Lucien Favre empfiehlt sich für neuen BVB-Vertrag: Der richtige Mann für den Job
Von Oscar Nolte

Der BVB hat am siebten Bundesliga-Spieltag den Sprung an die Tabellenspitze verpasst. Gegen den FC Bayern zeigte der amtierende Vize-Meister eine ansprechende Leistung, verlor jedoch unglücklich mit 3:2. Cheftrainer Lucien Favre, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft, sammelt dennoch weitere Argumente für ein neues Arbeitspapier.
Lucien Favre coacht derzeit seine dritte Saison als Trainer von Borussia Dortmund. Einen Titel gewann der BVB unter dem Schweizer noch nicht. Wer die Bilanz ausschließlich so lesen möchte, wird dafür plädieren, dass Favre keinen neuen Vertrag angeboten bekommt. Die einzig relevante Frage, die in diesem Zusammenhang aktuell zählen sollte, ist aber: hätte Borussia Dortmund mit einem anderen Trainer besser abgeschnitten?
Diese Frage ist schließlich nicht zu beantworten, denn letztlich ist Fußball - allen wirtschaftlichen Aspekten zum Trotz - ein Ergebnissport, bei dem die Mannschaft gewinnt, die nach 90 Minuten mehr Tore geschossen hat. Und es gibt zu viele unbeeinflussbare Variablen, die über den Ausgang entscheiden können. So geschehen beim Klassiker zwischen dem BVB und dem FC Bayern am Samstagabend: alle drei Tore des Rekordmeisters waren abgefälschte Schüsse und das Glück, das die Bayern an diesem Abend vor dem Tor hatten, fehlte dem BVB auf der Gegenseite. Daran hätte an diesem Abend auch kein anderer Trainer etwas ändern können.
Und leider wird Lucien Favre fast ausschließlich an diesen Spielen gemessen. Den K.O.-Spielen, den Schlüsselspielen, in denen so viel passieren kann. Fakt ist in den vergangenen drei Jahren nämlich noch immer: wer in Deutschland einen Titel gewinnen will, muss sich gegen den FC Bayern durchsetzen. Der war in den drei Jahren Favre beim BVB lediglich einmal wirklich schlagbar: in Favres Debüt-Saison, in der Borussia Dortmund erst auf der Zielgeraden die Puste ausging.
Gut, im DFB-Pokal schnitt der BVB unter dem Schweizer bisher schwach ab. Der Fokus lag - im gesamten Vereinslager - aber klar dezidiert auf der Meisterschaft. Und der Pokal schreibt bekanntlich seine eigenen Gesetze. Von der Champions League braucht man in Dortmund nicht sprechen, dafür ist der Wettbewerb einfach zu groß. Gemessen wird Lucien Favre schließlich also zu oft an der Frage, ob er den FC Bayern über 34 Spiele schlagen kann.
Lucien Favre darf nicht (nur) an Titeln gemessen werden
Es braucht nicht viel Vernunft, um zu erkennen, dass dieser Maßstab völlig Hanebüchen ist. Natürlich ist die Titel-Gier beim BVB groß, ansonsten bräuchte der Verein überhaupt nicht antreten. Und natürlich lassen es Didi Hamann und Co. jede Woche so aussehen, als wäre Borussia Dortmund eine absolute Versager-Truppe, die ja doch nichts auf die Reihe kriegt. Dadurch entsteht eine hohe Erwartungshaltung, an der sich der BVB auch gerne messen lässt. Nur muss dabei die Kirche im Dorf bleiben: ein Cheftrainer von Borussia Dortmund darf nicht an Titeln gemessen werden; das wird seiner Arbeit nicht gerecht.
Es sind die immergleichen Argumente, die Fürsprecher des BVB ins Feld führen. Die finanzielle Schere beispielsweise, die sich zwischen den Schwarz-Gelben und dem FC Bayern auftut. Dass der Rekordmeister Spieler bezahlen kann, von denen man in Dortmund nur träumen kann, ist einer der Hauptgründe, warum die Bayern nach 34 Spieltagen in der Regel vorne liegen. Salopp formuliert: der FC Bayern ist einfach besser. Punktum. Ich meine: bei den übrigen 16 Bundesligisten fragt doch auch Niemand nach, warum die letzte Meisterschaft, die nicht an den BVB oder den FC Bayern ging, mittlerweile 13 Jahre zurück liegt. Und in Dortmund soll ein Trainer daran gemessen werden?
BVB unter Favre so gut wie nie zuvor
Was Lucien Favre abseits der fehlenden Titel leistet, ist herausragend. Der Dortmunder Kader ist besser besetzt als jemals zuvor. Leader wie Marco Reus, Mats Hummels, Emre Can, Axel Witsel und Co. haben sich bewusst für das Projekt Borussia Dortmund entschieden und führen die Mannschaft. Die BVB-Talente, die unter Lucien Favre allesamt kilometerlange Entwicklungsschritte machen, werden allesamt europäische Top-Spieler sein.
Favre schafft es, Jugend und Erfahrung zu verbinden, das schwierige mediale Umfeld beim BVB zu managen und zudem jedes Jahr in jedem Wettbewerb konkurrenzfähig zu sein. Der Fußball, den Borussia Dortmund spielt, ist ein Genuss. Favre ist ein Wissenschaftler, ein Tüftler, ein verrücktes Genie - und mittlerweile auch einer, der an der Seitenlinie jubiliert und herumhüpft. Kurzum: Lucien Favre ist der richtige Mann für den Job. Und ein persönlicher Einschub: ich bin unglaublich gespannt, was der Schweizer aus dem BVB machen wird, wenn ihm noch einige Jahre gegeben werden. Daraus kann etwas Besonderes, etwas Großes entstehen.
Lucien Favre weisst den besten Punkteschnitt seit der Datenerfassung beim BVB auf. Unter dem Schweizer spielt Borussia Dortmund nicht nur einen grandiosen Fußball, sondern auch jedes Jahr um Titel mit. Und wer trotzdem noch behauptet, dass Favres BVB in den entscheidenden Spielen versagt: Borussia Dortmund hat am Samstagabend auf Augenhöhe mit der besten Mannschaft der Welt gespielt. Und das hervorzuheben ist beinahe banal, weil das jeder auch so erwartet! Das ist es, was Lucien Favre beim BVB schafft. Und damit sollte eigentlich klar sein, dass Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc sich zeitnah mit dem Schweizer an einen Tisch setzen und über ein langfristiges Arbeitspapier sprechen.
Ja, die Gier nach Titeln in Dortmund ist groß. Es ist eine Sehnsucht, die seit jeher beim BVB vorherrscht; ob unter Jürgen Klopp oder Thomas Doll. Diese Sehnsucht liegt in der DNA des Vereins und deswegen lässt sich Borussia Dortmund auch daran messen. Und schließlich sind Sehnsüchte doch gerade deswegen so bittersüß, weil sie fast nicht zu erreichen sind. Lucien Favre daran zu messen ist Wahnsinn. Oder anders ausgedrückt: Lucien Favre ist der richtige Mann für den Job. Punktum.