Rekorde, Standardschwächen, Überraschungen: So haben sich die Underdogs der EM geschlagen
Von Helene Altgelt
In jeder Gruppe gab es bei der EM ein Team, dem eher geringe Chancen auf das Erreichen des Viertelfinales zugestanden wurden. In Gruppe A Nordirland, bei Gruppe B Finnland, Portugal in Gruppe C. Einzig in der Gruppe D war es weniger klar, allerdings gingen viele im Vorfeld davon aus, dass Island und Italien den zweiten Platz unter sich ausmachen würden - Belgien hat es aus der Außenseiter-Rolle aber geschafft.
Die anderen Underdogs haben sich tapfer geschlagen, konnten aber keine Siege einfahren. Dennoch fiel positiv auf, dass sie mitspielen wollten und nicht nur den Bus parkten. Ein Fazit nach der Gruppenphase.
Gruppe A: Nordirland
Nordirland ging als der krasseste Underdog in das Turnier, die Erwartungen an das Team von Kenny Shiels waren nicht hoch. Das erste EM-Tor der Geschichte feiern, vielleicht. Ein Punkt gegen England, Österreich oder Norwegen wäre eine Sensation gewesen. Ein Unentschieden gelang dann auch nicht, ein Tor dagegen schon. Beim Stand von 3:0 für die Skandinavierinnen gelang Julie Nelson das vielumjubelte Tor durch einen Kopfball - die 37-jährige Verteidigerin wurde somit zur ältesten Torschützin bei einer EM. Der Assist kam von Liverpools Rachel Furness, der vielleicht wichtigsten Spielerin im nordirischen Kader, über die auch bei dieser EM fast alle Angriffe liefen.
Aber nicht nur dieses historische Tor sollte erwähnt werden, denn auch sonst schlug sich Nordirland gegen individuell um Weites überlegene Gegner gut. Das Team, zum größten Teil aus Amateurinnen bestehend, hatte vor der EM noch ein sechsmonatiges Trainingslager eingelegt, um sich intensiv auf das Turnier vorzubereiten. In manchen Bereichen hat es sicherlich geholfen - Nordirland machte das Meiste aus ihren Möglichkeiten. Wie es zu erwarten war, standen sie die meiste Zeit eher tief und versuchten, mit Kontern selbst zum Erfolg zu kommen.
Aber das machten sie dann auch konsequent, Nordirland rückte oft mit mehreren Spielerinnen auf, wenn sie den Ball gewannen, und versuchten nicht nur, den Ball in die Spitze zu schlagen. Natürlich offenbarten sie defensiv einige Lücken, besonders gegen England, aber sie konnten Norwegen eben auch das ein oder andere Mal in Verlegenheit bringen und machten es Österreich schwer, große Chancen zu erspielen.
Gruppe B: Finnland
Auch Finnland wollte mit einer starken Defensive den drei Topteams aus Gruppe B - Deutschland, Spanien und Dänemark - Kopfzerbrechen bereiten. Gegen Dänemark funktionierte das am besten, die Favoritinnen taten sich lange Zeit schwer, bis Pernille Harder sie in der 72. Minute erlöste. In der Nachspielzeit war Finnland dann denkbar knapp am Ausgleich dran, ein herausragender Reflex von Torhüterin Lene Christensen verhinderte aber den Punktgewinn. Es war eine Partie, in der sich beide Torhüterinnen auszeichnen konnten, denn auch die Ex-Bayern-Spielerin Tinja-Riikka Korpela war mit vier Paraden gut aufgelegt.
Spanien und Deutschland stellten die finnische Abwehr vor größere Probleme - wobei Finnland, wie auch Nordirland, ihren ersten Treffer gleich im Eröffnungsspiel bejubeln durfte. Nach nur 50 Sekunden lag der Ball bereits im Netz von Spanien, auch hier war eine erfahrene Spielerin für den Treffer verantwortlich: Rekordtorschützin Linda Sällström, das schnellste Tor bei einer EM, seit es Gruppenspiele gibt. Danach setzte sich Spanien mit 4:1 durch, die Art und Weise wie, wirkt aber überraschend: Drei der vier Tore waren Kopfbälle, der letzte ein Elfmeter.
Aus dem Spiel heraus verteidigte Finnland gut, ließ Spanien mit ihrem gewohnten Kurzpassspiel zu wenigen Chancen kommen - dafür stellten sich Flanken bei der EM als ihre Achillesferse heraus, oft war die Zuordnung schlecht und Spielerinnen am zweiten Pfosten wurden sowohl gegen Spanien als auch gegen Deutschland sträflich alleingelassen. In Ansätzen konnten sie mit schnellen, klugen Pässen zeigen, was nach vorne gehen könnte, oft fehlte am Ende aber die technische Qualität.
Gruppe C: Portugal
Von den Außenseitern spielte Portugal den unkonventionellsten und mutigsten Spielstil, womit sie in den ersten beiden Gruppenspielen auch recht erfolgreich waren. Die "Selecao das Quinas" war als Nachrücker für Russland zur EM gekommen, angesichts der geringen Vorbereitungszeit waren für sie die Erwartungen ebenfalls eher gering. Vielleicht half diese Unbekümmertheit Portugal auch, denn die Spielerinnen waren bereit, viel ins Risiko zu gehen und sich auch mal etwas zu trauen, gegen zwei ins Dribbling zu gehen oder eine Rabona-Flanke zu versuchen. Nicht immer klappte das, aber es war schön anzusehen und Portugal erwies sich von den Underdogs am torgefährlichsten.
Vier Tore konnten sie in den Gruppenspielen erzielen, nur gegen Schweden blieb Portugal ohne eigenen Torerfolg. Kurios ist dabei, dass sie in jedem Spiel 0:2 zurücklagen, gegen die Schweiz und die Niederlande aber noch das Comeback schafften und ausgleichen konnten. Gegen die Schweiz gelang dann tatsächlich der Punktgewinn, die Niederlande setzten sich letztendlich dank eines Geniestreichs von Danielle van de Donk noch mit 3:2 durch. Die Comebacks von Portugal haben sicherlich wieder etwas mit Mentalität zu tun, aber auch spielerisch waren sie gut und konnten die Schweiz teilweise weit zurückdrängen. Das lag zum einen an ihrem individualistischen Spielstil - besonders die rechte Flügelspielerin Jessica Silva stellte die Gegnerinnen vor viele Probleme - und auch an ihrer Stärke bei den eigenen Standards. Obwohl Portugal generell eher kleingewachsen ist, konnten sie sich durch einstudierte Läufe in den Strafraum einige Chancen erarbeiten.
Ironischerweise ist eine ihrer größten Stärken aber auch Portugals Schwäche, denn bei den gegnerischen Standards sahen die Portugiesinnen oft nicht gut aus. Von zehn Gegentoren fielen sieben nach einer Ecke oder nach einem Freistoß - das Deckungsverhalten bei Standards war nicht gut, immer wieder waren Gegenspielerinnen komplett blank. Ohne diese Schwäche hätte Portugal vielleicht ernsthafte Chancen gehabt, aber angesichts der kurzen Vorbereitung musste Neto Prioritäten setzen. Und als Zuschauer war es durchaus unterhaltsam, einen Underdog zu sehen, der mehr auf seine eigene technische Versiertheit setzt als auf eine massive Abwehrkette.
Gruppe D: Belgien
Ein Underdog, der vielleicht eigentlich gar keiner war - denn die Unterschiede zwischen den Teams waren in Gruppe D kleiner als in den anderen, abgesehen von Frankreich befinden sich alle etwa auf dem selben Niveau. Belgien war aber am wenigsten der Einzug ins Viertelfinale zugetraut worden, denn das Team von Ives Serneels hat talentierte Akteurinnen wie Lyons Janice Cayman, Stürmerin Tessa Wullaert oder Tine de Caigny von Hoffenheim in seinen Reihen. Auf den weiteren Positionen ist die Qualität nicht ganz so hoch - mit einer geschlossenen Leistung zeigte Belgien aber trotzdem, wie es gehen kann.
Keine Frage, die Belgierinnen spielten in dieser Vorrunde auch nicht die Sterne vom Himmel, zwei Tore gelangen insgesamt. Das reichte für ein Remis gegen Island und den entscheidenden Sieg gegen Italien, das eine der Enttäuschungen dieser EM ist. Belgien machte auch bei ihrer Niederlage ein gutes Spiel, gegen Frankreich, als sie zwar mit 1:2 unterlagen, aber das Spiel recht offen gestalteten. Gegen Island zeigten sie dagegen eine Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte, der Sieg von Italien war ein Ergebnis von konzentrierter Defensivarbeit und effizientem Angreifen. 37 Bälle klärten die Belgierinnen im Verbund, Italien verzweifelte mit den Flanken. Bei Standards und Hereingaben zeigten sie sich recht sattelfest, anders als die anderen Underdogs.
Belgien ist damit vielleicht der typischste Außenseiter, denn sie haben wenige Fehler gemacht, die Basics gut verteidigt und konnten das Können ihrer besten Spielerinnen gut für das Team nutzen. Dazu kommt eine große Effizienz im Abschluss und mit Nicky Evrard eine starke Torhüterin im Rücken. Ob das auch gegen ein Team wie Schweden reicht, wird sich dann in Leigh am 22. Juli zeigen.
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