Keine Kompromisse mehr: Der FC Barcelona muss sich im Sommer konsequent neu ausrichten
Von Guido Müller
Wer gedacht hatte, dass der FC Barcelona mit dem 2:8 gegen die Bayern im Viertelfinale der letztjährigen Champions League endgültig auf Grund gelaufen ist, sieht sich spätestens seit vergangenem Dienstag eines besseren belehrt. Ein Rudi Völler würde wohl von einem noch tieferen Tiefpunkt sprechen.
Rein ergebnistechnisch bewegen sich beide Debakel auf gleicher Höhe. Ein 2:8 in der Endabrechnung auch gegen PSG, kommentieren bereits die Fans des Madrider Erzrivalen, sei ja immer noch im Bereich des absolut Möglichen.
Auch beim FC Barcelona selbst werden mittlerweile keine Durchhalteparolen von wegen bis zur letzten Patrone kämpfen und so bemüht. Das Ziel am 10. März ist es, sich einigermaßen anständig aus dem Wettbewerb zu verabschieden. An ein sensationelles Weiterkommen glaubt tatsächlich niemand mehr rund um das Nou Camp.
Zu eindeutig war der Leistungsunterschied am Dienstag gegen bockstarke Franzosen, denen man das Fehlen zweier absoluter Leistungsträger wie Angel Di Maria und Neymar in keiner Phase des Spiels anmerkte.
Der Kader veraltet auf zu vielen strategischen Positionen
Beim FC Barcelona vermisste man hingegen einiges. Die einstige Frische eines Lionel Messi, der gegen PSG ähnlich apathisch wirkte wie ein halbes Jahr zuvor bei der historischen Schmach gegen die Bayern in Lissabon.
Aber auch die Gedanken- und Reaktionsschnelligkeit in der Verteidigung, die von einem 34-jährigen Gerard Piqué angeführt wurde, der noch gar nicht wieder bei hundert Prozent sein konnte nach seinem Kreuzbandriss im November vergangenen Jahres.
Oder die Umsichtigkeit und das Antizipationsvermögen eines Sergio Busquets, mittlerweile auch schon 32 und in den goldenen Jahren der Guardiola-Ära so etwas wie der Staubsauger im Mittelfeld der Katalanen, der den Künstlern Andrés Iniesta und Xavi den Rücken freihielt.
Nicht nur dass auch an einem Busquets die Zeit nicht spurlos vorbeigeht - er hat auch nicht mehr Künstler dieses Formats an seiner Seite. Was nicht gegen Pedri oder Frenkie de Jong gerichtet sein soll. Der Kanarier und der Holländer sind gute Spieler, sehr gute sogar. Aber auch ein Xavi musste erst 26 Jahre alt werden, ehe er bei den Azulgrana das Heft des Handelns in die Hand nahm.
Perspektivisch hat der Klub im vergangenen Sommer schon einiges in die richtige Richtung geleitet - allein es war ein (letztlich fauler) Kompromiss der geschlossen wurde. Um ihrer bisherigen Verdienste wegen wurden alle genannten Spieler und natürlich der Fixstern Lionel Messi gehalten.
Und in Luis Suárez seltsamerweise ein Spieler abgegeben, dessen Fehlen sich nun rächt. Dass der Uruguayer bei Atlético voll eingeschlagen ist, macht diese Entscheidung aus Sicht der Katalanen um so schmerzhafter.
Der Klub bracht Mut zum entschlossenen Handeln
Was der Klub nun braucht ist einfach Mut. Mut, eine drängende Entscheidung auch kompromisslos zu treffen. Und Mut, der sportlichen Realität anno 2021 ins Auge zu sehen. So gerne man in den glorreichen Zeiten der Messis, Xavis oder Iniestas schwelgen mag - als Klub-Verantwortlicher ist solches Denken noch immer kontraproduktiv gewesen. Denn die Fußball-Welt dreht sich weiter, auch wenn man es selbst nicht wahrhaben will
Und ja, so unglaublich es sich anhören mag: eine Zukunft ohne Lionel Messi könnte die Wende zum Guten bringen. Denn ohne dem Argentinier auch nur im geringsten fußballerische Extra-Klasse (auch heute noch!) absprechen zu wollen und zu können - an biologischen oder physiologischen Imperativen kommt auch Messi nicht vorbei. Das Rad der Zeit zurückdrehen zu wollen - daran sind schon ganz andere gescheitert.
Und mit Messi ist dieser FC Barcelona einfach ausrechenbar. Man hat latent immer das Gefühl, dass es im Team einige Spieler gibt, die nach dem Motto: 'na, dann führ uns mal' in das Spiel gehen. Das ist noch nicht mal schlecht gemeint von ihnen - schließlich ist für die Generation Dembélé und Co. Messi DAS große und alles überstrahlende Idol ihrer Kindheit und Jugend.
Doch führt eine solche Einstellung - wie zu beweisen ist - zum immer selben frustrierenden Ergebnis: Wenn Messi vom Gegner ausgeschaltet wird (wie im August in Lissabon oder am letzten Dienstag gegen PSG), kommt von eben diesen Mitspielern keine eigene Reaktion.
Und das würde sich aller Wahrscheinlichkeit auch in der nächsten Saison fortsetzen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Aussagen des aussichtsreichsten Kandidaten auf die Präsidentschaft des Klubs, Joan Laporta.
Der sprach im Dezember letzten Jahres zwar davon, Messi von einem Verbleib in Can Barça überzeugen zu wollen, sprach dabei aber nicht mehr in absoluten Kategorien. So deckte er zum einen den emotionalen Aspekt ab (denn keiner will der Präsident sein, der als derjenige in die Historie des Vereins eingeht, der den Superstar vom Hof gejagt oder ziehen gelassen hat).
Der Wahrheit ins Auge gucken: Fußball ist ein undankbares Geschäft
Ließ sich andererseits ("Aber wir haben auch einen Alternativplan!") die Türen für eine Zukunft ohne Messi offen. Einer muss am Ende die Entscheidung nehmen. Jeder weiß es ja: Fußball ist ein undankbares Geschäft. Vielleicht deshalb auch - zumindest in der Spitze - so gut bezahlt.
Wie andere Branchen auch. Ist es nicht ungerecht, dass einstmals gefeierte und überall gefragte Schauspieler, vor allem weiblichen Geschlechts, ab einem bestimmten Alter kaum noch Rollen kriegen? Ja, ist es. Doch die Kenntnis dieser Ungerechtigkeit führt nicht zu einem anderen Handeln.
Denn am Ende geht es immer um den Erfolg. Und der wird in einem Turbo-Hochleistungssport wie dem Profi-Fußball nicht wahrscheinlicher, je länger ich an den alten Zöpfen festhalte. So brillant diese auch in der Vergangenheit geglänzt haben mögen.