90min-Powerranking zur EM: Die Chancen der acht Viertelfinalisten
Von Guido Müller
Nach dem großen Schnitt des Achtelfinales kämpfen noch acht Teams um die Krone des europäischen Fußballs. Das Starterfeld des Viertelfinales der EURO 2020 bietet dabei die ganz Bandbreite - von Außenseitern (wie Tschechien, Ukraine oder Dänemark) über mehr oder weniger überraschende Geheimfavoriten (wie die Schweiz) bis zu den bereits vor dem Turnier gehandelten Titel-Kandidaten (Belgien, Italien, Spanien und England) ist alles dabei.
8. Ukraine - Titelwahrscheinlichkeit: 2 Prozent
Auf gerade zu italienische Art und Weise haben sich die von Stürmer-Legende Andriy Shevchenko trainierten Osteuropäer ins Achtelfinale gemogelt: am Ende reichte ein Sieg in der Vorrunde (gegen Nordmazedonien), um als einer der besten vier Gruppendritten in die K.o.-Runde einzuziehen.
Im Achtelfinale gegen spielerisch überlegene Schweden zeigten sich die Ukrainer vor allem physisch sehr stabil - und hatten bei den Pfosten- und Lattentreffern von Emil Forsberg auch das nötige Quäntchen Glück, das man für einen Erfolg immer braucht.
Sollte der Ukraine im Viertelfinale gegen England tatsächlich die Überraschung gelingen, würden die Chancen (im Halbfinale würde dann Dänemark oder Tschechien warten) sicherlich nicht geringer werden.
Der Vorteil des Außenseiters: England kann am Samstag (21.00 Uhr) nicht auf seinen Heimvorteil bauen. Das Spiel findet in Rom statt.
7. Tschechien - Titelwahrscheinlichkeit: 4 Prozent
Auch die Tschechen profitierten vom Austragungsmodus dieser EURO 2020 und kamen als Dritter der Vorrunden-Gruppe D (hinter England und Kroatien) in die Runde der letzten Sechzehn. Immerhin mit vier Punkten und einem positiven Torverhältnis.
Gegenüber der Ukraine spricht für die Tschechen die Tatsache, dass sie schon einmal bei einer EM (1996) alle Prognosen widerlegten, überraschenderweise ins Finale vorstießen und dieses nur denkbar knapp (per Golden Goal) gegen den großen Favoriten Deutschland verloren.
Nicht zu vergessen natürlich auch ihr bislang einziger Titel im Jahr 1976. Auch damals hieß der Final-Gegner Deutschland - was beim aktuellen Turnier ja nicht mehr möglich ist...
6. Dänemark - Titelwahrscheinlichkeit: 6 Prozent
Spielerisch hat Dänemark von allen Außenseitern des Viertelfinales die beste Visitenkarte hinterlassen. Doch am beeindruckendsten der bisherigen Leistung der Skandinavier war wohl ihre Fähigkeit, die traumatischen Geschehnisse rund um Christian Eriksens Zusammenbruch und anschließendem Überlebenskampf am Spielfeldrand beim Turnierstart gegen Finnland verarbeitet und in positive Energie umgewandelt zu haben.
Die abgezockten Belgier waren zwar noch eine Nummer zu groß, doch Russen (am 3. Gruppenspieltag) und Waliser (im Achtelfinale) bekamen jeweils vier Tore von den Nordeuropäern eingeschenkt - und mussten am eigenen Leibe spüren, zu was eine Mannschaft mit entsprechendem Teamgeist fähig ist.
5. Schweiz - Titelwahrscheinlichkeit: 8 Prozent
Wer den Top-Favoriten aus dem Turnier schmeißt, und das auch noch absolut verdient (wenn auch glücklich im Elfmeterschießen), ist in einem Viertelfinale nicht mehr als zu belächelnder Außenseiter anzusehen.
Im Viertelfinale gegen Spanien (Fr, 18.00 Uhr) in St. Petersburg wird die Favoriten-Rolle erneut beim Gegner liegen. Was für die Eidgenossen alles andere als ein Nachteil ist. Und wie man Spanien schlägt, wissen unsere südlichen Nachbarn auch. Bei der WM 2010 gewann die Schweiz sensationell das erste Gruppen-Spiel gegen den haushohen Favoriten - und späteren Weltmeister. Der Ausfall von Granit Xhaka (Gelbsperre) jedoch dürfte schwer wiegen.
4. England - Titelwahrscheinlichkeit: 10 Prozent
Diese Quote mag den Fans auf der Insel die Zornesröte ins Gesicht treiben - aber sorry: Wirklich überzeugt haben die Three Lions bislang noch bei keinem einzigen Spiel. Auch das 2:0 im Achtelfinale gegen Deutschland (vor heimischem und zahlreichem Publikum) war mehr der zögerlichen Unentschlossenheit und fehlenden Kaltschnäuzigkeit des Gegners geschuldet, als eigenen Meriten.
Zudem muss England gegen die Ukraine auf den Faktor Heimvorteil verzichten. Alles mögliche Ingredienzen für eine weitere Turnier-Überraschung. Denn die wäre ein Scheitern der Engländer am Samstag gegen die Ukraine trotzdem allemal.
3. Spanien - Titelwahrscheinlichkeit: 20 Prozent
Recht schleppend sind die Spanier ins Turnier gekommen. Nach den ersten beiden Spielen gegen Schweden und Polen stand noch kein einziger Sieg - und nur ein geschossenes Tor. Die Angst vor einem frühen Aus schien die Iberer zu lähmen. Fünf Tore im letzten Gruppenspiel gegen die Slowakei sowie fünf Treffer im wilden Ritt des Viertelfinals gegen die Kroaten dürften aber mittlerweile für Vertrauen in die eigene (Offensiv-)Stärke gesorgt haben.
Beeindruckend war gegen Kroatien vor allem die Fähigkeit der Spanier, den Schalter nach der verspielten Zwei-Tore-Führung in der Verlängerung nochmals umzulegen.
2. Italien - Titelwahrscheinlichkeit: 22 Prozent
Das kleine Plus gegenüber Spanien lässt sich an zwei Faktoren festmachen: Da wäre zum einen die immer unheimlicher werdende Siegesserie der Squadra Azzurra unter Roberto Mancini - und zum anderen die Tatsache, dass die Fußball-Nation Italien nach zahlreichen Enttäuschungen in den letzten 15 Jahren (seit ihrem WM-Triumph von 2006) endlich wieder Titel-Hunger verspürt. Die bisherigen Leistungen lassen bislang auch keine großen Schwächen erkennen.
Das Viertelfinale gegen Belgien (Fr, 21.00 Uhr) kann getrost als vorweg genommenes Finale angesehen werden. Zumindest wird der Sieger dieses in München stattfindenden Duells nicht weniger Chancen auf den Titel haben als jetzt schon.
1. Belgien - Titelwahrscheinlichkeit: 28 Prozent
Wenn nicht jetzt, wann dann? So oder so ähnlich dürften die Belgier in diesen Tagen antworten, wenn sie zu den Titelchancen ihrer Roten Teufel gefragt werden. Die Goldene Generation der Belgier, als Titel-Kandidaten schon bei der WM 2014 in aller Munde, muss allmählich liefern, denn die de Bruynes, Vermaelens, Hazards oder Lukakus werden ja auch nicht jünger.
Ihre bisherigen Aufgaben haben die Belgier jedenfalls allesamt souverän (und ohne sich dabei ein Bein auszurenken) gelöst. Tatsächlich sind sie die einzigen der acht Viertelfinalisten, die alle ihre bisherigen Spiele in der regulären Spielzeit gewinnen konnten.