Langeweile im deutschen Fußball? Von wegen! Schalke und der HSV sorgen für genug Unterhaltung
Von Florian Bajus
Die Dauerfete des FC Bayern hat auch im Jahr 2020 kein Ende gefunden. Zum achten Mal in Serie wurde die Übermacht aus München Meister, sofort tauchte die Langeweile-Diskussion wieder auf. Gut, dass Schalke und der HSV für Ablenkung sorgen. Beide Klubs sind nur noch eine riesige Lachnummer des deutschen Fußballs.
Die Bayern sind Meister. Schon wieder! Zum achten Mal in Serie, zum 30. Mal überhaupt. Dortmund ist dagegen wieder nur der Vize. Und wem soll man im Pokalfinale die Daumen drücken? Nachdem das Vorjahres-Finale zwischen Bayern und RB Leipzig auf manch neutralen Zuschauer unattraktiv gewirkt hat, fordert Bayer Leverkusen den FCB am vierten Juli heraus. Eine äußerst spannende Mannschaft, die wirklich guten Fußball spielt - jedoch ist die Werkself kein Menschenfänger wie der BVB oder Liverpool-Trainer Jürgen Klopp.
Seit Jahren wird über die Langeweile in der Bundesliga diskutiert, genau wie in der Serie A, der Ligue 1 oder der Primera Division. Das seit Jahren vorherrschende System, angeführt von der Champions League, macht die Reichen immer reicher. Wollte Borussia Mönchengladbach etwa dauerhaft zu den Top-Vier zählen, müsste Manager Max Eberl einen Kader aus dem Hut zaubern, der das verfügbare Transferbudget um einige Millionen Euro überschreitet. Am 34. Spieltag geht es für die Fohlen-Elf um satte 20 Millionen Euro, die den Unterschied zwischen Platz vier und fünf ausmachen. Das ist fast so viel, wie vor zwei Jahren für Rekord-Transfer Alassane Plea (23 Millionen Euro) gezahlt wurde. Und Dortmund, Leipzig oder Leverkusen müssen eine nahezu perfekte Saison spielen, um Meister zu werden; wobei der BVB in den vergangenen beiden Spielzeiten mehr als eine Chance hatte, die Bayern vom Thron zu stoßen.
Wer Spannung will, muss sich nach unten orientieren
So muss wieder einmal der Abstiegskampf als Spannungsgarant herhalten. Oder aber das Aufstiegsrennen in der 2. Bundesliga, in der große Namen wie der VfB Stuttgart oder der Hamburger SV um einen der obersten drei Tabellenplätze kämpfen. Arminia Bielefeld krönt eine überraschende wie überragende Saison mit der Zweitliga-Meisterschaft, Stuttgart ist rechnerisch kaum noch von Platz zwei zu verdrängen - der HSV kann dagegen nur noch über die Relegation in die Bundesliga zurückkehren.
Hamburg und die Relegation - schon zweimal musste sich der Verein über die Extra-Spiele retten. 2014 wurde Greuther Fürth dank der Auswärtstorregel geschlagen, 2015 rettete Marcelo Diaz den Verein dank eines Freistoßtores in der 89. Minute in die Verlängerung, in der Nicolai Müller in der 115. Minute für die Entscheidung sorgte. Ebenso spät konnte sich der HSV 2017 retten, als Luca Waldschmidt in der 88. Minute zum 2:1 gegen den VfL Wolfsburg traf. Die Wölfe mussten in die Relegation, Hamburg sprang auf Rang 14. Nur ein Jahr später stieg der Klub aber erstmals in der Vereinsgeschichte aus der Bundesliga ab.
Vergeigt der HSV zum zweiten Mal den Aufstieg?
Seitdem ist die Schlussphase einer Saison eher Fluch statt Segen. In der vergangenen Spielzeit feierte der HSV mit 37 Punkten die Herbstmeisterschaft, in der Rückrunde kamen nur 19 Zähler hinzu. Von Platz eins ging es runter auf Platz vier. Während der 1. FC Köln, der SC Paderborn und Union Berlin den Aufstieg feiern durften, mussten die Zuschauer im Volksparkstadion ein weiteres Jahr zweite Liga über sich ergehen lassen.
Mit Dieter Hecking wurde der 13. Trainer in den letzten 10 Jahren verpflichtet, das Leverkusener Sportdirektor-Juwel Jonas Boldt wurde zum Sportvorstand ernannt. Mit aller Macht will der HSV wieder in die Bundesliga zurück - doch ausgerechnet einen Spieltag vor Schluss rutscht die Mannschaft erstmals seit August 2019 wieder von den Aufstiegsrängen ab.
Seit dem Corona-Re-Start wurden nur zwei von acht Spielen gewonnen. Statt später Siegtore kassiert die Hecking-Elf späte Gegentore, wie beim kuriosen 3:3 gegen Holstein Kiel oder der jüngsten Pleite beim 1. FC Heidenheim (1:2). Wenige Augenblicke nach dem Anstoß zur zweiten Halbzeit brachte Joel Pohjanpalo den Favoriten in Führung, doch nach einem Eigentor von Jordan Beyer (80.) machte Konstantin Kerschbaumer die Überraschung in der fünften Minute der Nachspielzeit perfekt. Heidenheim überholt den HSV und klettert auf Rang drei, muss im Saisonfinale gegen Bielefeld bestehen, um den Relegationsplatz zu halten; Hecking und die Seinen sind dagegen auf einen Sieg gegen den SV Sandhausen angewiesen und haben ihr Schicksal nicht mehr in der eigenen Hand.
Zum zweiten Mal in Folge droht der Traditionsklub den Aufstieg eigenmächtig zu verspielen. Dieser schillernde Vereinsname zieht noch immer hochrangige Verantwortliche und talentierte Spieler an, doch der Glanz alter Tage lastet wie ein Fluch auf allen Beteiligten. Wieder und wieder knickt der HSV ein. Wird aus dem ewigen Bundesligisten ein ewiger Zweitligist?
Ohne den HSV sorgt Schalke für viel Gelächter
Ganz klar: Ohne Hamburg, und bald wohl auch ohne Werder Bremen, fehlen der Bundesliga zwei Leuchttürme ihrer Geschichte. An Drama auf und neben dem Platz steht Schalke dem HSV aber in nichts nach. 2018 wurde Königsblau unter der Leitung von Domenico Tedesco mit 63 Punkten Vizemeister, in der vergangenen Saison rettete Trainer-Legende Huub Stevens die Mannschaft vor dem Abstieg; 33 Zähler und ein emotionaler Derby-Sieg über Borussia Dortmund sollten genügen.
Unter David Wagner sollte der x-te Neuanfang eingeläutet und diesmal auch erfolgreich gestaltet werden; ganz wie in Hamburg. Zunächst sah es auch gut aus: Mit 30 Punkten überwinterte Schalke auf Platz fünf, spielte zeitweise sogar ordentlichen Fußball, obwohl der Kader praktisch unverändert ist. In der Rückrunde knickte Schalke allerdings völlig ein: Nur 9 Punkte aus 16 Spielen. Noch schlimmer: Der bislang letzte Sieg gelang am 18. Spieltag.
Tönnies-Skandale, Härtefallantrag und der sportliche Absturz
Diskussionsstoff gibt es zu Genüge: Der Rassismus-Skandal von Aufsichtsratschef Clemens Tönnies wirft bis heute ein schlechtes Licht auf Schalke. Für drei Monate nahm sich der 64-Jährige aus der Schussbahn - eine selbst auferlegte "Strafe", die an Dreistigkeit nicht zu überbieten war. Jetzt beschädigt ein Corona-Ausbruch in seiner Fleischfabrik mit über 1.300 infizierten Mitarbeitern seinen Ruf - auch darunter leidet der S04.
Zudem offenbarte die Corona-Krise, wie knapp der Klub trotz horrender Transferausgaben unter Ex-Sportchef Christian Heidel wirklich bei Kasse ist. Das sorgte wiederum für einen Eklat bei der Geldrückerstattung für Dauer- oder Tageskarteninhaber, die einen Härtefallantrag stellen mussten, um ihr Geld vor 2022 zu erhalten.
Und auch sportlich läuft alles schief, was schieflaufen kann: Trainer David Wagner flüchtet sich seit Monaten in Ausreden, macht die Verletztenmisere für die schwachen Leistungen verantwortlich. Selbst entfachte der 48-Jährige allerdings ein Torwart-Problem, das die gesamte Mannschaft seit der Rückrunde belastet. Nach seinem Platzverweis gegen Eintracht Frankfurt kehrte Alexander Nübel ins Tor zurück, nur um kurz darauf von Markus Schubert abgelöst zu werden. Beide Torhüter leisteten sich fatale individuelle Fehler, weswegen Wagner nach dem Re-Start wieder alles auf Null gestellt hat und Nübel bis Saisonende vertraut.
Vom aggressiven Pressing ist derweil nichts mehr zu sehen. Schalke spielt mut- und körperlos, kann mit dem Ball nichts anfangen. Wöchentlich bekommen die Fans ein Trauerspiel geboten. Dennoch stärkt Sportvorstand Schneider seinem Trainer den Rücken, erklärte öffentlich, Wagner lasse guten Fußball spielen, wenn er eine gute Mannschaft zur Verfügung habe. Weil aber viel Geld verbrannt worden ist, können die Kaderplaner keine Mannschaft, die Wagners Ansprüche befriedigt, zusammenstellen. Deshalb wird über eine Ausgliederung diskutiert - nur bringt dieser Schritt nicht den gewünschten Erfolg, wenn die Bosse nicht dazu in der Lage sind, einen Fußballverein ordentlich zu führen.
Wenn der HSV und Schalke eines gemeinsam haben, dann der Glaube, ein Top-Verein zu sein, weil man vor vielen Jahren einer war. Doch so, wie Hamburg nur ein Zweitligist ist, ist Schalke nur noch Mittelmaß. Immerhin sorgt dieser Realitätsverlust für Unterhaltung im deutschen Fußball.