Mutiger HSV-Auftritt macht Hoffnung auf eine starke Saison!
Von Guido Müller
Die Stimmung rund um den Hamburger SV vor dem Auftakt in die diesjährige Zweitliga-Saison lag irgendwo zwischen Indifferenz und Pessimismus. Richtig optimistisch waren (gefühlt) die wenigsten. Doch wie das mitunter so ist: die geilsten Partys sind die, von denen man nichts erwartet hat.
So muss es gestern auch dem Gros der HSV-Anhängerschaft gegangen sein. Spätestens als Bakery Jatta gestern gegen 22.20 Uhr mit seinem 3:1 den Deckel auf die Partie draufmachte.
Ein Abend, der wie Balsam wirkt für die geschundene schwarz-weiß-blaue Fan-Seele. Dabei begann er zunächst, wie von den Pessimisten befürchtet. Ausgerechnet Simon Terodde, letztes Jahr noch an der Elbe auf Torejagd, besorgte die frühe Führung für die Gastgeber (8.).
Doch mit Ausnahme der darauf folgenden etwa fünfminütigen Druckphase der Knappen, in der latent ein zweites Tor für sie in der Luft lag, erholten sich die Hamburger recht schnell von dem Schock.
Wenngleich noch nicht alle Räder perfekt ineinandergriffen (wie auch am ersten Spieltag?), was Sky-Co-Kommentator Heiko Westermann (mit Vergangenheit als Spieler beider Klubs) zwischenzeitlich sogar zu der Aussage veranlasste, dass das System Walter noch nicht ganz greife, sah man doch über die gesamte Spielzeit einen immer mutigen Gast.
Daniel Heuer Fernandes verleiht dem Team Sicherheit - und rettet, wenn Not am Mann ist!
Bereits schon zu diesem Zeitpunkt war die Entspanntheit in der Verteidigung der Hamburger zu bemerken, angesichts der sich durch Daniel Heuer Fernandes ergebenden zusätzlichen Anspielstation.
Tatsächlich agierte der 28-Jährige bisweilen wie ein Aufbauspieler. Eine Wohltat gegenüber den vielen zittrigen Auftritten seines Vorgängers als Nr. 1 im Tor der Hanseaten....
Über Ballbesitz (am Ende der Partie stand eine Quote von 73 zu 27 (!) zugunsten der Rothosen) holte man sich Stück für Stück mehr Sicherheit - und mit dieser auch mehr Mut. Da Schalke parallel dazu in eine unverständliche Passivität verfiel, bekam der HSV so von Minute zu Minute mehr Oberwasser.
Freilich noch ohne die großen Torchancen herauszuspielen. Selbst die Riesen-Chance, in der 26. Minute per Foulelfmeter zum Ausgleich zu kommen, entsprang mehr der Tolpatschigkeit des foulenden Schalkers Flick, der Kinsombi das Standbein weggetreten hatte, denn einer zwingend herausgespielten Aktion der Gäste.
Glatzel nach verschossenem Strafstoß völlig unbeeindruckt
Neuzugang Glatzel nahm das Geschenk jedoch nicht an - und scheiterte an Langer. Ausgerechnet Glatzel: in einschlägigen Chat-Foren von vielen schon vor der ersten Spielminute dieser Saison zum Fehleinkauf gestempelt, schien er mit seinem Fehlschuss alle voreiligen Kritiker zunächst zu bestätigen.
Zur Pause also ein ernüchterndes Bild: der Ex-Torjäger hat für die Führung gesorgt, während dessen Nachfolger sogar einen Elfmeter ungenutzt ließ. Sollten die Unker tatsächlich recht behalten?
Nein. Und zwar deshalb nicht, weil a) Schalke auch in der zweiten Halbzeit nicht so recht in die Puschen kam. Und b) der HSV noch eine Schippe draufzulegen verstand.
Der Lohn kam prompt. Glatzel, der sich nach seinem Fauxpas völlig unbeeindruckt zeigte, wurde dicht vor der Strafraumkante gefoult. Den fälligen Freistoß zog Leibold gekonnt Richtung Torwinkel.
Zwar konnte Langer noch gut parieren, doch den Abpraller verwertete dann eben dieser Glatzel in bester Abstauber-Manier zum 1:1. Die Unker wurden ruhiger....
Und sie wären wohl schon eine Minute später völlig verstummt, wenn Jatta nach einem Traumpass von Reis den Lupfer über den herausgestürmten Langer etwas weniger lang angesetzt hätte. So strich das Leder knapp über das Gehäuse der Hausherren.
Doch das Signal der Hamburger war gesetzt: wir wollen weiterhin mutig sein. Wir wollen hier und heute mehr als nur diesen einen Punkt.
Dieser Mut indes öffnete auf einmal den Schalkern wieder Räume. Fußball ist mitunter halt auch ein paradoxes Spiel.
Und dann kam die Schlüsselszene des Spiels. Nur eine Minute nach Jattas Chance stand Ouwejan auf einmal völlig frei vor Heuer Fernandes, der den Schuss des Angreifers jedoch mit einer Monsterparade zunichte machen konnte.
Das musste eigentlich die abermalige Führung für Königsblau sein. Auf deren Seite sich nun das Momentum abermals zu drehen schien. Eine Bülter-Chance (58.) und ein Kuddelmuddel im Hamburger Fünfmeter-Raum zwei Zeigerumdrehungen später boten Potential für die erneute Führung der Hausherren.
Doch gestern war beim HSV nicht nur das kickende Personal auf dem Platz, sondern auch der Mann an der Seitenlinie in guter Form. Tim Walter schien jedenfalls gemerkt zu haben, dass Neu-Zugang Ludovit Reis sich ein wenig müde gelaufen hatte - und brachte für den Holländer den letztjährigen Stammspieler Moritz Heyer.
Mit einem Jahr Verspätung: Rohr endgültig beim HSV angekommen
Wohl dem, der solche Alternativen hat. Vier Minuten später nahm Walter einen weiteren entscheidenden Wechsel vor: für den ebenfalls sehr fleißigen, wenn auch nicht immer glücklichen David Kinsombi brachte er Maximilian Rohr in die Partie.
Also genau den Mann, dessen 200.000 Euro schwere Verpflichtung (für die Zweite Mannschaft) im vergangenen Jahr bei vielen für Kopfschütteln gesorgt hatte. Dass der HSV schon damals kommuniziert hat, dass Rohr perspektivisch für die Profi-Mannschaft geholt wurde, machte für viele Kritiker des Deals die Sache nicht besser.
Eigentlich ist Rohr, mit Gardemaß von 1,95 Metern ausgestattet, ein gelernter Innenverteidiger. Doch während seiner gestrigen gut 23 Pflichtspiel-Debütminuten für den HSV sollte er Kinsombi im Mittelfeld ersetzen.
Und wie er das tat. Vor allem in der 83. Spielminute. Mittlerweile war auch Sonny Kittel (für den gestern etwas glücklosen Wintzheimer gekommen) auf dem Platz. Und diesen bediente Rohr dann mit einem Hackentrick an der Außenlinie, der selbst einem Ronaldinho zur Ehre gereicht hätte.
Doch mehr als das: er verharrte nicht in beobachtender Stellung, sondern drang dynamisch (und eben mutig) in den Schalker Strafraum ein, wo er von Kittel den Ball perfekt wieder zurück gespielt bekam. Dann ein Blick, ein ruhiger Pass auf Moritz Heyer. Bam!!! Der Ball zappelte im Netz.
Drei Spieler, die erst eine gute Viertelstunde auf dem Platz standen, hatten den HSV kurz vor Schluss auf die Siegerstraße gebracht. Kittel fügte dann seinem starken Kurz-Einsatz noch die Flanke auf Jatta hinzu. Das Ding war endgültig durch.
Am Ende gewann der HSV, weil da endlich ein Team auf dem Platz stand, perfekt von seinem Trainer eingestellt, mit Mut und Überzeugung agierend, und sich auch von einem frühen Nackenschlag nicht irritieren lassend.
Dass es auch für den neutralen Beobachter insgesamt ein begeisternder Fußball-Abend war, lag aber auch am Gegner. Das Spiel hätte in bestimmten Momenten (siehe Heuer-Parade gegen Ouwejan) auch in eine komplett andere Richtung gehen können. Oder 2:2 oder 3:3 ausgehen können.
So aber fuhr der HSV seinen ersten Sieg auf Schalke seit mehr als 10 Jahren ein (am 15. Januar 2011 gewann der HSV durch ein Tor von Ruud van Nistelrooy mit 1:0) und bescherte sich einen unverhofften und deshalb umso bejubelteren perfekten Saison-Start.
Doch Walter selbst trat schon gleich nach dem Spiel auf die Euphorie-Bremse - und mahnte gegenüber den Sky-Mikrophonen, die Spannung hochzuhalten: "Das war ein Anfang, nicht mehr. Wir haben noch Nachholbedarf."
Genau der richtige Ansatz. Denn Zweitliga-Hinrunden, das haben die letzten drei Jahre leidvoll gezeigt, waren schließlich noch nie das Problem des HSV.