Nach Kantersieg gegen Osnabrück: Jetzt bitte den Fuß auf dem Gaspedal halten!

Fuhren den höchsten Sieg in der Zweitliga-Geschichte des Klubs ein: die Spieler des HSV.
Fuhren den höchsten Sieg in der Zweitliga-Geschichte des Klubs ein: die Spieler des HSV. / Martin Rose/Getty Images
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Nach der beeindruckenden Vorstellung des Hamburger SV im Montagabendspiel gegen den VfL Osnabrück (5:0) könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich die Mannschaft den Weg in die Bundesliga nur noch selbst versperren kann. Aber genau dies hat sie ja leider schon zweimal getan.

Absturz 1

Saison 2018/19, 25. Spieltag: Der HSV gewinnt das stets brisante Stadtderby beim FC St. Pauli mit 4:0. Es ist bis dato der höchste Sieg in der noch jungen Zweitligageschichte der Rothosen. Nichts deutet in den Tagen danach darauf hin, dass dieser Kantersieg ein "süßes Gift" sein könnte, das sich anfangs unmerklich im Körper ausbreitet, bis es schließlich den gesamten Organismus lahmlegt und am Ende - in Worten des damaligen Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann - zum "Systemversagen" führt.

Eine Woche nach dem überzeugenden Sieg gegen den Lokalrivalen haben die Rothosen den SV Darmstadt 98 im Volkspark zu Gast. 55.000 Zuschauer, herrlichstes Frühlingswetter - und eine 2:0-Führung nach 16 Minuten verwandeln das Volksparkstadion noch vor der Halbzeit in ein Tollhaus.

Der HSV, so scheint es in diesem Moment, hat endgültig die Kurve gekriegt und strebt mit Hannes Wolf dem sofortigen Wiederaufstieg entgegen. Doch dann kommt der Bruch - nicht nur im Spiel gegen die Hessen (das mit 2:3 verloren wird), sondern in der Folge auch in der gesamten Restsaison.

Von den neun Spielen nach dem Erfolg am Millerntor kann der HSV nur noch eines gewinnen (und zwar das damals schon unbedeutende 3:0 am letzten Spieltag gegen Absteiger Duisburg) und verspielt tatsächlich noch den sicher geglaubten Aufstieg.

Absturz 2

Saison 2019/20, 11. Spieltag: Der Tabellenführer HSV schlägt im absoluten Spitzenspiel den Tabellenzweiten VfB Stuttgart mit 6:2. Das Ergebnis täuscht zwar ein wenig über den Spielverlauf hinweg, doch das ist den 57.000 Zuschauern im ausverkauften Volksparkstadion an diesem Nachmittag herzlich egal. Sie träumen erneut vorzeitig von der Rückkehr in die höchste deutsche Liga.

Doch abermals folgt dem besten Saisonspiel eine Durststrecke. Von den folgenden acht Partien gewinnen die Rothosen nämlich nur noch gegen den späteren Absteiger Dynamo Dresden. Im Nachhinein der Grundstein für den erneuten Nicht-Aufstieg.

Vermeidet der HSV dieses Jahr den Absturz nach dem Höhenflug?

Saison 2020/21, 16. Spieltag: Der HSV liefert seine bisher beste Saisonleistung ab und schlägt Daniel Thiounes Ex-Klub VfL Osnabrück mit 5:0. Nie zuvor haben die Hamburger in der Zweiten Liga höher gewonnen.

Die Frage, die sich nun natürlich unweigerlich stellt: Passiert es dem HSV ein drittes Mal (in drei Jahren), dass er nach einer vorzüglichen Darbietung in den folgenden Wochen abschmiert und die Basis für das Verfehlen der Saisonziele legt (auch wenn dieses Jahr offiziell keine verkündet wurden)?

Als Fan will man sich an irgendetwas orientieren, das einem bei der Beantwortung dieser Frage behilflich sein kann. Und entdeckt dabei doch fast nur Parallelen zur Vergangenheit. Die Kaderstärke? In allen drei Fällen ähnlich gut. Die Trainer? Ebenfalls gut beleumundet und schon mit selbst erworbenen Meriten bei anderen Klubs ausgestattet (Hannes Wolf hatte den VfB Stuttgart wieder nach oben gebracht, Dieter Hecking sogar mehrere Teams).

Zudem konnte man in den letzten eineinhalb Saisons noch mit dem Pfund der Zuschauerunterstützung wuchern, die in der laufenden Spielzeit wohl bis Saisonende fehlen wird. Aber trotz alledem hat es ja nun eben zweimal nicht gereicht.

Vielleicht ist es ja auch alles viel einfacher: Und man hat in dieser Saison einfach viel mehr richtig als falsch gemacht. Von der Bestellung des Trainers über die Zusammenstellung des Kaders bis hin zu dessen gewinnbringender Nutzung.

Denn in der Saison 2018/19 fehlte es am Ende vor allen an Leuten mit genügend Zweitliga-Erfahrung - und an Tiefe innerhalb des Kaders. Das haben die damals für die Gesamtplanung Zuständigen mit ein wenig zeitlichem Abstand später auch zugegeben. Jedenfalls wurde in der Winterpause personell nicht in dem Umfang gegengesteuert, wie es hätte sein müssen.

Ein Jahr später legte man im Winter mit Jordan Beyer, Louis Schaub und Joel Pohjanpalo zwar personell kräftig zu, doch nachhaltig war allein die Verpflichtung des finnischen Torjägers. Zudem schien Trainer Dieter Hecking irgendwann im Laufe der Rückrunde die Bindung zur Mannschaft verloren zu haben, zeigte sich auch spieltaktisch immer unflexibler und führte den Klub sehenden Auges in den zweiten Nicht-Aufstiegsfrust in Folge. Der Gipfel war dann das einem Offenbarungseid gleichkommende 1:5 am letzten Spieltag gegen Sandhausen.

Dass Daniel Thioune die Mannschaft verloren haben könnte, kann man zur Zeit nirgends feststellen. Mehr als das: Ich wage einfach mal die steile These, dass in den letzten Jahren kein Trainer so viel Rückendeckung von seinem Team bekommen hat, wie Thioune. Ein 5:0 gegen des Trainers Ex-Klub, im Wissen um die Bedeutung eines solchen Triumphs für ihren Coach, passt da natürlich perfekt in die Argumentation.

Für Daniel Thioune scheint sich somit seine Strategie, alle, wirklich alle im Kader mitnehmen zu wollen und ihnen Chancen zur Bewährung zu geben, voll auszuzahlen. Mit seiner tiefenentspannten, nach außen jovialen und sich vor die Spieler stellenden Art hat er den Kader offenbar voll auf seine Seite.

Ein Indiz dafür: Gab es in den letzten Jahren eigentlich immer wieder Spieler, die aufgrund von Nicht-Berücksichtigungen seitens ihres Coaches schnell irgendwelchen Medien ihr Leid klagten und somit natürlich für schlechte Stimmung innerhalb der Kabine sorgten, hört man in dieser Spielzeit - nichts! Nicht einmal von einem Lukas Hinterseer, der binnen eines Jahres vom Hoffnungsträger zum Aussortierten mutiert ist.

Sogar ein Aaron Hunt, bis vor kurzem noch der (stille) Platzhirsch beim HSV, hat seine neue Rolle als Teilzeit-Arbeiter voll und ganz angenommen. Alle ziehen an einem Strang, keiner kocht Extra-Süppchen und alle scheinen das große Ziel Wiederaufstieg fokussiert aber nicht verkrampft ins Visier genommen zu haben.

Es scheint, dass der HSV endlich den richtigen Mix aus allen für den Erfolg wesentlichen Faktoren gefunden hat. Doch der HSV wäre nicht der HSV, wenn es nicht jüngst zu dieser Zeit der sportlichen Hausse mal wieder hinter den Kulissen ordentlich knallen würde.

Ich hoffe nur, dass ich nicht in ein paar Monaten einen weiteren Erklärungsversuch darüber schreiben muss, warum der HSV es auch im dritten Anlauf nicht zurück in die Bundesliga geschafft hat. Der schwelende Konflikt im Aufsichtsrat müsste wohl dann, jedenfalls zu Teilen, als mögliche Ursache und Erklärungsansatz herhalten.