min wirft während der Länderspielpause einen ausführlichen Blick auf den aktuellen Kader der deutschen Nationalmannschaft und stellt die einzelnen Spieler in einer kleinen Serie vor. Dabei betrachten wir die bisherigen Erfolge und ordnen die Chancen der Profis in Bezug auf eine Teilnahme an der EM 2020 ein.
Nicht aufgeführt wird Jonathan Tah, der unabhängig von einer Hummels-Rückkehr nur geringe Chancen auf ein Ticket für die EM 2020 besitzen sollte. Der 25-Jährige scheint im Vergleich zu seinen Konkurrenten vorerst im Nachteil, könnte aber eine Option für die Zeit nach Löw werden.
Emre Can wurde aufgrund seiner möglichen Doppel-Rolle bereits einzeln vorgestellt: hier.
Kehrt der Weltmeister für die EM 2020 zurück?
Wie Jerome Boateng und Thomas Müller, wurde auch Hummels im März 2019 von Bundestrainer Jogi Löw darüber informiert, dass man seine Dienste nicht weiter in Anspruch nehmen wolle. Nach einem bislang vergeblich angestoßenen Umbruch in der Abwehr der DFB-Elf, steht Hummels ziemlich genau zwei Jahre nach seiner Ausbootung vor einer Rückkehr in den Kader der deutschen Auswahl, auch wenn eine offizielle Bestätigung noch nicht erfolgte.
Keiner der Nachfolger des Weltmeister-Duos Hummels-Boateng konnte sich bisher als klarer Abwehrchef positionieren und um den Erfolg bei der kommenden Europameisterschaft nicht zu gefährden, wird Hummels - im Gegensatz zu Boateng - wohl für das Turnier reaktiviert werden.
Löw würde den Spieler von Borussia Dortmund dann sicherlich nicht für eine Platz auf der Bank einplanen, somit hätte die Rückkehr Hummels' gravierende Auswirkungen auf die EM-Chancen der anderen Abwehr-Kandidaten.
Von 2012 bis 2018 nahm Hummels an jedem der vier in dieser Zeit stattfindenden großen Turniere teil. Die Krönung war sicherlich der Erfolg 2014 in Brasilien, doch auch auf Vereinsebene räumte der Abwehr-Organisator mächtig ab.
Nach seiner langjährigen Ausbildung in der Jugend des FC Bayern ging Hummels von 2008 bis 2016 zum Konkurrenten aus Dortmund, wo er sich zum absoluten Weltklasse-Verteidiger erhob. Bei seiner Rückkehr zum FC Bayern wurde Hummels jedoch nie richtig warm mit den Münchner Verhältnissen, sodass er sich im Sommer 2019 dazu entschloss, wieder zum BVB zu wechseln. Insgesamt kommt er bislang auf insgesamt über 500 Pflichtspiele für die beiden großen deutschen Klubs.
Aktuell befindet er sich trotz seiner bereits 32 Jahre wieder auf einem enorm guten Niveau. Auch wenn er sicherlich nicht mehr in der Verfassung von 2014 ist, stellt er gegenüber den anderen Kandidaten im DFB-Team, nicht nur aufgrund seiner Erfahrung, ein klares Upgrade dar.
Die bisherigen Erfolge von Mats Hummels im Überblick:
- sechsfacher deutscher Meister (zweimal mit dem BVB, viermal mit dem FC Bayern)
- zweifacher DFB-Pokalsieger (jeweils einmal mit Dortmund und dem FC Bayern)
- Weltmeister 2014
- 70 Länderspiele für Deutschland
Niklas Süle als designierter Anführer noch mit Luft nach oben
Über die Jugend von Hoffenheim machte Süle von 2013 bis 2017 über 100 Partien für die TSG, bevor er sich im Alter von 21 Jahren dem FC Bayern anschloss. Der für seinen robusten Körper sehr gewandte Abwehrspieler etablierte sich mittlerweile zum Stammspieler des Rekordmeisters und sollte eigentlich auch eine tragendere Rolle im DFB-Team einnehmen.
Doch im Oktober 2019 zog sich Süle seinen bereits zweiten Kreuzbandriss zu, der ihn abermals für mehrere Monate zurückwarf. Seine angestammte Chef-Position in der DFB-Abwehr wurde seitdem auch von ihm nicht adäquat besetzt und wird wohl für eine Reaktivierung von Mats Hummels sorgen.
Dabei bringt der nun 25-Jährige viele Attribute mit, die ihn für die kommenden Jahre zum festen Bestandteil der DFB-Abwehr machen können. Antritt, Zweikampfstärke, Übersicht und Ballbehandlung sind bei Süle hervorragend integriert.
Um jedoch in die Fußstapfen von Boateng oder Hummels treten zu können, fehlt es Süle noch an der nötigen Souveränität und Lautstärke auf dem Platz. Für die kommende Europameisterschaft wird er, bei entsprechender Gesundheit, sicherlich im Kader gesetzt sein, auch wenn er momentan viel Kritik ertragen muss.
Die bisherigen Erfolge von Niklas Süle:
- dreifacher deutscher Meister mit dem FC Bayern
- zweifacher DFB-Pokalsieger mit dem FC Bayern
- Sieger der Champions League 2020 mit dem FC Bayern
- Confed-Cup-Sieger 2017 mit Deutschland
- 29 Länderspiele für Deutschland
Antonio Rüdiger profitiert von Tuchels Ankunft beim FC Chelsea
Der mittlerweile 28-Jährige kickte in seiner Jugend für mehrere kleinere Berliner Vereine, doch bei der Hertha landete er nicht. Vielmehr schloss er sich dem Nachwuchs des BVB an, bevor er über die Stuttgarter U19 zu den Profis des VfB aufstieg. Von 2012 bis 2015 machte er 80 Pflichtspiele für die Schwaben, bevor er nach einem Abstecher bei der AS Rom seit 2017 in London beim FC Chelsea unter Vertrag steht.
Mehrfach war Rüdiger bei den Blues schon abgeschrieben, besonders vor und während der laufenden Saison sah er sich nach einem anderen Klub um. Doch nachdem Trainer Thomas Tuchel im Frühjahr 2021 das Zepter beim FC Chelsea übernahm, spielt Rüdiger wieder eine große Rolle.
Unabhängig von seinen phasenweise wenigen Einsätzen im Verein, baut Bundestrainer Löw seit nunmehr fast sieben Jahren beständig auf den athletischen Rüdiger, der in seiner Karriere schon zwei Knie-Operationen und mehrere Leistenverletzungen ertragen musste.
Bislang konnte er sich im Reigen der DFB-Abwehr noch nicht als Anführer hervortun, doch als Nebenmann eines Abwehrchefs kann der gebürtige Berliner sicherlich glänzen.
Ob es für ihn nach seiner Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2018 wieder zu einem Ticket für ein großes Turnier reichen wird, hängt vorrangig mit der Personalie Hummels zusammen. Sollte Löw den Dortmunder reaktivieren, könnte sich Rüdiger mit Emre Can um einen Kaderplatz streiten.
Die bisherigen erfolge von Antonio Rüdiger:
- FA-Cup-Sieger 2018 mit dem FC Chelsea
- Gewinner der Europa League 2019 mit dem FC Chelsea
- Confed-Cup-Sieger 2017 mit Deutschland
- 37 Länderspiele für Deutschland
Matthias Ginter als gesetzter Allrounder in Löws Mannschaft
Der 27-Jährige Ginter begann seine Karriere im Breisgau, wo er nach sieben Jahren in der Jugend ab 2012 für die Profis des SC Freiburg auflief. Zwei Jahre und über 80 Pflichtspiele später angelte sich der BVB das vielversprechende Talent, das in der Folge über 100 Einsätze für die Dortmunder verbuchen konnte.
Allerdings waren die Dortmunder Verantwortlichen nicht vollends davon überzeugt, dass Ginter die optimale Lösung für die Zukunft ist, sodass er 2017 an Borussia Mönchengladbach abgegeben wurde.
Bei den Fohlen stieg der gebürtige Freiburger schnell zum unangefochtenen Abwehrchef auf und bildet seit jeher eine Top-Innenverteidigung mit dem Kollegen Nico Elvedi. Für den DFB war er bei den Weltmeisterschaften 2014 und 2018 an Bord, spielte jedoch dabei keine einzige Minute. Für die EM 2016 wurde er hingegen nicht nominiert, was an seiner damaligen unbeständigen Leistung im Dortmunder Trikot lag.
Obwohl sich der mehr als beständige Ginter in Gladbach unverzichtbar machte, scheint ihm die Rolle des Anführers in der DFB-Abwehr nicht zu liegen. Bei der Borussia funktioniert sein ruhiger Umgang mit den Mitspielern eher, als im "Haifischbecken" der Nationalmannschaft.
Ein Lautsprecher wie Hummels wird der Gladbacher nicht mehr werden, doch das muss er auch nicht. Denn Jogi Löw baut mit enormer Regelmäßigkeit auf Ginter, der zudem jeden Part in der Abwehr übernehmen kann und im DFB-Team zuletzt auch auf der für ihn weniger geeigneten Position des Rechtsverteidigers zum Einsatz kam.
An seiner Nominierung sollte es keinen Zweifel geben, auch wenn die Konkurrenz mit Mats Hummels um einen weiteren Spieler verstärkt werden könnte.
Die bisherigen Erfolge von Matthias Ginter:
- DFB-Pokalsieger 2017 mit Borussia Dortmund
- Weltmeister 2014 mit Deutschland
- Confed-Cup-Sieger 2017 mit Deutschland
- 35 Länderspiele für Deutschland