Road to EM 2020 - Die deutsche Zentrale: 3 aus 4 - wohin mit Toni Kroos?
Von Christian Gaul
Die DFB-Elf ist in der Mittelfeldzentrale derzeit so gut besetzt wie schon lange nicht mehr. Neben einem eingespielten Duo des FC Bayern kämpfen auch Weltmeister Toni Kroos und der formstarke Ilkay Gündogan um die maximal drei Plätze im Herzstück der deutschen Mannschaft.
Aufgrund der aktuellen Konkurrenz wird sich einer dieser Spieler auf der Bank wiederfinden, dabei könnte es für Kroos trotz seines Standings eng werden.
90min wirft während der Länderspielpause einen ausführlichen Blick auf den aktuellen Kader der deutschen Nationalmannschaft und stellt die einzelnen Spieler in einer kleinen Serie vor. Dabei betrachten wir die bisherigen Erfolge und ordnen die Chancen der Profis in Bezug auf eine Teilnahme an der EM 2020 ein.
Während Spieler wie Florian Neuhaus, Jonas Hofmann oder Jamal Musiala später noch in unseren Fokus rücken werden, wurde Ilkay Gündogan bereits ausführlich beleuchtet: hier.
Jonas Hector wird im DFB-Team keine Rolle mehr spielen, dagegen sollte man den derzeit stark aufspielenden Mo Dahoud noch nicht gänzlich abschreiben, obwohl auch das bereits vorhandene Spielermaterial für starke Kopfschmerzen sorgt.
Joshua Kimmich als Leader der deutschen Mannschaft
Kimmich stammt aus der Jugend des VfB Stuttgart, von wo aus er 2013 zu den damals noch in der Dritten Liga spielenden Bullen aus Leipzig ging. Zwei Jahre später kaufte der VfB ihn zurück, um ihn direkt und mit einem Millionengewinn an den FC Bayern abzugeben.
Nach mittlerweile fast sechs Jahren und über 250 Auftritten beim deutschen Rekordmeister sammelte Kimmich nicht nur einige Titel, er stieg auch vom hitzköpfigen Rechtsverteidiger zum absoluten Anführer im zentralen Mittelfeld auf - und das nicht nur bei den Bayern, sondern auch in der DFB-Elf.
Über die letzten Jahre gelang es dem - kein Scherz - gebürtigen Rottweiler, seinen Ehrgeiz zu kanalisieren und auf seine Mitspieler zu übertragen. Dazu entwickelte er sich zu einem seltenen Spieler-Typus, der nicht nur auf dem Platz für enorme Souveränität und Führungsstärke steht.
Galt er lange noch als angehender "Aggressive Leader", so kann man mittlerweile das "angehend" streichen - wie auch das "Aggressive". Kimmich ist eine Führungsfigur, Punkt. Im DFB-Team ist er bei entsprechender Fitness unumstritten gesetzt und dies zurecht.
Wenn man Kimmich etwas vorwerfen kann, dann nur seinen Wechsel von der rechten Außenbahn in die Zentrale. Denn die nun entstandene Lücke wird derzeit eher halbgar besetzt werden müssen.
Die bisherigen Erfolge von Joshua Kimmich:
- fünffacher deutscher Meister mit dem FC Bayern
- dreifacher DFB-Pokalsieger mit dem FC Bayern
- Gewinner der Champions League 2020 mit dem FC Bayern
- Confed-Cup-Sieger 2017 mit Deutschland
- 50 Länderspiele für Deutschland
Leon Goretzka als Kimmichs kongenialer Partner
An Kimmichs Seite wuchs auch Leon Goretzka zu einem wahren Monster in der Zentrale heran. Der Bochumer durchlief die komplette Ausbildung beim dortigen VfL, bevor er 2013 nach nur einem Jahr bei den Bochumer Profis zum FC Schalke 04 wechselte.
Nach fünf Jahren in Königsblau ging der mit einem damaligen Marktwert von 40 Millionen Euro versehene Goretzka 2018 ablösefrei zum FC Bayern, wo er bis heute im Duett mit Kimmich die Mitte im Griff hat. Das Triple 2020 feierte er ebenso, wie das Double im Jahr davor. In der DFB-Elf könnte er von seinem blinden Verständnis mit Kimmich profitieren und gleichermaßen gesetzt sein.
Dass Jogi Löw bei der kommenden Europameisterschaft auf Goretzka setzen wird, ist zu erwarten. Dabei sollte der 26-Jährige jedoch nicht nur seinen Kaderplatz sicher in der Tasche haben. Das Duo Kimmich-Goretzka, welches über die letzten Monate exzellent performte, zu sprengen, nur um einen verdienten Spieler wie Toni Kroos unterzubringen, dürfte sich als fatal erweisen.
Und genau darin liegt die Problematik des Überangebots im deutschen Mittelfeld. Denn mit dem Bayern-Duo und dem sich in überragender Form befindlichen Ilkay Gündogan hätte man die derzeit wohl stimmigste Besetzung der Zentrale im 4-3-3 oder 4-2-3-1 gefunden.
Nach jetzigem Stand der Dinge wird es für Löw immens wichtig sein, frühzeitig auf eine definitive Kombination zu setzen - auch wenn dies wohl für Kroos schwer nachzuvollziehen wäre.
Die bisherigen Erfolge von Leon Goretzka:
- Triple-Gewinner 2020 mit dem FC Bayern
- Double-Gewinner 2019 mit dem FC Bayern
- Confed-Cup-Sieger und -Torschützenkönig 2017 mit Deutschland
- 29 Länderspiele für Deutschland
Toni Kroos als Opfer des aktuellen Überangebots?
Mehrfacher Sieger der Champions League, mehrfacher nationaler Meister in zwei Ländern, über 100 Spiele für Deutschland, Weltmeister - Toni Kroos hat in seiner stolzen Karriere so ziemlich jeden Titel abgeräumt. Dass dieser renommierte Profi, der besonders in seiner langen Zeit bei Real Madrid glänzen konnte, nicht als gesetzter Stammspieler zur kommenden Europameisterschaft fährt, ist eigentlich wenig nachvollziehbar. Eigentlich.
Denn die aktuelle Auswahl an zentralen Mittelfeldspielern könnte Kroos tatsächlich auf die Bank befördern. Schon bei der Weltmeisterschaft 2018 ging Kroos mit dem Rest der in die Jahre gekommenen Auswahl unter, ohne den gebürtigen Greifswalder als Schuldigen für das frühe Aus in Russland zu benennen.
Der mittlerweile 31-Jährige hat sich seinen Platz im Kader für die kommende EM sicherlich auch nicht nur durch seine Leistungen in der Vergangenheit verdient. Auch in der laufenden Saison gehört er bei den Königlichen zum absoluten Stammpersonal und steht aktuell mit den Madrilenen im Viertelfinale der Champions League und weiterhin in Schlagdistanz zum Meistertitel in La Liga.
Doch sollte Löw tatsächlich erwägen, das Duo Kimmich-Goretzka nicht zu sprengen, müsste sich Kroos mit Ilkay Gündogan um einen Platz in der deutschen Startelf streiten. Gündogan befindet sich aber derzeit in absolut überragender Form bei Manchester City und Kroos musste seinerseits unlängst die anstehenden Länderspiele aufgrund von Adduktorenproblemen absagen.
Sollten Kimmich, Goretzka und Gündogan die letzten Partien vor dem Turnier nutzen können, um sich als verständiges Trio in der deutschen Zentrale zu präsentieren, bliebe für Kroos bei der EM tatsächlich nur die Rolle des Herausforderers - trotz aller Verdienste in der Vergangenheit.
Die bisherigen Erfolge von Toni Kroos:
- zweifacher spanischer Meister mit Real Madrid
- dreifacher deutscher Meister mit dem FC Bayern
- dreifacher DFB-Pokalsieger mit dem FC Bayern
- vierfacher Gewinner der Champions League (dreimal mit Real, einmal mit dem FC Bayern)
- Weltmeister 2014 mit Deutschland
- 101 Länderspiele für Deutschland