Olympia-Erlebnisbericht aus Lyon: Frankreich-Euphorie, Hitze und La Ola
Von Helene Altgelt
Das olympische Frauenfußball-Turnier hat einen hohen Stellenwert. Aber wie ist die Stimmung in Frankreich? Bei der letzten WM in Australien und Neuseeland hatte sich eine regelrechte Euphorie entwickelt, ähnlich war es bei der EM 2022 in England.
Bei Olympia, wo die Spiele quer über das ganze Land verteilt sind, ist das etwas anders. Die Zuschauerzahlen sind eher enttäuschend. Aber es kommt sehr darauf an, welches Team gerade spielt. Eindrücke aus Lyon, wo bei Frankreich Euphorie aufkommt und auch Deutschland das Halbfinale gegen die USA spielte.
Lyon: Spiele in der Stadt präsent - aber wenige Trikots
Olympia ist schwer zu verpassen. Schon im Zug nach Lyon wünscht die Schaffnerin viel Spaß bei den Spielen. Am Bahnhof wartet dann ein kleiner Makeup-Stand, der auch von einigen Mädchen genutzt wird, um sich Flaggen auf das Gesicht schminken zu lassen. In Lyon finden insgesamt sechs Partien statt, vier davon im Frauenfußball. Auch im Stadtbild finden sich überall Poster.
Das Logo der Spiele hat inzwischen wohl jeder Franzose öfter gesehen als seinen eigenen Pass. Aber überall prangt nur der Schriftzug "Paris 2024". Von Lille, Lyon oder Marseille, wo auch Wettbewerbe stattfinden, keine Spur. Und auch Fußballtrikots werden in der Stadt, am Ufer der beiden Flüsse Rhone und Saone oder in dem pittoresken Zentrum, nur selten gesichtet.
Starke Hitze: Fächer und Flucht in den Schatten
Vielleicht liegt das aber auch an der drückenden Hitze. Bis zu 37 Grad sind es in der drittgrößten Stadt Frankreichs, und Erfrischung sucht man vergeblich. Das zeigt sich am deutlichsten bei den Spielen: Das Groupama-Stadion, wo sonst Olympique Lyon seine Heimspiele austrägt, heizt sich ganz schön auf. Zumindest auf der Seite, wo die Sonne am Nachmittag mit voller Wucht reinknallt.
Am Anfang der Partien ist diese Seite noch am besten besetzt, danach fliehen nach und nach alle in den Schatten. Auf der Sonnenseite des Lebens stehen? Lieber nicht. Zum Glück nimmt man es in dem Stadion mit der Sitzplatzkontrolle nicht so genau. Das erfolgreichste Merchandise-Produkt dürften in Lyon daher auch die Olympia-Fächer sein: Fünf Euro das Stück, sie werden bei den Spielen reichlicher geschwenkt als Fahnen.
Weniger Fans als interessierte "Flaneure"
Das Drumherum der Partien ist für die meisten Fußballfans gewöhnungsbedürftig: Alles richtet sich eindeutig an Zuschauer, die eher zufällig beim Fußball gelandet sind. Nach dem Motto: Wenn schon Olympia in Lyon ist, dann kann man es ja schonmal mitnehmen. Vor Anpfiff werden die Regeln des Fußballs erklärt. Oh Wunder: "Das Team, das mehr Tore schießt, gewinnt", verkündet der Stadionsprecher.
Das Publikum ist bunt gemischt. Viele wollen einfach mal reinschnuppern, andere verbinden Olympia mit einem Urlaub. Die kolumbianischen Fans zeigen sich sehr zahlreich und stimmkräftig. Von neuseeländischer Seite ist dagegen nur eine kleine Delegation angereist, die hauptsächlich aus Verwandten besteht - sogar ein paar Grannys haben sich auf die lange Reise gemacht. Mit großen aufblasbaren Kiwis auf ihren Hüten und "Go, Kiwis, go!"-Gesängen geben sie sich große Mühe, aber so richtig Stimmung kommt nicht auf.
Kollektiver Rausch bei Frankreich-Spielen
Anders sieht es da schon bei den Lokalmatadoren aus. Les Bleues haben mit Abstand die besten Kulissen. Wo bei anderen Spielen viele Zuschauer mit Trikots und Flaggen anderer Länder ankommen - ist doch auch Fußball, oder? - wird hier eifrig die Trikolore geschwenkt. Fähnchen werden gratis an die Fans verteilt, vor Anpfiff ordentlich Stimmung gemacht. Die Botschaft: Bei den französischen Spielen wird nichts dem Zufall überlassen, hier soll alles sitzen.
Herzerwärmender als das orchestrierte Spektakel sind aber Momente der Spontaneität. Ein kleines Mädchen hat sich eine Fahne aus einem Stock und einem Fetzen Papier gebastelt und schwenkt ihn begeistert. Und während dem Spiel von Frankreich gegen Neuseeland schallt es plötzlich durch das Stadion: "Leon, Leon!" Leon Marchand, der französische Schwimm-Held dieser Spiele, hat gerade Gold gewonnen.
Für einen Moment blicken alle auf ihr Handy und in das Schwimmbecken. Es ist eine einzige kollektive Berauschung an der nationalen Identität, eine Feier Frankreichs. Der Fußball ist da nicht hauptsächlich, sondern dient bloß als Bühne für den Sport-Patriotismus. Für deutsche Beobachter wirkt das stellenweise etwas befremdlich: "Und wer nicht hüpft, ist kein Franzose!", wird gesungen, oder: "Wenn du stolz bist, Franzose zu sein, dann klatsch in die Hände!"
Viele leere Ränge, viel La Ola
Hat man diese Bilder im Kopf, sind die Kulissen bei anderen Partien nochmal enttäuschender. Beim Viertelfinale Spanien gegen Kolumbien ist das große Lyon-Stadion (Kapazität von 60.000) nur vereinzelt besetzt. Dabei ist es eins der spannendsten Spiele, Weltmeister Spanien fliegt um ein Haar raus. Vielleicht haben sich die Veranstalter beim Interesse verschätzt, eine Nummer kleiner hätte es wohl auch getan.
Beim Halbfinale von Deutschland gegen die USA sieht es wieder etwas anders aus, was vor allem an den angereisten amerikanischen Fans liegt. Auch der DFB-Tross hat einige Fans mitgebracht, die USA können da aber mehr als nur mithalten - was angesichts der großen Distanz schon erstaunlich ist.
Die amerikanischen Frauenfußball-Supporter zeigen ihr etwas anderes Verständnis vom Fan-Sein: Eine La-Ola-Welle nach der anderen wird initiiert - das gab es auch schon bei den anderen Spielen, aber nicht in dem Ausmaß. Mit Schminke, verrückten Kostümen und lauten Stimmen fallen die US-Fans definitiv auf. Von Superfans, die jedes Turnier mitgemacht haben, bis zu denen, die Europa-Reise praktisch mit Olympia verknüpfen wollen, ist auch bei ihnen alles dabei.
Der Großteil der Zuschauer sind aber immer noch diejenigen, die nicht so richtig wissen, für wen sie jetzt eigentlich sind. Sie machen die Wellen fleißig mit, sie klatschen bei den U-S-A Rufen. Sie schauen sich das Ganze einfach mal an. Und hoffen, einen Hauch vom olympischen Geist einzuatmen.