Re-Start beim BVB: Viele Trümpfe im Endspurt - und einige Gefahren
Von Florian Bajus

Nach einer Hinrunde mit Höhen und Tiefen ist der BVB vor dem Re-Start der Bundesliga wieder der ärgste Verfolger des FC Bayern. Schwarz-Gelb hofft auf die erste Meisterschaft seit 2012, dafür muss im engen Kampf an der Tabellenspitze jedoch alles passen.
Dortmund, das hat sich in der vergangenen Saison am deutlichsten gezeigt, hat das Potenzial, mehr als nur die zweite Kraft im deutschen Fußball zu sein. Doch wirklich oft ist es den Westfalen nicht gelungen, den großen Rivalen aus München zu stürzen. Im DFB-Pokal gelangen vereinzelt Siege, weswegen man 2017 sogar den Titel gewann. In der Meisterschaft muss man sich dem Primus jedoch seit 2013 beugen.
Größer hätte die Chance auf die Meisterschaft vor einem Jahr nicht sein können, doch der BVB zeigte Nerven und verspielte den Titel trotz zwischenzeitlich neun Punkten Rückstand. Auch in der Hinrunde dieser Saison waren die Leistungen schwankend, auf große Siege folgten bittere Niederlagen. Erst nach der Winterpause, in der der Kader mit Erling Haaland und Emre Can verstärkt wurde, wurden die Leistungen konstanter - doch immer dann, wenn man kurz vor einem größeren Erfolg steht, erleidet die Mannschaft einen Rückschlag. So wurde das Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Paris St. Germain mit 2:1 gewonnen, das Rückspiel ging jedoch mit 0:2 verloren. Auch im Pokal war bereits im Achtelfinale Schluss, der Fokus liegt also wie im Vorjahr auf der Bundesliga.
Acht von elf Rückrundenpartien hat Dortmund gewonnen, doch bei vier Punkten Rückstand auf den FCB sind weitere Ausrutscher nicht erlaubt. Im Endspurt geht es um neun Siege, in der Hoffnung, dass die Bayern Federn lassen. Sowohl der Tabellenführer als auch sein ärgster Verfolger müssen eine Feuertaufe bestehen. Welche Trümpfe hat der BVB in der Hand? Und welche sind die größten Gefahren?
1. Trumpf: Explosive Offensive
In der Offensive war der BVB bereits vor Erling Haaland herausragend besetzt. In der Hinrunde gelangten die Verantwortlichen allerdings zur Erkenntnis, dass die Mannschaft einen richtigen Stürmer benötigt, um wieder in die Spur zu finden.
Für 20 Millionen Euro wurde Shootingstar Erling Haaland von Red Bull Salzburg verpflichtet. Der Norweger glänzte gleich bei seinem Debüt in Augsburg: Nach seiner Einwechslung beim Stand von 1:3 schnürte er binnen 20 Minuten einen Hattrick, weil Jadon Sancho zwischenzeitlich ein weiteres Tor erzielte, ging Dortmund mit 5:3 als Sieger vom Platz.
Haaland, Sancho, Thorgan Hazard, Giovanni Reyna, Marco Reus und Julian Brandt stehen für extreme Torgefahr. 31 Rückrundentore hat der BVB bereits erzielt, in fünf von elf Partien fielen mehr als drei Treffer. Auf diese Wucht wird es im Endspurt ankommen, denn wenn der Angriff einmal aufdreht, überrollt Schwarz-Gelb seine Gegner.
2. Gefahr: Mangelnde defensive Stabilität
Es dauerte, bis die Abwehr wieder sattelfest war. Weder in der Hinrunde, noch zu Beginn der Rückrunde überzeugte der BVB defensiv, in den ersten fünf Partien der zweiten Saisonhälfte kassierte Torwart Roman Bürki satte elf Gegentore.
Mittlerweile haben sich die Leistungen stabilisiert. Allen voran Dan-Axel Zagadou hat einen großen Teil dazu beigetragen. Der Franzose, vor einem Jahr noch ein Risikofaktor in der Innenverteidigung, hat Manuel Akanji längst den Rang abgelaufen. An der Seite von Mats Hummels und Lukasz Piszczek überzeugt er mit seiner Kopfballstärke und Robustheit, kaum ein Gegenspieler kann ihn über 90 Minuten dominieren.
Jedoch hat sich Zagadou im April am Knie verletzt. Der Außenbandanriss bedeutet einen wochenlangen Ausfall, vorerst muss Akanji wieder aushelfen. Dessen individuelle Fehler waren in der Hinrunde ausschlaggebend für die wackelige BVB-Abwehr; weil auch Emre Can am ersten Spieltag auszufallen droht, besteht die Gefahr, dass wieder mehr Gegentore fallen werden.
3. Trumpf: Starke Außenverteidiger
Nicht nur die Stürmer, auch die Außenverteidiger tragen einen großen Teil dazu bei, dass Dortmund zu den torgefährlichsten Mannschaften in Europa gehört. Sowohl Raphael Guerreiro als auch Achraf Hakimi marschieren über 90 Minuten nach vorne, setzen auf den Außenbahnen viele Akzente und sind unmittelbar an der Kreation von Torschüssen und Toren beteiligt.
Allein Hakimi erzielte in der laufenden Saison sieben Tore und lieferte zehn Vorlagen, Guerreiro steht bei je fünf Toren und fünf Assists. Der Portugiese ist speziell bei Standardsituationen eine echte Waffe, Hakimi überragt derweil mit seinem Tempo und seinen technischen Fertigkeiten aus dem Spiel heraus.
In diesem Trumpf liegt aber auch eine Gefahr: Ein Ausfall wäre für Lucien Favre nur schwer zu kompensieren. Nico Schulz kann nicht annähernd an seine Leistungen unter Julian Nagelsmann, der ihn in Hoffenheim zum Nationalspieler geformt hat, anknüpfen und liegt deutlich hinter Guerreiro. Als Ersatz für Hakimi bietet sich derweil lediglich Piszczek als ernstzunehmende (aber deutlich langsamere) Alternative an.
4. Gefahr: Mangelnde Dominanz im Ballbesitz
Die Mannschaft entfaltet ihre Torgefahr am ehesten dann, wenn sie ihr Tempo in Umschaltsituationen voll ausspielen kann. Ist der Gegner jedoch tief gestaffelt und Dortmund gefordert, in langen Ballbesitzphasen Räume zu kreieren, in die die Angreifer vorstoßen können, entwickelt sich nicht selten ein zähes Spiel ohne wirklich viele Torchancen.
Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass der BVB gerade gegen vermeintlich kleinere Mannschaften wackelt. Mehrfach forderte Favre Ruhe und Geduld im Ballbesitz, noch haben es seine Spieler aber nicht verstanden, das Spiel auf diese Weise zu dominieren. Gelingt der Spagat zwischen Umschalten und Dominanz nicht, drohen einige der bevorstehenden Partien enger zu werden als gedacht.
5. Trumpf: Robustes Mittelfeld
Seit der Verpflichtung von Emre Can ist der BVB besonders im defensiven Mittelfeld stabiler geworden. Der deutsche Nationalspieler räumt gemeinsam mit Witsel vor der Dreierkette auf, gleichzeitig ziehen beide das Spiel aus der Tiefe heraus auf.
Auch weil sich das Duo in den Wochen vor der Saisonunterbrechung zusammengefunden hat, kassierte Bürki in den letzten sechs Spielen nur vier Gegentore. Allerdings drohen sowohl Witsel als auch Can für das Derby gegen Schalke auszufallen.
6. Gefahr: Weiche Knie im Meisterkampf
Der Frust über das Ende der abgelaufenen Saison war riesig. Die Chance auf die Meisterschaft war größer denn je, doch in der Rückrunde verspielte die Mannschaft alle Titelchancen.
In diesem Jahr soll der große Wurf gelingen, doch nach einer wackeligen ersten Saisonhälfte geht man mit vier Punkten Rückstand in das Saisonfinale. Ausrutscher darf sich der BVB keine mehr erlauben, es gilt, so lange Druck auf die Bayern auszuüben, bis die Mannschaft von Hansi Flick patzt.
Die größte Gelegenheit bietet sich im direkten Duell am 26. Mai. Danach sind allerdings noch sechs Spiele zu spielen. In dieser Saison muss die Mannschaft in den entscheidenden Momenten gefestigter auftreten, wenn sie Meister werden will. Doch wie in der Hinrunde, in der wochenlang über mangelnde Mentalität diskutiert wurde, steht die Frage im Raum, ob der BVB wirklich bereit ist. Werden die Knie nur einmal weich, droht der FC Bayern davonzuziehen - insofern ist der Druck enorm.