Nach zweitem Saisontor: Kriegt Julian Brandt noch rechtzeitig die (EM-) Kurve?
Von Guido Müller
Mit seinem Treffer zur 1:0-Führung gegen Hertha BSC hat Julian Brandt sein Torekontingent in der laufenden Bundesliga-Saison um 100 Prozent erhöht. Von 1 auf 2. In Dortmund hoffen sie nun auf einen Brustlösereffekt beim Hochveranlagten.
Dabei bedurfte es bei seinem Tor in der 54. Minute durchaus der gütigen Mithilfe des Berliner Torwarts Rune Jarstein, der, bei freier Sicht, den 25 Meter-Schuss von Brandt arg unterschätzte und slapstickhaft am Ball vorbeigriff.
Brandt selbst dürften diese Umstände herzlich egal sein. Wenngleich er nach dem Spiel gegenüber Sky zugab: "Vielleicht hat der Wind eine entscheidende Rolle gespielt. Aber ich bin ehrlich: Ich habe mich selbst etwas erschrocken, dass er doch reingegangen ist."
Ob sich sein Trainer genauso "erschrocken" hat, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall attestierte Terzic seinem Schützling nach dem Spiel eine gute Leistung. "Julian war sehr gut im Spiel, hatte viele Ballaktionen. Durch das Tor hat er sich belohnt." (via ruhrnachrichten. de)
Ein echter Lichtblick für Brandt nach schwierigen Monaten, in denen sein vormaliger Status eines Stammspielers zu dem eines Teilzeitarbeiters degradiert worden ist. Angedeutet hatte sich diese Entwicklung schon unter Brandts Fürsprecher Lucien Favre.
Brandt zuletzt zum Teilzeitarbeiter degradiert
War Brandt noch im Schlussspurt der vergangenen Saison für den Schweizer gesetzt (in den letzten vier Partien stand der Nationalspieler über die volle Distanz von neunzig Minuten auf dem Feld), wurde derartige Vollzeitjobs in der laufenden Spielzeit immer rarer.
Tatsächlich stand der 24-jährige Mittelfeldspieler unter Favre bis zu dessen Entlassung Mitte Dezember nur in zwei Ligaspielen über die gesamte Spielzeit auf dem Feld: in Bielefeld am 6. Spieltag (wo er die für ihn ungewohnte Mittelstürmer-Position ausfüllte) sowie zwei Wochen später beim 5:2-Kantersieg im Berliner Olympiastadion.
Favres Nachfolger Edin Terzic behielt diese Linie zunächst bei, gewährte Brandt in seinen ersten vier Spielen lediglich drei Kurzeinsätze (beim Heimspiel gegen Wolfsburg am 14. Spieltag schmorte Brandt auf der Bank) über zusammen 40 Minuten Einsatzzeit, ehe er ihn in den folgenden drei Spielen (gegen Mainz, Leverkusen und Gladbach) mal wieder in den Genuss der vollen Spielzeit kommen ließ.
Brandt schon auf fünf verschiedenen Positionen eingesetzt
Fast genauso auffällig wie die reduzierten Arbeitszeiten sind die vielen unterschiedlichen Positionen, auf denen Brandt allein in dieser Saison schon aufgestellt wurde. Vom Mittelstürmer über Links-und Rechtsaußen bis hin zum zentralen und zuletzt offensiven Mittelfeldspieler war schon alles dabei.
Brandt wird somit wieder einmal zum Opfer seiner eigenen Stärke: der Vielseitigkeit. Doch dieser eigentlich als Vorzug zu bezeichnende Umstand kann sich in einem Fußballer-Leben auch schnell als Nachteil erweisen. Denn um sich auf einer bestimmten Position einspielen zu können, bedarf es einer gewissen Regelmäßigkeit. Diese aber ist im Fall von Julian Brandt nicht wirklich gegeben.
Doch darüber hätte er sich vielleicht vor der Saison Gedanken machen sollen. Im Kader des BVB hat er den Ruf der Allzweckwaffe nun mal weg - und muss mit Leistungen, wie der vom vergangenen Wochenende dafür werben, regelmäßig aufgestellt zu werden. Mit seinem guten Spiel gegen die Alte Dame ist der erste Schritt dahin schon mal gemacht.
Doch für Brandt geht es in dieser Europameisterschafts-Saison natürlich um viel mehr als "nur" einen Stammplatz im schwarz-gelben Kader. Das Ziel des gebürtigen Bremers ist und bleibt die Teilnahme an der im Juni beginnenden Kontinentalmeisterschaft.
Dafür gilt es für Brandt nun im Saisonschlussspurt den Rückenwind seines zweiten Saisontores zu nutzen - und Bundestrainer Jogi Löw von seiner Wichtigkeit zu überzeugen. Der hat im vergangenen Kalenderjahr 2020 nämlich nur bedingt auf die Dienste des Edeltechnikers gesetzt.
Von den insgesamt acht Länderspielen kam Brandt nur in vier zum Einsatz. Immerhin kann er sich von einer Teilverantwortung für das heftige 0:6-Desaster in Spanien im November freisprechen - denn auch gegen die Iberer saß Brandt über die neunzig Minuten auf der Bank.
Mo Dahoud als "Spiegel" für Brandt
Ein Vorbild in Sachen Image-Pflege hat Brandt sogar in seinem eigenen Klub. Denn auch ein Mahmoud Dahoud war lange Zeit in Dortmund außen vor, sah sich zum Jahresbeginn sogar mit einer Suspendierung seitens seines Coaches Terzic konfrontiert - um danach jedoch stärker denn je zurückzukommen.
In den letzten vier Spielen gehörte "Mo" wieder zum Stammpersonal der Borussen - und konnte beim 3:0-Erfolg gegen Bielefeld vor gut zwei Wochen ebenfalls endlich seinen ersten Torerfolg in der laufenden Bundesliga-Saison verzeichnen.
Zudem markierte der 25-Jährige den eminent wichtigen Ausgleichstreffer beim 3:2-Hinspielsieg im Champions League-Achtelfinale beim FC Sevilla.
Dahoud und Brandt - zwei Spieler, die sich nach langer Durststrecke nun wieder auf dem aufsteigenden Ast zu befinden scheinen. Sollte aus dieser Momentaufnahme in den nächsten Wochen ein Dauerzustand werden, dürfte sich darüber neben den Spielern selbst (und ihrem Klub) vor allem einer freuen: Bundestrainer Jogi Löw.