Nachwuchs-Alarm im DFB: "Es ist fünf nach zwölf"

Joti Chatzialexiou betrachtet die Zukunft des deutschen Fußballs mit großer Sorge.
Joti Chatzialexiou betrachtet die Zukunft des deutschen Fußballs mit großer Sorge. / Alexander Scheuber/Getty Images
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Mit Jamal Musiala, Florian Wirtz und Youssoufa Moukoko hat der deutsche Nachwuchs derzeit drei Aushängeschilder. Jedoch sind diese gerade einmal 18, 17 und 16 Jahre alt. In den Jahrgängen darüber fehlt es an hochkarätigen Nachwuchs. Daher schlägt Joti Chatzialexiou (Sportlicher Leiter Nationalmannschaften) nun gegenüber der Bild Alarm.


Wo steht der deutsche Nachwuchs wirklich? Ein Indikator dürfte die laufende U21-EM sein. "Die U21 ist immer wichtig für den Verband. Vor allem aber für die Spieler ist so ein Turnier eine wunderbare Erfahrung, es ist ein einzigartiger Wettbewerb. Die Erfahrungen nutzen enorm für weitere Turniere mit der A-Elf, die hoffentlich für sie kommen", erklärt Chatzialexiou die Wichtigkeit des Turniers.

Nach den Erfolgen der vergangenen Jahren ist das Team bei der diesjährigen EM nur Außenseiter. Warum das so ist, zeigte sich auch beim 1:1 gegen die Niederlande. So zeigte das Team von Stefan Kuntz keinen guten Fußball und bestach letztlich durch viel Moral.

"In der Spitze sind uns andere Länder voraus, das muss man klar sagen. Wenn man sich die Marktwerte anguckt, haben die Franzosen viermal so viel wie unsere Spieler, die Engländer dreimal so viel. In der Vergangenheit hatten wir eine bessere Breite hinsichtlich Spielern mit herausragenden individuellen Qualitäten. Wenn man sich allein die Abwehr beim Titel 2009 anguckt, da waren Hummels, Boateng, Höwedes, das war eine brutale Qualität", erinnert sich der 45-Jährige.

Chatzialexiou bemängelt fehlende Qualität: "Wir sehen das Gewitter kommen"

Dem Sportlichen Leiter fehlt es insbesondere an den individuellen Fähigkeiten der Spieler, was unter anderem einer fehlerhaften Trainerausbildung zugrunde liegt. „Es liegt an der Ausbildung und wie wir alle mit Talenten umgehen. Die Einsatzzeiten unserer Talente in der Bundesliga sind frustrierend. Und wir müssen in der Ausbildung einiges ändern, auch die Trainer anders ausbilden. Die Bolzplatzmentalität ist definitiv abhanden gekommen. Wir brauchen wieder mehr Spieler mit herausragenden individuellen Qualitäten, sind zu viel über die Mannschaft und ausschließlich einstudierte Abläufe gekommen", erklärt er.

Dementsprechend schwarz betrachtet dieser auch die Zukunft des deutschen Fußballs. „Die fehlenden Talente um die 20 Jahre sind in der Tat ein großes Problem, was uns beschäftigt. Es ist 5 nach 12, was den deutschen Nachwuchsfußball angeht! Wir sehen das Gewitter kommen im Jugendbereich! Ich habe die Befürchtung, dass nach der WM 2026 auf Deutschland eine Phase der Erfolglosigkeit zukommt. Wenn wir nicht gewisse Dinge ändern und nachholen", warnt er.

Als Vorbild sollen dabei unter anderem Frankreich und England dienen. Zwei Nationen, bei denen Talente, wie am Fließband produziert werden. "Sie haben eine ganz andere Qualität, da müssen wir aufpassen und entgegenwirken, wenn wir der neuen Generation die Möglichkeit geben wollen, an die Weltspitze zu kommen", so Chatzialexiou.

Corona-Krise und Spielkonsolen gefährden die Nachwuchsarbeit

Die Arbeit des DFB wird jedoch auch durch äußere Umstände bedroht, zumal die Corona-Krise schwere wunden im Vereinsfußball hinterlassen hat und den Nachwuchskräften die Trainingseinheiten fehlen. "Ich vergleiche das immer so: Das ist für die Spieler wie ein Kreuzbandriss! Gerade die, die gar nicht spielen konnten, hat das hart getroffen. Die warten alle aufs Go, dass sie endlich wieder regelmäßig trainieren und spielen dürfen", erklärt der Sportliche Leiter. Die Probleme begannen aber trotz allem auch schon vorher. So spielen Konsolen und Handys eine immer größere Rolle bei der neuen Generation, während Sport immer mehr in den Hintergrund rückt. „Ich hoffe, dass die Kids auch weiterhin Bock auf Fußball haben und es nicht erwarten können, der ‚Pille‘ hinterherzujagen. Ich hoffe, dass die Freude überwiegt, endlich wieder rauszugehen und richtig Fußball zu spielen und die Finger wegzulegen von der Playstation,“ wünscht er sich.

Florian Wirtz, Jamal Musiala und Youssoufa Moukoko sollen neue Generation anführen

Youssoufa Moukoko
Youssoufa Moukoko soll die Sorgen im Angriff beenden. / Lars Baron/Getty Images

Derzeit beruht die Hoffnung des deutschen Fußballs auf drei Namen. So sind Jamal Musiala (18), Florian Wirtz (17) und Youssoufa Moukoko diejenigen, die individuell für Aufsehen sorgen. "Er ist wirklich ein absolutes Ausnahmetalent. Unglaublich, wie fokussiert und diszipliniert er mit seinen 16 Jahren schon ist. Er versucht, alles aufzusaugen. Ich hoffe, dass er so weitermacht. Er hat im Verein ja auch ein gutes Vorbild mit Haaland", erklärt der 45-Jährige.

Moukoko soll die Probleme im deutschen Angriff lösen. Damit lastet jedoch schon jetzt gehöriger Druck auf seinen Schultern. "Wir wünschen uns diesen Stürmertyp, der uns zu Titeln schießt. Aber wir haben zwischenzeitlich zu viel Wert auf Tiki-Taka gelegt und zu wenig Fokus auf das Eins-Gegen-Eins, die Torabschlüsse. Moukoko ist zum Glück ein Lichtblick. Aber den klassischen Stürmer auf Top-Niveau sehen wir ansonsten nicht aktuell. Das haben wir erkannt und versuchen u.a. durch unser Stürmer-Programm entgegenzuwirken", so der DFB-Verantwortliche.

Neben Moukoko hat er auch positive Worte für die anderen beiden Youngster, Florian Wirtz und Jamal Musiala übrig. "Das ist eine unglaubliche Freude und toll zu sehen, wenn zwei so junge Talente in der A-Nationalelf ganz oben ankommen. Vor allem bei Jamal Musiala habe ich mich natürlich sehr gefreut, dass er sich für den DFB entscheiden hat. Er ist ein Unterschiedsspieler, der noch eine enorme Entwicklung machen wird. Und er hat in München einen tollen Trainer, der ihn dabei begleitet", freut er sich. Eines ist aber auch klar. Das Talente-Trio und ein Kai Havertz werden nicht genügen, wenn in acht, neun Jahren große Titel geholt werden soll.