Löw zieht Havertz Sane vor - die richtige Entscheidung?
Von Dominik Hager
Vieles deutete bereits in den letzten Tagen darauf hin, dass Joachim Löw für den EM-Auftakt gegen Frankreich mit Kai Havertz und ohne Leroy Sané in der Startelf plant. Laut Angaben der BILD ist die Entscheidung nun tatsächlich für den Champions-League-Finaltorschützen gefallen. Doch was spricht eigentlich für und gegen die Entscheidung pro Havertz?
1. Havertz vs Sané: Das spricht für den Chelsea-Star
Eigentlich schien die erste Saison von Kai Havertz im Trikot der "Blues" zum Lehrjahr zu verkommen. Je länger die Saison dauerte, desto mehr gewann der frühere Leverkusener jedoch an Stärke und an Selbstvertrauen. Es kam schlussendlich nicht von ungefähr, dass ausgerechnet der 22-Jährige die Londoner zum Champions-League-Titel schoss.
Beim letzten Test gegen Lettland fiel sofort auf, dass der Offensivspieler mit breiter Brust und einer Selbstverständlichkeit auftrat, die so zuvor noch nicht zu sehen war. Dementsprechend ist es schlichtweg das Momentum, dass die Entscheidung pro Havertz am meisten begünstigt.
Der Spieler schwebt noch auf der Erfolgswelle und ist voller Euphorie. Genau diese Eigenschaften sind nötig, wenn es gegen einen auf dem Papier leicht überlegenden Gegner, wie die Franzosen geht. Während Havertz mutmaßlich schon mit einem breiten Grinsen aufsteht, muss sich Sané wieder einmal Kritik bezüglich seiner Einstellung gefallen lassen.
Gegen die Dänen feuerte sogar Teamkollege Kimmich gegen den Offensiv-Star, da dieser eine zu lasche Mentalität an den Tag legte. Zuletzt kritisierte auch Matthäus den früheren Schalker erneut und monierte, dass dieser eigentlich aus der verpassten WM-Teilnahme 2018 gelernt haben müsste. Sané kommt aber einfach nicht weg von seinem Image, wenngleich er in den letzten Monaten sicherlich auch manchmal unverhältnismäßig häufig den Kopf hinhalten musste.
Nichtsdestotrotz kommt der hoch veranlagte Spieler einfach nicht so richtig in einen Flow. Dies gilt sowohl für seine Arbeitseinstellung als auch für seine sonstigen Leistungen auf dem Platz. Zwar lieferte er in der abgelaufenen Saison ordentliche Zahlen ab, diese wurden jedoch von zahlreichen Ballverlusten und Schludrigkeiten in den Schatten gestellt.
Genau diese leistete sich sein Londoner Konkurrent dagegen kaum. Insbesondere in den wichtigen Champions-League-Spielen glänzte Havertz als Ballmagnet. Immer häufiger gelang es den Youngster, die Bälle dank seiner Größe und seiner Technik festzumachen und weiterzuleiten. Zudem glückte es ihm auch, freie Räume zu erkennen und in diese hineinzustoßen sowie seine Defensiv-Leistung zu verbessern.
Alles Dinge, bei denen Sané noch Nachholbedarf hat, welche jedoch gegen die Franzosen enorm wichtig werden. Insbesondere wird es darauf ankommen, wenige Ballverluste zu provozieren, um Mbappé und Co. nicht zu Kontern einzuladen.
Letztlich kommt das 3-4-3-System Havertz ein wenig mehr zugute. Dies liegt jedoch vor allem daran, dass es in der deutschen Offensivreihe keine klare Spitze gibt. Sowohl Gnabry, Müller als auch der dritte Spieler wird den Weg in die Sturmspitze suchen müssen, um Rotation und flexibles Agieren zu ermöglichen. Während Sané eher ein klassischer Außenstürmer ist, kann man Havertz durchaus als polyvalenten Offensivspieler sehen.
Dank seiner Größe verfügt er auch über mehr Strafraumpräsenz als Sané und dürfte ein besserer Abnehmer für Flanken sein, die von der Flügelzange Kimmich und Gosens zwangsläufig kommen werden.
2. Havertz vs Sané: Das spricht für den Bayern-Star
Werfen wir zunächst mal einen Blick auf die Zahlen der abgelaufenen Saison auf Vereinsebene: Mit zehn Toren und zwölf Vorlagen liegt Sané bei vergleichbarer Spielzeit in beiden Kategorien knapp vor Havertz (neun Tore und neun Vorlagen).
Das zweite große Argument pro Sané liegt in seiner Stärke im Eins-gegen-Eins. Abgesehen von Jamal Musiala, der ohnehin nur als Joker eingeplant ist, gilt der ehemalige City-Profi als dribbelstärkster Spieler im DFB-Kader. Diese Kunst paart er zudem mit seiner Sprintstärke, die Sané vor allem bei Kontern gefährlich macht. Gegen die Franzosen würde es durchaus Sinn machen, auf Konter zu setzen, was den Bayern-Star in die Karten spielen würde.
Erinnern wir uns an die WM 2018, so fällt auf Anhieb auf, dass genau die Fertigkeiten des Flügelflitzers in Russland gefehlt haben. Eins-gegen-Eins ist eine wichtige Komponente im modernen Fußball und der Münchner hat hierbei definitiv die stärkeren Anlagen als Havertz. In der deutschen Offensive geht lediglich Gnabry ab und an in Sololäufe, während diese nicht in Müllers Repertoire enthalten sind. Sané würde dieses kleine Manko durchaus auffangen können.
Ein weiterer kluger Schachzug bei Turnieren, ist die Bildung von Vereins-Achsen. Mit Joshua Kimmich, Thomas Müller und Serge Gnabry werden drei weitere Münchner Feldspieler auf dem Rasen stehen. Das Trio versteht sich mit Sané natürlich blind, zumal sie in München tagtäglich zusammenspielen.
Insbesondere die Abläufe in der Offensive sind demnach für den Ex-Schalker leichter zu lernen als für Havertz. Gerüchten zufolge möchte Löw sogar eine ähnliche Taktik an den Tag legen, wie Hansi Flick bei den Bayern. Sané könnte demnach ein Domino-Stein sein, der einfach mit fällt und nicht erst zurechtgelegt werden muss.
Letztlich bleibt auch festzuhalten, dass Sané noch enorm Steigerungspotenzial bereithält. Noch wartet jeder auf die Leistungsexplosion. Sollte diese dann aber wirklich kommen, haben vor allem die Gegner Probleme.
3. Havertz vs Sané: Das Fazit
Alleine beim Betrachten der Punkte pro Havertz und pro Sané fällt auf, dass die Masse der Argumente leicht in Richtung des Chelsea-Stars ausfallen. Auf den ersten Blick scheint Joachim Löw mit seiner angeblichen Entscheidung also ins Schwarze zu treffen.
Letztlich spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass Sané mit seiner Schnelligkeit und Dribbelstärke viel besser als Joker passt als Havertz. Gerade gegen eine müde gespielte Abwehr kann der Münchner durchaus etwas anrichten. Letztendlich wird es ohnehin beide Offensivkräfte für einen erfolgreichen Turnierverlauf benötigen.