Leon Goretzka verpasst den EM-Auftakt - und damit die Chance auf eine Hauptrolle im Turnier?
Von Oscar Nolte
Leon Goretzka wird den deutschen EM-Auftakt gegen Weltmeister Frankreich wohl von der Seitenlinie aus verfolgen müssen. Der Mittelfeldspieler vom FC Bayern laboriert noch an den Folgen eines Muskelfaserrisses und wird gegen die Équipe Tricolore vermutlich noch nicht zum Einsatz kommen können. Schließt sich damit für Goretzka womöglich sogar die Tür zur Stammformation von Bundestrainer Jogi Löw?
Der DFB hat in den vergangenen zehn Jahren hinsichtlich der Ausbildung junger Spieler viele Versäumnisse gemacht. In den Jugend-Akademien wurde ein Überangebot an ball- und passsicheren Spielern gefördert, das nicht mehr zeitgemäß ist und nach Neuerfindungen verlangt. Und hier kommt Leon Goretzka ins Spiel: eine physische Übermacht, die ihre Stärken an beiden Enden des Platzes hat - und sich nicht nur mit Querpässen zu behelfen weiß. Eigentlich ein Spieler(-typ) auf den Bundes-Jogi nicht verzichten kann.
Und trotz des Fokus auf der Ausbildung von Passmaschinen im Verband ist die Konkurrenz in der Spitze für Goretzka extrem. Das zentrale Mittelfeld ist in der verstaubten Philosophie des DFB nun einmal das Herzstück. Und dort muss sich Leon Goretzka zwar kaum mit vergleichbaren Spielertypen, dafür aber mit den Besten der Welt messen. Im deutschen EM-Aufgebot streiten sich neben Goretzka mit Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan, Toni Kroos und Florian Neuhaus gleich vier weitere Spieler um zwei Plätze. Und wer Jogi Löw kennt, weiß: seine Mannschaft findet und entwickelt sich mit dem Turnierverlauf; Goretzka aber verpasst den Sprung vom Startblock und wird daher hinterherhinken.
Goretzka könnte zum Opfer funktionierender Dynamik im DFB-Mittelfeld werden
Obgleich Löw auf der Pressekonferenz vor dem Abschluss-Test gegen Lettland betonte, dass der Fokus vermehrt auf den Defensiv-Aufgaben liegen soll, ist es denkbar, dass Toni Kroos und Ilkay Gündogan in der überragenden Form, in der sie sich befinden, gleich beim EM-Auftakt so homogen zusammenwachsen, dass sich die Tür für Goretzka trotz seiner defensiven Vorteile schließen könnte.
Und dann ist da auch noch Joshua Kimmich. Den kann sich Löw auch wieder auf der rechten Außenbahn vorstellen - und doch: Kimmich ist in der abgelaufenen Saison zur Riege der drei oder vier besten zentralen Mittelfeldspieler der Welt (!) aufgestiegen und kann im Zentrum seine Leader-Qualitäten noch besser zur Geltung bringen lassen.
Im zentralen Mittelfeld, des Bundestrainers Schaltzentrale, wird Löw im Turnier von Beginn an auf Kontinuität setzen wollen. Gemäß dem Fall, dass das Duo, das gegen Frankreich dort spielen wird, seine Sache gegen Les Bleus gut machen wird, könnte Goretzka zum fünften Rad am Wagen werden.
Unter dem Strich ist die Rechnung einfach: maximal sieben Spiele wird die deutsche Nationalmannschaft bei der EM absolvieren. Goretzka verpasst mindestens eins davon. "Er muss hereinwachsen", betonte Löw auf der Pressekonferenz. Allein: wenn die deutsche Zentrale nach den ersten Metern schon zugewachsen ist, wird Löw nicht mit der Machete dazwischen hacken, um Platz für Goretzka zu schaffen.
Seine Minuten und Momente wird Leon Goretzka, sofern fit, bei diesem Turnier bekommen. Auch von der Bank ist der Bayern-Star eine absolute Waffe und mit seinen Qualitäten für Löw unverzichtbar. Für Goretzka könnte am Ende des Tages aber trotzdem nur eine Außenseiter-Rolle herausspringen. Ohne die Verletzung wäre da sicher eine Hauptrolle drin gewesen!