Länderspiele des Grauens - Ein Umdenken ist nötig!

Die DFB-Auswahl sollte nicht nur sportlich überdacht werden
Die DFB-Auswahl sollte nicht nur sportlich überdacht werden / Joosep Martinson/Getty Images
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Die deutsche Nationalmannschaft hat ihr erstes Länderspiel 2020 und ihre erste Partie in der Nations League überhaupt gewonnen - doch so wirklich interessiert hat das niemanden. Während sich die nationale Auswahl sportlich seit einiger Zeit in einer Stagnation befindet, rücken die Anhänger auch aufgrund anderer Faktoren immer mehr von ihr ab. Es wird Zeit, dass sich die Verantwortlichen über den Ernst der Lage klar werden.

Das Spiel am Samstag in der Ukraine schauten sich 7,53 Millionen Menschen an, was einem Marktanteil von 26 % entsprach. Allerdings war die Konkurrenz im TV auch selten armselig - "Wilsberg" (5,68 Millionen Zuschauer) war hier noch die klügere Alternative zu "Mario Barth live" (1,51 Millionen) oder der einhundertsten Ausstrahlung von "Ice Age" (1,58 Millionen / Quelle: quotenmeter.de).

Viele Zuschauer des Spiels in der Nations League schalteten den Flimmerkasten wohl eher aus Gewohnheit ein. Es ist nicht davon auszugehen, dass Fahnen geschwenkt oder bei den deutschen Treffern Böller vom Balkon geworfen wurden - die Fans haben die Nase voll von der "Mannschaft", nicht nur aufgrund der sportlichen Leistungen.

Problemfelder in der Übersicht - "unzeitgemäß" als universelles Attribut

Denn die Herren beim DFB und deren Sponsoren werden sich anhand der beschriebenen TV-Marktanteile gegenseitig auf die Schulter klopfen. Dabei sollte die Frage gestellt werden, inwiefern eine User-Analyse anhand von Einschaltqouten im über seinem Zenit befindlichen Medium "Fernsehen" überhaupt zeitgemäß sind.

Doch zeitgemäß ist ohnehin wenig, wenn man sich die Problemfelder des Verbandes und der DFB-Auswahl vor Augen führt. In der Folge versuchen wir, einige Attribute zu benennen, die den deutschen Anhänger vom einst liebsten Kind "Nationalmannschaft" abrücken lassen.

Vor dem Spiel in der Ukraine sagte der Weltmeister Bastian Schweinsteiger in der ARD: "Man kann sich nicht mehr 100-prozentig mit der Nationalmannschaft identifizieren." Werfen wir einen Blick auf die Gründe.

1. Sportliche Stagnation - Auswahl der Reservisten

Julian Draxler darf sich im DFB-Team für seinen Klub empfehlen
Julian Draxler darf sich im DFB-Team für seinen Klub empfehlen / Joosep Martinson/Getty Images

Fangen wir mit dem offensichtlichsten Punkt an - der sportlichen Leistung. Dass Joachim Löw große Erfolge feierte und auch den verspäteten Umbruch angehen wollte, ist ihm hoch anzurechnen. Die seit zwei Jahren stattfindende sportliche Stagnation und die merkwürdigen Personalentscheidungen gehen jedoch auch auf Löws Kappe.

Die Fans verstehen nicht, wodurch Vereins-Reservisten wie Draxler, Tah, Dahoud, Schulz oder Rüdiger ihre Nominierung verdienen. Der einstige Weg, sich über Leistungen im Klub für die nationale Auswahl zu empfehlen wurde kurzerhand umgedreht. Löw verschafft einigen Spielern die Möglichkeit, sich in der Nationalmannschaft für einen Verein zu empfehlen - Leistungsprinzip Fehlanzeige!

Dabei geht es nicht um subjektive Ärgernisse des "Hobby-Bundestrainers", sondern um eine faktische Aufhebung der Bedeutung einer Landesauswahl.

2. Sponsoren als Entscheider - Kapital statt Vorbildfunktion

Nur fliegen ist schöner
Nur fliegen ist schöner / Adam Berry/Getty Images

Der Flug der deutschen Mannschaft zum Spiel in der Schweiz sorgte zurecht für Ärger und Unverständnis bei den Fans. 180 Kilometer wollte man die zarten Profis nicht in den Bus setzen. Allerdings könnte die Lufthansa hier auch ein Wörtchen mitgeredet haben, schließlich ist die Fluggesellschaft einer der Hauptsponsoren des DFB.

In einer Zeit, in der viele Menschen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise existenzbedrohend zu spüren bekommen und die Debatte um exorbitante Gehälter und Ablösesummen hochkocht, war dieser Flug eine mehr als unbedachte Aktion. Von Umwelt-Bedenken ganz zu schweigen.

3. Corona für alle - der DFB als Mitläufer

20.000 Fans waren im Kiew im Stadion
20.000 Fans waren im Kiew im Stadion / Joosep Martinson/Getty Images

Die Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie werden derzeit in den deutschen Großstädten verschärft, die Ukraine als Hochrisiko-Land eingestuft. Doch zum Spiel in der Nations League waren über 20.000 Zuschauer im Kiewer Stadion zugelassen - wer soll das verstehen?

Inmitten der Maskenpflichten und Beherbergungsverbote wird ein sportlich wertloses Länderspiel gegen die Türkei ausgetragen, die als Gastmannschaft ihre Spieler hat einfliegen lassen müssen. Der DFB verpasste die Chance, hier ein klares wie modernes Statement zu setzen. Statt mindestens das Spiel gegen die Türken abzusagen, mussten schließlich TV- und Sponsoren-Verträge eingehalten werden.

4. Steuerfahndung beim DFB - Die Verbände entfernen sich selbst

Korruption und Unterschlagung als Krankheit
Korruption und Unterschlagung als Krankheit / DeFodi Images/Getty Images

Nach den unzähligen Skandalen bei der FIFA und der UEFA rückte auch der DFB erneut in ein schlechtes Licht. Nach dem Vorwurf der Steuerhinterziehung in Millionen-Höhe und einer Razzia in der Verbandszentrale in Frankfurt sah sich der kritische Fan wieder einmal bestätigt: "Die sind doch alle korrupt!"

Durch Umstände wie das aktuelle Verfahren oder die Vergabe der WM 2006 oder die generelle Auswahl der Entscheidungsträger hat der Anhänger komplett seine Sympathie zum DFB verloren.

5. Die Nations League ist sportlich uninteressant und gehört abgeschafft

Arséne Wenger versteht die moderne Welt
Arséne Wenger versteht die moderne Welt / Boris Streubel/Getty Images

"Wir müssen die Nations League loswerden und dafür klarere Wettbewerbe finden, die jeder versteht. Wenn Sie auf die Straße gehen und Leute fragen, worum es bei der Nations League geht, werden Sie nicht viele finden, die das erklären können. Wir müssen so wenige Wettbewerbe wie möglich haben. Eine WM und EM alle zwei Jahre würde vielleicht besser in die moderne Welt passen", diese Aussagen kommen nicht aus dem Mund eines 25-jährigen Hipsters sondern stammen vom 70-jährigen Ex-Trainer Arséne Wenger (Quelle: Bild am Sonntag).

Die Ironie darin besteht, dass er damit richtig liegt! Wen interessiert die Nations League, wenn es zudem noch die "normale" Qualifikation für die großen Turniere gibt? Wenger schlägt vor, auch die Qualifikation zeitlich eng zu begrenzen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. "Man könnte die Qualifikation im Oktober spielen und das Turnier dann im Juni. Ich würde die Quali in einen Monat legen. Ein bisschen wie das Champions-League-Turnier in Lissabon dieses Jahr. Einfach und verständlich für die Fans. Man hat keine Qualifikationen mehr, die die Leute nicht mehr verstehen. Es wäre ein echter Wettbewerb", führt Wenger weiter aus.

Eine Abwertung der großen Turniere sieht er durch die schnelle Folge nicht. Er erklärt, "dass das Ansehen nicht an die Zeit gekoppelt ist, die man wartet, bis wieder gespielt wird – sondern an die Qualität des Wettbewerbs. Champions-League-Spiele schauen die Leute ja auch jedes Jahr."

Wenger stellt Ideen in den Raum, die ernsthaft diskutiert werden sollten. Die Frage ist nur, inwiefern der DFB eine Modernisierung anstrebt.

Betrachtet man die letzten Jahre, dann darf man wohl nicht zu viel vom DFB erwarten. Die Schnarchnäsigkeit im Bezug auf Personalentscheidungen oder dringend notwendige Reformen wird auch weiterhin den Fan resignieren lassen. Bis dann irgendwann niemand mehr einschaltet und der DFB sich fragt, wie es dazu kommen konnte und was eigentlich dieses Internet ist.