Krisenstimmung? Die wackelnden Bundesliga-Trainerstühle im Check
Von Simon Zimmermann
Die Bundesliga-Saison ist gerade erst fünf Spieltage alt - und schon stehen die ersten Trainer mächtig unter Druck. Gleich bei sechs Übungsleitern könnte der Job früher oder später in Gefahr sein. Diese Trainerstühle wackeln bereits - und so könnte es weitergehen.
1. Gerardo Seoane - Bayer Leverkusen
Die Werkself erlebte nach einem tollen dritten Platz im Vorjahr einen katastrophalen Start in die Saison. Dem Pokalaus in Elversberg folgten drei Ligapleiten in Serie. Trainer Gerardo Seoane reagierte mit einer Systemumstellung und einem größeren Fokus auf die Defensive. Es folgte ein klarer Sieg in Mainz, nur um im Heimspiel gegen Freiburg erneut als Verlierer vom Platz zu gehen.
Der Druck auf den 43-jährigen Schweizer ist vor dem Auftakt in die Champions-League-Gruppenphase groß. Leverkusen wollte eigentlich erneut die Tabellenspitze angreifen und verfügt auch über einen Kader, der dazu in der Lage sein sollte. Die bittere Bundesliga-Realität heißt allerdings vorerst Platz 14 und magere drei Pünktchen.
Wirklich in Gefahr scheint Seoanes Trainerstuhl aber noch nicht zu sein. "Natürlich hat er die volle Rückendeckung und das Vertrauen, das ist keine Frage", erklärte Sportchef Simon Rolfes nach der Pleite vom Samstag. "Wichtig ist, dass wir uns alle zusammen rauskämpfen. Da gehört die Mannschaft dazu, der Trainer, wir alle zusammen", so Rolfes weiter (via kicker).
Es sind Aussagen, die man Rolfes abnehmen darf. Denn Seoane hat sich mit seiner Debüt-Saison in Leverkusen einen Vertrauensvorschuss verdient. Nach den Anfangspleiten scheint er auch die richtigen Schlüsse gezogen zu haben, die Mannschaft steht weiter hinter dem Trainer. Und auch die Niederlage gegen Freiburg war unnötig. Mit etwas mehr Konsequenz hätte Bayer durchaus gewinnen können.
Prognose: Leverkusen und auch Trainer Seoane sind zu gut, um es kurz- bis mittelfristig nicht aus der leichten Krise zu schaffen. Die Werkself wird das berühmte Ruder herumreißen, sich früher oder später wieder nach oben spielen und Seoane seinen Job behalten.
2. Domenico Tedesco - RB Leipzig
"Frankfurt hat es gut gemacht, aber wir waren grottenschlecht heute, Katastrophe." Domenico Tedesco fand nach der 0:4-Pleite in Frankfurt klare Worte (via Sky).
Der 36-Jährige hatte RB Leipzig seit seiner Ankunft Anfang Dezember 2021 mit der besten Rückrunde aller Bundesligisten noch in die Champions League geführt und mit dem DFB-Pokal den ersten Titel der Vereinsgeschichte eingefahren.
Entsprechend groß müsste sein Kredit eigentlich sein. Eigentlich. Denn nach einem schwachen Saisonstart mit nur einem Sieg aus den ersten fünf Spielen scheint Tedesco bereits angezählt zu sein. RB-Boss Oliver Mintzlaff schwang schon nach dem Remis gegen Köln die Verbal-Keule - am zweiten Spieltag!
"Man sollte nicht gleich immer alles infrage stellen, nur weil wir ein paar Anfangsschwierigkeiten hatten. Und die Trainerdiskussion finden wir ohnehin alle sehr übertrieben", beschwichtigte Marcel Halstenberg gegenüber dem kicker zwar. Doch die Realität scheint eine andere zu sein.
Fakt ist, Leipzig verfügt vor allem in der Breite über einen Luxus-Kader, mit dem man sogar die Bayern angreifen wollte. Die große interne Konkurrenz scheint aber für Unruhe und vor allem viele unzufriedene Spieler zu sorgen. Das Gesamtkonstrukt ist ins Wanken geraten, die mannschaftliche Geschlossenheit fehlt. "Dafür ist dann der Trainer verantwortlich, dass er die ganze Mannschaft hinter sich bringt", meinte Lothar Matthäus bei Sky 90.
Derzeit scheint Tedesco das nicht zu schaffen. Die Ausgangslage hat sich stark verändert. Übernahm er letzten Dezember noch eine verunsicherte Mannschaft, mit der er - auch aufgrund der enormen Qualität - eigentlich nur gewinnen konnte, sind die Ansprüche nun andere. Zuvor haben sich alle Spieler dem Ziel untergeordnet, doch noch in die Königsklasse einzuziehen. Mit einem überragenden Christopher Nkunku hatte Tedesco eine "Lebensversicherung", die quasi immer traf.
Nun scheinen die Egos wieder deutlich stärker hervor. Mit Mintzlaff scharrt der Boss dahinter mit den Hufen und will gute Ergebnisse sehen. Am besten schon gestern. Insgesamt eine unangenehme Gemengelage für Tedesco.
Prognose: Tedesco wird vorerst weitermachen dürfen. Auch, weil der designierte neue Sportdirektor Max Eberl erst Ende des Jahres seinen Dienst aufnehmen soll. Die WM-Pause im Winter wird entscheidend. Bessern sich die Ergebnisse bis dahin nicht signifikant, scheint eine Trennung von Tedesco durchaus sehr realistisch zu sein. Ob das gelingt, ist nach den jüngsten Eindrücken zumindest fraglich.
3. Niko Kovac - VfL Wolfsburg
Niko Kovac war beim VfL Wolfsburg im Sommer angetreten, um die Wölfe wieder ins erste Drittel der Tabelle zu führen. Der Kader gibt durchaus her, dass man in der Autostadt den eigenen Ansprüchen wieder gerecht werden kann. Auf den Platz gebracht hat das der VfL zum Saisonstart aber nicht. Nach zwei Remis und drei Pleiten liegt die Kovac-Truppe auf Rang 17!
Bei der Heimniederlage gegen Köln schallte es "Wir wollen euch kämpfen sehen" von den Rängen. Sportdirektor Marcel Schäfer meinte im Anschluss dennoch, dass Kovac "sehr fest" im Sattel sitze. "Wir müssen die Ruhe bewahren, wir müssen arbeiten. Denn die Kritik, die auf uns einprasselt, ist berechtigt, wenn du zwei Punkte nach fünf Spieltagen hast. Trotzdem kriegst du das nur als Gruppe gelöst", so Schäfer im ZDF-Interview.
Jörg Schmadtke bekräftigte gegenüber dem kicker, dass Kovac Zeit brauche: "Keinen Zentimeter rücke ich davon ab. Ich wusste, dass es Zeit benötigt. Die sollten wir uns nehmen und Ruhe bewahren."
Ungeachtet dieser Worte wird Kovac aber auch klar sein, dass er jetzt schnell liefern muss. Seit 2018 ist er der fünfte Trainer in Wolfsburg. Der Trainerstuhl beim VfL ist also ziemlich heiß.
Dass er sich mit Max Kruse schon vor Saisonbeginn eine Baustelle - ohne Grund - aufgerissen hat, hilft ihm derzeit nicht wirklich. Der Spielmacher war noch nie einer der fittesten Akteure. So häufig er sich das/die Nutella aufs Brot schmiert, so häufig ist er aber auch dazu in der Lage, den Unterschied auszumachen. Das Vertrauen des Trainers hilft Kruse dabei enorm. Von Kovac bekommt er es nicht.
Und so scheint in Wolfsburg ebenfalls eine Mannschaft zu spielen, in der es viel Unzufriedenheit und keine Geschlossenheit gibt. Stärken, die den VfL vor zwei Spielzeiten noch in die Champions League gebracht haben....
Prognose: Niko Kovac ist ein heißer Kandidat für die erste Trainerentlassung der Saison. Fängt der VfL nicht schnell an zu punkten, dürfte es für den 50-Jährigen eng werden. Da nutzen auch die Worte von Marcel Schäfer und Jörg Schmadtke wenig. Es ist schon sehr fraglich, dass Kovac die Saison als Wölfe-Coach beendet - Stand jetzt.
4. Frank Kramer - Schalke 04
"Ich bin mit Frank Kramer absolut zufrieden. Er ist für uns ein absoluter Gewinn", versicherte S04-Sportdirektor Rouven Schröder bei Sky90.
Mit drei Remis und zwei Niederlagen - darunter die 1:6-Heimpackung gegen Union Berlin - wartet Schalke noch auf den ersten Sieg seit der Bundesliga-Rückkehr.
Da könnten die Derby-Wochen genau recht kommen - oder auch nicht. Die Knappen und auch Kramer sollten dringlichst kommenden Samstag gegen den VfL Bochum den ersten Dreier einfahren. Ansonsten könnte es ungemütlich werden, wenn es eine Woche später zum Erzrivalen nach Lüdenscheid-Nord geht.
Klar ist, dass Kramer nicht unbedingt der Wunschkandidat auf Schalke war. Am Ende drängte jedoch die Zeit und Schröder präsentierte seinen alten Spezi aus Fürther Tagen. Und das könnte auch ein wichtiger Grund sein, warum der Sportdirektor so lange wie möglich am Trainer festhalten möchte.
Schröder wurde, zum Großteil auch zurecht, für seine Kaderplanung in den letzten beiden Jahren viel gefeiert. In Sachen Trainer will er nun ein ähnlich gutes Händchen beweisen. Der Name Kramer ist zwangsläufig auch mit Schröder verbunden.
Der hat eine ordentliche Mannschaft beisammen, mit der man den Klassenerhalt durchaus schaffen kann. Die größte Problemzone ist wohl die Innenverteidigung. Malick Thiaw ist weg, der neue Abwehrchef Maya Yoshida hat zwar viel Erfahrung und ein gutes Auge, aber ebenso große Geschwindigkeitsdefizite.
Prognose: Das Umfeld auf Schalke ist und bleibt schwierig, die Geduld ist begrenzt. Mit der Unterstützung von Schröder könnte es Kramer dennoch gelingen, das Schiff über den Saisonverlauf über Wasser zu halten - sprich: über dem Strich zu bleiben. Schafft er das, wird er zumindest bis Saisonende Trainer bleiben. Das Heimspiel gegen den VfL Bochum ist für den S04-Coach extrem richtungsweisend!
5. Enrico Maaßen - FC Augsburg
Mit Enrico Maaßen hat der FCA in diesem Sommer einen Bundesliga-Neuling auf der Trainerbank präsentiert. Der 38-Jährige kam vom BVB II nach Augsburg. In der Fuggerstadt will man sich vom Image der grauen Maus lösen und attraktiveren Fußball spielen. Mit Maaßen ging man dabei durchaus ins Risiko.
Ein Risiko, das sich bislang nur bedingt ausgezahlt hat. Die ersten drei Heimspiele wurde allesamt verloren - was dem "unabsteigbaren" FCA bislang noch nie passiert ist. Und auch das Fußballerische sieht noch nicht sonderlich vielversprechend aus.
Stürmer Florian Niederlechner drückte es gegenüber dem kicker so aus: "So reicht es am Ende nicht. Auch wenn man Lewandowski vorne reinstellen würde, der würde kein Tor machen, weil wir keine Chancen haben." Ein spielerisches Armutszeugnis, das der Stürmer da ausstellt.
Viele Zähler (3) hat der Tabellen-16. auch noch nicht auf dem Konto. Es droht eine gefährliche Negativ-Spirale ohne Selbstvertrauen. Und damit würde früher oder später auch Maaßens Stuhl wackeln. Denn bei allen Plänen, den FCA auf die nächste Stufe stellen zu wollen: Der Klassenhalt steht über allem!
Prognose: Der FCA hat zwar einen ordentlichen Kader, die Abstiegsgefahr ist in dieser Bundesliga-Saison dennoch so groß wie noch nie. Erst recht, wenn man in den nächsten Wochen nicht wie erhofft punkten kann. Nun warten mit Bremen und Schalke die beiden Aufsteiger - dazwischen empfängt man den FC Bayern. Vier Punkte müssten es gegen den SVW und S04 mindestens sein. Holt man die nicht, wird der Stuhl von Maaßen Anfang Herbst so richtig wackeln. Und am Ende wohl auch fallen.
6. Thomas Reis - VfL Bochum
From hero to zero? So ähnlich dürfte es sich für Thomas Reis derzeit anfühlen. Mit dem VfL Bochum schaffte der Ex-Profi nicht nur den Weg zurück ins Oberhaus. Er hielt den VfL dann auch noch als Außenseiter in der Liga.
Es folgte im Sommer ein kleiner Kader-Umbruch. Einige wichtige Stammspieler verließen den VfL. Darunter auch die beiden Stamm-Innenverteidiger Bella-Kotchap und Leitsch. Verluste, die man in Bochum qualitativ nicht auffangen konnte. Der Kader wirkt schwächer als im Vorjahr.
Und so ist es für Reis eine Herkulesaufgabe, den VfL erneut im Oberhaus zu halten. Erschwerend hinzu kommt seine Vertragssituation und die abgebrochenen Gespräche über eine Verlängerung. Im Zuge dessen berichteten einige Medien übereinstimmend von einem Schalke-Angebot im Sommer, das Reis wohl gerne angenommen hätte. Der Trainer selbst dementierte das. Die Stimmung anne Castroper wurde dadurch nicht besser.
Ungeachtet dieser Irrungen und Wirrungen: Reis will in Bochum nicht aufgeben. Erst recht nicht vor dem anstehenden Derby gegen Schalke: "Es ist logisch, dass wir irgendwann punkten müssen, unabhängig von meiner Person. Das Derby wäre ein guter Zeitpunkt, uns erstmals auch mal zu belohnen. Aufgeben gibt es nicht bei uns", erklärte er der WAZ.
Prognose: Der VfL wird es eher nicht schaffen, sich aus dem Tabellenkeller zu befreien. Die Stimmung wird dadurch auf dem Nullpunkt bleiben, was Thomas Reis spätestens in der WM-Pause seinen Job kosten dürfte. Ob es ein anderer Trainer wirklich besser machen kann, ist allerdings zu bezweifeln.