Der Killer mit dem Engelsgesicht schließt für immer die Augen
Von Guido Müller

Er gehörte sicherlich nicht zu den allergrößten Fußballern in der Geschichte dieses Sports. Das würden sie wohl auch in seiner italienischen Heimat nicht anders sehen. Und dennoch hat der viel zu frühe Tod von Paolo Rossi eine große Lücke im Bel Paese hinterlassen.
Und das hängt natürlich untrennbar mit der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien zusammen. Dass Paolo Rossi bei diesem Turnier überhaupt dabei sein konnte, verdankte er der Gnade des italienischen Fußballverbandes. Denn nach einem Skandal um ein abgesprochenes Serie-A-Spiel zwischen dem AC Perugia und der US Avellino im Jahr 1979 wurde auch Rossi für schuldig gesprochen und zu einer dreijährigen Sperre verurteilt.
Gnade nach dem Skandal
Nur durch die spätere Abmilderung der Strafe auf zwei Jahre, war Rossi im April 1982, gut zwei Monate vor dem WM-Turnier, wieder spielberechtigt. Was seinen Nationaltrainer Enzo Bearzot flugs dazu brachte, das "Engelsgesicht" wieder in den Kader der Squadra Azzurra einzuladen.
Debütiert hatte der Stürmer für die Auswahl seines Landes bereits vier Jahre zuvor, bei der WM in Argentinien, wo ihm immerhin drei Treffer gelangen.
Doch Bearzots Entscheidung, Rossi wieder zurückzuholen, traf bei vielen in Italien auf Unverständnis. Immerhin hatte der Stürmer zwei Jahre lang kaum Spielpraxis sammeln können. Und die Befürchtungen schienen sich zu bestätigen, als Italien während der ersten Gruppenphase (mit Polen, Peru und Kamerun) nur zwei Törchen (!) zustande brachte.
Dennoch reichten ein torloses Unentschieden (gegen Polen) sowie zwei 1:1-Remis gegen die Afrikaner und Südamerikaner zum Weiterkommen in die 2. Finalrunde (die damals das Achtel-und Viertelfinale, wie wir es kennen, ersetzte).
Doch wirklich Stimmung war bis dahin im Land hinter den Alpen nicht wirklich aufgekommen. Zu sehr saß der Stachel der Enttäuschung über die Spielmanipulation in der Serie A drei Jahre zuvor. Und zu sehr hatten sich die Italiener auch in den vorangegangenen Jahrzehnten an die Erfolglosigkeit ihrer Mannschaft bei WM-Turnieren gewöhnt.
Rossi trifft nacheinander gegen Brasilien, Polen und Deutschland
Zum Zeitpunkt des Turniers in Spanien war Italien bereits seit vierundvierzig Jahren ohne Titel geblieben. Doch das zweite (und letzte) Zwischenrunden-Spiel in der Gruppe C gegen die hochfavorisierten Brasilianer um Sócrates, Zico, Éder, Falcao, Cerezo und Serginho sollte zu einem Wendepunkt werden. Für Italien - und für Paolo Rossi.
Italiener wie Brasilianer hatten zuvor ihr Spiel gegen Maradonas Argentinien gewonnen. Wer also das Spiel im Estadio Sarrià zu Barcelona gewinnen sollte, würde als Gruppensieger ins Halbfinale einziehen.
Es entwickelte sich eines der besten Spiele. Nicht nur dieses Turniers, sondern der WM-Geschichte. Zweimal war Italien durch Rossi in Führung gegangen, zweimal konnte Brasilien ausgleichen. Doch auf den dritten Treffer des Juve-Stürmers hatten die Südamerikaner keine Antwort mehr.
Diesem Dreierpack ließ Rossi im Halbfinale gegen die Polen einen Doppelpack folgen, bevor er schließlich auch im Endspiel von Madrid gegen Deutschland traf. Sein Treffer zur 1:0-Führung leitete den am Ende ungefährdeten 3:1-Sieg der Italiener ein, die sich nach mehr als vier Jahrzehnten endlich zum Weltmeister krönen konnten. Mit seinen sechs Treffern in drei Spielen hatte Paolo Rossi, der somit auch zum WM-Torschützenkönig avancierte, einen erheblichen Anteil.
Gestern schloss der "Killer mit dem Engelsgesicht" im Alter von nur 64 Jahren für immer seine Augen. Paolo Rossi hinterlässt eine Frau und zwei Töchter. Und die unsterblichen Erinnerungen an jene Sommertage des Jahres 1982.