Kommentar: Spanischer Verband und Rubiales enttarnen sich nach dem Übergriff selbst

Der Übergriff von Luis Rubiales auf Jenni Hermoso
Der Übergriff von Luis Rubiales auf Jenni Hermoso / Eurasia Sport Images/GettyImages
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"Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, dass ich wegen eines Küsschens zurücktrete", spottete Luis Rubiales bei einer denkwürdigen Pressekonforenz. Anders als spanische Medien es prognostiziert hatten, trat Rubiales nach seinem Übergriff auf Jenni Hermoso bei der WM-Siegerehrung nicht zurück. Der Präsident attackierte stattdessen die Medien für eine "Hetzjagd", beschwerte sich über einen "falschen Feminismus" und bezichtigte Jenni Hermoso der Lüge.

Dabei kann angesichts der Bilder, die weltweit im Fernsehen gezeigt wurden, kein Zweifel bestehen. Jenni Hermoso hat diesem Kuss in keinem Moment zugestimmt, es war ein klarer Übergriff. Nun verbreitet der spanische Verband jedoch gefälschte Fotos von dem Vorfall, um zu beweisen, dass Hermoso einverstanden gewesen sei. Diese Reaktion ist noch schlimmer als der Vorfall selbst, und der spanische Verband RFEF enttarnt sich dabei selbst.

Der WM-Sieg schien eigentlich die Position von Rubiales zu stärken

Am 20. August stand der spanische Verband eigentlich so gut da wie lange nicht. Trotz der massiven Vorwürfe gegen Trainer Jorge Vilda hatte der RFEF an ihm festgehalten. Und der WM-Titel schien dem Verband in den Augen vieler Recht zu geben. Luis Rubiales lächelte triumphierend, nachdem er bereits vor dem Finale seinen Schützling Vilda als "Architekten des Erfolgs" gefeiert hatte.

Jorge Vilda
Der umstrittene Trainer Jorge Vilda / Zhizhao Wu/GettyImages

Ohne den Übergriff auf Jenni Hermoso wäre der Protest der Spielerinnen wohl abgeebbt. Die Strategie des Verbandes, stur zu bleiben und nicht auf die Spielerinnen einzugehen, hätte sich ausgezahlt. Der trügende Schein der heilen Welt hielt nur für wenige Minuten, dann zeigte der Übergriff von Rubiales erneut, wie viel in diesem Verband falsch läuft.

Der Übergriff auf Hermoso ist kein Einzelfall und erst recht keine "emotionale Reaktion auf den Sieg", wie es Karl-Heinz Rummenigge später sagte. Die Szenen von der Siegerehrung können nur vor dem Hintergrund der jahrelangen Probleme im spanischen Verband eingeordnet werden.

Kein Einzelfall: Seit Jahrzehnten die gleichen Probleme

Missbrauch und fehlender Respekt ziehen sich durch die Geschichte des spanischen Frauen-Nationalteams. Zweimal waren die Spielerinnen schon vor Vildas Amtszeit zurückgetreten, um für ihre Rechte einzustehen. Nun müssen sie erneut auf das letzte Mittel zurückgreifen, denn alle anderen Wege sind blockiert.

2015 protestierten die Spielerinnen mit ihrem Rücktritt gegen Ignacio Quereda. Quereda war, wenn man den Schilderungen der Spielerinnen Glauben schenken kann, ein sexistischer und homophober Kontroll-Freak. Beleidigungen und unangemessene Berührungen waren an der Tagesordnung, dennoch durfte er 27 Jahre lang das Nationalteam trainieren, auch ohne sportliche Erfolge.

Ignacio Quereda Lavina
Ignacio Quereda, der ehemalige Spanien-Trainer / Claudio Villa/GettyImages

Unter seinem Nachfolger Jorge Vilda wurde es nur leicht besser. Im letzten Jahr traten erneut 15 Spielerinnen zurück, aber auch sie fanden kein Gehör bei der RFEF. Das Frauen-Nationalteam war dem Verband lange komplett egal, die herablassende Haltung findet sich in unzähligen Interviews von Funktionären wieder. Rubiales ist keine Ausnahme in dieser Reihe. Der Fußball der Frauen war für ihn nie eine Priorität - eine Ironie des Schicksals, dass dieser für ihn unbedeutende Sport nun das Ende seiner Amtszeit als Präsident bedeuten könnte.

All diese Proteste über die Jahre zeigen, dass das Problem weit über ein "Küsschen" hinaus geht. Der Missbrauch ist im Verband strukturell angelegt. Selbst wenn Rubiales geht, wird sich nicht unbedingt etwas ändern. Es bräuchte eigentlich einen radikalen Neuanfang. Von vielen Seiten wird berichtet, dass Kritik in der RFEF direkt unterdrückt wird, die Hierarchien sind steil, Transparenz gibt es kaum.

Ein exzellentes Beispiel dafür ist der Fall der ehemaligen Jugendtrainerin Toña Is, die trotz großer Erfolge plötzlich und grundlos entlassen wurde. In einem Interview mit Marca sagt sie nun, dass sie genau die gleichen Probleme wie Hermoso erlebt hat, Vilda und sein Team machten ihr das Leben schwer und ihre Beschwerden wurden ignoriert.

Angesichts der langen Geschichte von Missbrauch und Protesten kann man schon von Pfadabhängigkeit sprechen: In früheren Fällen wurde Kritik bereits unterdrückt, und so wird nun weitergemacht. Die Machtposition von Rubiales stützt sich nur auf Drohungen und Repressionen, und auf den Rückhalt von anderen Funktionären.

Nicht nur Rubiales' Übergriff ist das Problem, der Verband stützt ihn

Fast noch niederschmetternder als Rubiales' trotzige Rede bei der Pressekonferenz war die Reaktion darauf. Bis auf wenige Ausnahmen gab es Applaus für Rubiales, unter anderem von Luis de la Fuente, dem Trainer des Herren-Nationalteams. Männer in Machtpositionen unterstützen Männer in Machtpositionen, das ist ein bekanntes Muster.

Aber auch Frauen in Machtpositionen unterstützen Männer in Machtpositionen. Unter den Applaudierenden war auch Sonia Bermúdez, eine ehemalige Nationalspielerin. 2015 war sie eine der Anführerinnen des Protestes gegen Ignacio Quereda. Nun steht sie, als Angestellte des Verbandes, auf der anderen Seite. Das zeigt erneut: Es geht nicht um einen einzigen Übergriff, es geht nicht um ein Individuum, es geht um Strukturen.

Sonia Bermudez
Sonia Bermudez protestierte einst gegen Missbrauch, nun unterstützt sie Rubiales / Minas Panagiotakis/GettyImages

Wie viel in denen falsch läuft, zeigt auch die Reaktion des Verbandes auf den Rücktritt der Spielerinnen. Der Verband stellte sich voll und ganz hinter den Präsidenten und beschuldigte stattdessen Hermoso der Lüge - mithilfe von Fotos, die nur gefälscht sein können. Ein weiterer trauriger Tiefpunkt, nachdem der RFEF Hermoso bereits falsche Zitate in den Mund legte.

Rubiales kämpft verzweifelt und mit den dreckigsten Mitteln um seine Macht. Er wird zu Recht schärfstens kritisiert, aber ohne die Unterstützung des gesamten Verbandes könnte er längst nicht mehr im Amt sein. Ein Teil der Kritik zielt daher nicht auf den richtigen Kern - Gary Lineker etwa bedauerte, dass die Aktionen von einem einzigen Mann die Aufmerksamkeit von Spaniens Sieg weglenkten, obwohl die Spielerinnen doch eigentlich den Moment genießen sollten.

Rubiales' Übergriff ist aber nur die Spitze des Eisbergs, wie die Geschehnisse der letzten Jahre klar zeigen. Wenn er sich das vor laufender Kamera leisten kann, wie viel mehr muss dann hinter den Kulissen geschehen? Seine Haltung zeigt sich klar in seiner "Entschuldigung", in der er nicht den Übergriff als solchen bedauert, sondern nur sagt, dass er als Präsident in der Öffentlichkeit vorsichtiger sein müsse.

Und auch der spanische WM-Sieg stand bereits im Zeichen des Protestes von Las 15. Erst jetzt, durch Rubiales' Übergriff, liegt die Aufmerksamkeit aber wirklich auf den Problemen im spanischen Verband. Durch den Übergriff haben sich Rubiales und die RFEF selbst vor den Augen der ganzen Welt enttarnt - ihre Reaktion zeigt, wie viel im Argen liegt, und doch ist sie vor dem Hintergrund der letzten Jahre nicht überraschend, sondern konsequent.

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