Krise oder Entwicklung? Der FC Chelsea auf der Suche nach sich selbst

Quo vadis, FC Chelsea?
Quo vadis, FC Chelsea? / Julian Finney/Getty Images
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Es kann so schnell gehen im Fußball. Noch im vergangenen Sommer herrschte Jubelstimmung beim FC Chelsea. Unter Vereinsikone Frank Lampard wollten die rundum aufgefrischten Blues endlich ganz oben angreifen. Nach solidem Start brach die Mannschaft in den vergangenen Spielen sichtbar ein. Ein kurzzeitiges Tief oder der Beginn einer waschechten Krise? 90min mit der Analyse.

Im Sommer 2020 griffen die Blues auf dem Transfermarkt tief in die Tasche. Einer vorherigen Transfersperre sei Dank, konnte der Klub aus Londons Westen trotz der finanziellen Corona-Einschränkungen für viel Geld investieren. Fast 250 Millionen Euro gab Chelsea für neues Personal aus.

Unter den Neuzugängen befinden sich einige namhafte Profis. In Deutschland nur allzu gut bekannt ist das Duo Kai Havertz und Timo Werner, das mit über 130 Millionen bereits die Hälfte der Londoner Investitionen ausmacht. Dazu kommen mit Ben Chilwell und Hakim Ziyech zwei international gejagte Stars. Chelsea legte bei seinen Transferplanungen Wert auf Perspektive und Kreativität. Ein halbes Jahr später ist davon nur noch wenig übrig.

Negativer Trend erkennbar - Chelsea findet keinen Rhythmus

Die Blues liegen nach 16 absolvierten Spielen auf Rang sechs der Premier League, komplett abschenken sollte man die Saison also noch nicht. Doch das Team von Frank Lampard strauchelte zuletzt gewaltig und holte aus den vergangenen fünf Spielen nur magere vier Punkte. Dazu kommt, dass aus der Top-8 der Tabelle nur Chelsea und der drittplatzierte Leicester bereits 16 Spiele bestritten haben, die anderen Teams jedoch weniger. Die mit Chelsea punktgleichen Aston Villa und Manchester City etwa standen erst in 14 Ligapartien auf dem Feld. Die Gefahr, weiter abzurutschen, besteht also.

Zuletzt unterlag Chelsea sogar dem FC Arsenal
Zuletzt unterlag Chelsea sogar dem FC Arsenal / Pool/Getty Images

Unbestritten ist, dass sich der Verein nach schwierigen Jahren immer noch im Umbruch befindet. Die Blues wurden zwar noch 2016/17 englischer Meister, danach hat sich allerdings viel getan. Schwierige Verhältnisse zu den Coaches Antonio Conte und Maurizio Sarri ließen den Verein stagnieren, zudem wurden einige teure und nicht zuletzt fragwürdige Transfers getätigt (Zappacosta, Kepa, Bakayoko - die Liste ist lang...).

Soviel zum Kontext, zurück in den Dezember 2020. Coach Lampard und die Seinen treten auf der Stelle, aber warum eigentlich? Größte Kritik erntet aktuell die Vereinslegende selbst, vor allem sein Spielsystem hemme das Potenzial vieler Spieler. So wird Werner, bei RB Leipzig als Stoßstürmer eingesetzt, bei Chelsea als Flügelspieler aufgeboten. Dort muss der Nationalspieler in mehr Dribblings als gewohnt. Seine eigentlichen Stärken, also das schnelle Vorstoßen zum gegnerischen Tor, bleiben auf der Strecke.

Und Havertz? Das deutsche Juwel ist bei den Blues ebenfalls auf der Suche nach der richtigen Position. Von seinem Coach wurde der 21-Jährige bisher wild auf dem Platz hin und her experimentiert - ohne, dass Havertz nachhaltig beeindrucken konnte. Anders als in Leverkusen, wo dem Offensivspieler vor allem als hängende Spitze alle Freiheiten auf dem Feld gegeben wurde, muss sich Havertz in London oft als zentraler Mittelfeldspieler im 4-3-3 behaupten. Das kann Havertz, keine Frage. Aber eben nicht so gut, um seine Ablöse von 80 Millionen Euro zu rechtfertigen. Auch deshalb wird der Transfer des Talents von vielen Fans inzwischen kritisch beäugt.

Lampard könnte an Werner und Havertz stolpern

Die beiden Deutschen stehen symptomatisch für den FC Chelsea, der nicht so richtig in die Pötte kommt. Für Lampard, der sich gegenüber der Klubführung sehr für die beiden teuren Neuzugänge ausgesprochen hatte, könnte das Duo zur Stolperfalle werden. So behauptete The Athetic zuletzt, dass der Trainer wohl nur dann eine Zukunft beim Verein habe, wenn er die beiden wieder in die Spur bringt.

Havertz (li.) und Werner sind entscheidende Personalien für Lampard
Havertz (li.) und Werner sind entscheidende Personalien für Lampard / RICHARD HEATHCOTE/Getty Images

Ähnlich sieht es auch Krishan Davis, Redakteur bei 90minUK. Ihm zufolge werden die Stimmen unter den kritischen Fans lauter, die Lampard den richtigen Umgang mit Spielern wie Havertz und Werner nicht mehr zutrauen. Ein neuer, erfahrener Trainer (Thomas Tuchel?) könnte demnach für neuen Schwung sorgen.

Dabei macht Davies deutlich, dass es nicht das erste mal um diese Zeit ist, in der Chelsea stolpert: "Wenn man sich die vergangene Saison unter Frank Lampard ansieht, sieht man, dass der Klub ebenfalls um Weihnachten herum in schlechter Form war, sich im neuen Jahr dann aber wieder stabilisierte." Damals seien allerdings die Umstände andere gewesen, Stichwort Transfersperre 2019 und Transferoffensive 2020.

"Dieses Mal ist das Problem, dass Chelsea sehr viel Geld ausgab, ohne sich aber spielerisch im Vergleich zu vergangenem Jahr zu verbessern", führt Davies diesen Gedanken weiter aus. "Wenn man die Dinge jedoch im größeren Zusammenhang betrachtet, bleibt das Ziel bestehen, die Top Vier zu erreichen und sich für die Top Vier zu qualifizieren, was sie auch erreichen sollten." Höherer Anspruch bei gleichbleibender Leistung also - für Chelsea wird das zum Problem.

"Chelsea muss bald ein Spiel gewinnen, um ihre Saison zurück in die Spur zu bringen."

Krishan Davies, 90minUK-Redakteur

So kommen wir zurück zur Ursprungsfrage: Ist das aktuelle Tief nur temporär oder schlittern die Blues in waschechte Krise, die den Anzeichen nach nur mit einer Entlassung Lampards enden kann? Für Davies ist dies keine Ja-oder-Nein-Frage, sondern eher ein gemeinsamer Prozess. "Ich würde nicht sagen, dass es jetzt schon eine Krise ist, aber Chelsea muss bald ein Spiel gewinnen, um ihre Saison zurück in die Spur zu bringen", so der Redakteur.

Alles hängt von Lampard ab

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Chelsea und Lampard sich aus eigener Kraft aus dem Dreck ziehen können. Rein vom Personal her hat der Verein definitiv die Qualität, um sich auf die neue Situation einzustellen und sich dementsprechend anzupassen. Der Kader ist an sich enorm ausgeglichen, Erfahrung (Kante, Giroud, Silva) treffen auf jungen Elan (Mount, Abraham, Havertz).

Den Knoten lösen kann allerdings nur noch der Coach. Lampard sucht nach seinem System und bald sollte er es finden. Greifen die Zahnräder aber erst einmal ineinander, ist auch die Konstanz möglich. Doch dafür braucht es zunächst ein Getriebe, das vom Trainer gebildet wird. Und solang dies nicht existiert, können sich auch die Zahnräder nicht drehen. Umso größer wäre aber eben ein solcher Erfolg. Findet Lampard die richtigen Worte und stellt er sein Team neu ein, wäre die vergangene Durststrecke zwar eine bittere, aber mit umso wertvolleren Erkenntnisgewinnen.

Thomas Tuchel wird seit Kurzem auch bei Chelsea heiß gehandelt
Thomas Tuchel wird seit Kurzem auch bei Chelsea heiß gehandelt / FRANCK FIFE/Getty Images

Der Druck auf Frank Lampard ist und bleibt hoch, doch noch ist nichts verloren. Am kommenden Sonntag trifft Chelsea auf die ebenfalls holprig gestarteten Skyblues von Manchester City. Bleiben die drei Punkte in London oder zeigt der Klub immerhin eine gute Leistung, dürfte Lampard bereits aufatmen dürfen. Verliert Chelsea allerdings, zieht sich die Schlinge weiter zu, vor allem seit Thomas Tuchel auf dem Trainermarkt ist, dem auch Davies einen guten Umgang mit den deutschen Profis der Londoner zutraut.

Der Grad zwischen Erkenntnisgewinn und Krise - er ist schmal. Der FC Chelsea zeigt aktuell mehr denn je, um welche Haaresbreiten es im Fußball gehen kann. Das Spiel der elf Profis auf dem Platz kann manchmal nur durch Nuancen entschieden werden. Und diese muss Blues-Coach Frank Lampard jetzt finden.