Kollaps vor der Ziellinie: Die Bundesliga schafft sich ab
Von Florian Bajus
Die Bundesliga kam der Ziellinie immer näher. Nach der Erarbeitung des Hygienekonzepts, der benötigten Korrektur und viel Demut wirkte die Freigabe für die Fortsetzung der Saison wie reine Formsache. Und auch wenn laut der Nachrichtenagentur Reuters alles auf eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs hindeutet: Kurz vor der Ziellinie droht die Bundesliga zu kollabieren. Verband und Klubs schaffen sich selbst ab.
Der Begriff "Public Relations" lässt sich mit nur wenigen Worten definieren, vorgemacht hat es Georg-Volkmar Graf Zedtwitz von Arnim im Jahr 1961: "Tu Gutes und rede darüber". Ein Satz, der vielen bekannt sein dürfte, die in ihrem Leben mit PR in Berührung gekommen sind.
Es geht um öffentliche Kommunikation, den eigenen Ruf, das Vertrauen der Stakeholder. "PR ist ein Prozess intentionaler und kontingenter Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten durch Erzeugung und Befestigung von Images in der Öffentlichkeit", sagte Klaus Merten vor nunmehr 28 Jahren. Ihre Öffentlichkeitsarbeit haben DFL und Klubs ordentlich vermasselt.
Der Fußball hatte schon vor der Corona-Krise einen schweren Stand. Ablösesummen, Gehälter und TV-Einnahmen in schwindelerregender Höhe, Korruption bei der Vergabe von internationalen Turnieren und private Investoren, denen sämtliche Mittel recht sind, um eigene Gelder getarnt als Sponsoreneinnahmen in den Verein zu schleusen.
Auch die Bundesliga musste sich viel Kritik gefallen lassen, die Rede war von einer Entfremdung, von der Abkehr ihrer Wurzeln. Seit der Unterbrechung der Saison geht es um einen Sonderstatus, den der Fußball schon immer innehatte, um Systemrelevanz, Testungen, Abstandsgebote, die nicht eingehalten werden können und die Frage, ob und inwiefern sich das Infektionsrisiko für 22 Spieler und die Schiedsrichter minimieren lässt. Die Achterbahnfahrt schien glimpflich für die DFL zu enden, bis vor wenigen Tagen hatte man das Gefühl, die Bundesliga geht weiter. Kurz vor der Ziellinie kollabiert sie aber.
Es ging eigentlich schon vor Wochen los, als ein Entwurf des von der DFL erarbeiteten Hygienekonzepts dem Spiegel vorlag. Positiv getestete Spieler sollen doch bitte nur den Gesundheitsämtern, keinesfalls den Medien gemeldet werden. Transparenz? Fehlanzeige. Schafft das Vertrauen? Keineswegs. Das Image, das zuvor schon zu bröckeln begann, wurde stattdessen immer brüchiger.
Nun wurde das Konzept nachgebessert, sodass das Bundesarbeitsministerium und die Sportministerkonferenz eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs als möglich erachteten. Nur: Was passiert, wenn sich ein Spieler infiziert? Wie wird die Quarantäne geregelt? Wie groß diese Angriffsfläche ist, wurde jüngst in Köln deutlich.
Der FC stellt sich bloß
Beim 1. FC Köln wurden zwei Spieler und ein Physiotherapeut positiv getestet. Glücklicherweise gehörten diese einer Trainingsgruppe an, die Infektionskette könnte also unterbrochen werden, würde die gesamte Gruppe isoliert. Doch der FC, der vehement betont, auf Anweisungen des Gesundheitsamtes zu handeln, verordnete nur für die Betroffenen eine 14-tägige Quarantäne. Alle anderen Spieler dürfen weiter trainieren, sofern sie auch beim zweiten Test, der noch am Sonntag durchgeführt wurde, negativ getestet würden.
Dies war der Fall - doch Birger Verstraete hatte trotzdem seine Bedenken. Verübeln kann man es dem Belgier nicht, leidet seine Partnerin doch an Herzproblemen. Kein Mensch möchte sich und seine Angehörigen in Gefahr bringen und sich dem Risiko einer Infektion aussetzen. Als "bizarr" bezeichnete er es deshalb im belgischen Fernsehen, dass er nicht in Quarantäne geschickt wurde. Es war kein Übersetzungsfehler, keine Kritik. Und doch musste er einen Tag später zurückrudern. Seine Partnerin begab sich indes nach Belgien, damit sie in Sicherheit ist.
Fußballer sind Menschen, keine Maschinen. Diesen Satz werden die Klubverantwortlichen seit Jahren nicht müde zu betonen. In der Öffentlichkeit sollen sie aber wie Maschinen funktionieren. Bloß nicht aus der Reihe tanzen, bloß keine Emotionen zeigen, keine "falschen" Worte über den eigenen Verein verlieren. Die Stellungnahme am Sonntag war schlechte PR, statt Vertrauen zu schaffen, sorgte sie für Hohn und Spott. Es wurde mehr als offensichtlich, wie sehr DFL und Klubs sich darum bemühen, fast schon darum betteln, dass die Saison fortgesetzt werden darf. In ihren Bemühungen machen sie sich jedoch lächerlich.
DFL-Mail wird zur Farce
Aber: Wie war das noch mit den Testergebnissen? Plötzlich ging ein Schreiben an die 36 Profi-Klubs, wie der kicker am Montag enthüllt. Die Ansage: Nur die DFL wird die Testergebnisse kommunizieren. 10 positive Fälle meldete der Verband, um wen es sich handelt, wurde wie von den Klubs verschwiegen; nun war aber auch unklar, in welchen Vereinen infizierte Spieler oder Mitarbeiter aus dem Verkehr gezogen wurden.
Schafft das Vertrauen? Bessert diese Handhabe das Image auf? Beides lässt sich in aller Deutlichkeit verneinen. Vertuschungen sorgen für Misstrauen und Intransparenz. Was, wenn es auch bei den Spielern eine Dunkelziffer gibt? Auszuschließen wäre es spätestens nach den jüngsten Vorkommnissen in Berlin nicht mehr.
Kalous verhängnisvoller Livestream
Am Montag startete Salomon Kalou einen Livestream auf Facebook. Der Ivorer, im Winter bei Hertha BSC aussortiert, begab sich zum Vereinsgelände. Von der DFL erhielten die Spieler eine Handreichung, wie sie sich zu verhalten haben, damit das Infektionsrisiko so niedrig wie möglich ist. Diese wurde während des gesamten Streams mit Füßen getreten.
Zuallererst ließ sich Kalou zum Vereinsgelände fahren - ein Verstoß, denn die Spieler sollen nur noch alleine in ihren Autos unterwegs sein. Ihre Fahrzeuge sind eine Zone der sogenannten "Quasi-Quarantäne". Kalou öffnete Türen, die laut dem DFL-Konzept geöffnet sein sollen, damit eine Übertragung der Viren durch das Benutzen von Türklinken ausgeschlossen werden kann. Er begrüßte seine Mitspieler per Handschlag - ein No-Go. Das Abstandsgebot? Wohl nur eine wahnwitzige Idee.
Dann platzte er in den Test von Jordan Torunarigha rein. Wer den Test durchgeführt hat? Ein Physiotherapeut. Schutzkleidung? Fehlanzeige. Stattdessen trug der Physiotherapeut Einweghandschuhe sowie eine einfache OP-Maske. Unzureichend laut DFL. Außerdem wurde der Abstrich nicht korrekt durchgeführt. Ein valides Ergebnis? Unmöglich.
Auch sprach Kalou mit seinen Mitspielern darüber, wie viel Gehalt ihnen im April abgezogen wurde, Vedad Ibisevic beschwerte sich sogar über die unterschiedlichen Prozentsätze. Millionäre, die mit Rücksicht auf die übrigen Mitarbeiter auf einen Bruchteil ihres Jahresgehalts verzichten sollen, machen solch einen Aufstand. Besser konnte Ibisevic in diesem Moment das von Kritikern angeführte Klischee der verwöhnten Profifußballer nicht erfüllen. Allerdings meldete die Hertha, es habe sich bei den unterschiedlichen Abzügen um Abrechnungsfehler gehandelt.
Einen Re-Start kann die DFL nicht glaubhaft vermitteln
Die Vorkommnisse in Köln waren ein Rückschlag, die Ergebnisse der zweiten Testrunde und das Lob von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hätten die DFL noch ins Ziel retten können. Jetzt wäre es allerdings wirklich unverantwortlich, die Saison fortzuführen. Natürlich handelt es sich bei besagtem Livestream von Kalou nur um ein paar der vielen Bundesligaspieler. Aber ist es wirklich auszuschließen, dass in anderen Kabinen ähnliche Zustände herrschen? Wohl kaum.
"Alle Spieler, Trainer und Betreuer müssen wirklich darauf achten, dass sie sich nicht anstecken können und die ganzen Maßnahmen, die empfohlen sind, einhalten", warnte Tim Meyer, Leiter der Task Force Sportmedizin der DFL, im Interview mit Sport1. "Denn sie sind im Kern des Konzepts. Wenn diese Disziplin nicht eingehalten wird, dann kann das beste Konzept ins Wanken geraten." In Berlin wurde offensichtlich, wie viel die Spieler von Regeln und Vorschriften halten.
Diese Aktion hat Kalou seine ohnehin schwierige Zukunft in Berlin gekostet. Es wurde ein Exempel statuiert, ein Zeichen gesetzt. Einerseits hat er die Zustände nur dokumentiert, andererseits ist er ein Teil des Problems. Von seinen Mitspielern wurde er jedenfalls nicht gebeten, den Handschlag zu unterlassen oder auf die Abstände zu achten. Doch allein schon die Tatsache, dass er in der Kabine, dem Heiligtum schlechthin, mit seinem Smartphone filmt, ist eigentlich ein No-Go.
War Kalou sich der Tragweite bewusst?
Was hat sich der Ivorer dabei gedacht? Was ist ihm durch den Kopf gegangen? Fußballer stehen in der Öffentlichkeit, werden strengstens beäugt. In diesen Tagen sogar noch strenger. Abgesehen davon sehen viele junge Menschen Vorbilder in ihnen. Ihnen kommt, wie Christian Seifert mehrfach betont hat, eine riesengroße Verantwortung zuteil. Dieser wurden die Profis von Hertha BSC nicht gerecht.
So ein erfahrener Spieler wie Kalou kann diesen Livestream nicht unbedacht gestartet haben. Er weiß genau wie alle anderen um seine Rolle in der Öffentlichkeit. Aber war er sich auch den Konsequenzen bewusst? Ist ihm klar, welchen Schaden er damit anrichten könnte?
Es geht nicht nur um neun Spieltage, auch das hat Seifert mehrfach betont. Es geht um die Existenz einiger Profi-Klubs, um zahlreiche Arbeitsplätze innerhalb und außerhalb der Vereine. Normale Arbeitnehmer drohen ihre Jobs zu verlieren. Nun könnten Kritiker anführen, dass es anderen Wirtschaftszweigen wie der Autoindustrie oder der Gastronomie nicht anders ergehe. Das stimmt. Aber die Empfangsdame an der Geschäftsstelle ist weder mehr noch weniger wert als der Rezeptionist im Hotel. Kalou & Co. haben diesen Normalverdienern und den Klubs, denen die Pleite droht, einen Bärendienst erwiesen, sollte sich die Politik anders entscheiden und die Saison abbrechen.
Seifert ist ein Zirkusdirektor
Dass sich die DFL aus freien Stücken zurückziehen wird, ist eine utopische Vorstellung. Nach allem, was passiert ist, wäre es allerdings die einzig richtige Entscheidung. Der Schaden, den Verband und Klubs angerichtet haben, ist nicht mehr zu reparieren. Das bröckelige Image ist zerfallen.
Die jüngsten Stellungnahmen offenbaren, dass alle Beteiligten darum bemüht sind, den Scherbenhaufen zusammenzufegen und die zerstörte Vase irgendwie wieder zusammenzukleben. Aber wie will man einen Re-Start rechtfertigen und als etwas Gutes verkaufen, wenn Spieler sich nicht an die Vorschriften halten und Vereine die Schuld von sich weisen, indem sie - wie im Falle des 1. FC Köln - von Interpretations- oder Übersetzungsfehlern reden und dem Gesundheitsamt den Schwarzen Peter zuschieben? Auch die Erklärung der Hertha, Kalou habe sich lediglich über die negativen Testergebnisse gefreut, ist ein schlechter Witz. Wie will die DFL der Öffentlichkeit nach all dem auch nur irgendetwas glaubhaft verkaufen?
Christian Seifert, der so kämpferisch, demütig und authentisch wirkte, dem der Erfolg irgendwie vergönnt war, muss sich eingestehen, dass er ein Zirkusdirektor ist, der die Clowns an der Spitze der Klubs maßregeln muss. Die Bundesliga hat sich zum Gespött entwickelt. Wie will sie sich jemals davon erholen?