Real Madrid gewinnt bei Athletic Bilbao - und San Mames huldigt Karim I. !
Von Guido Müller
Es hat schon seine Gründe, warum das Stadion von Athletic Bilbao im spanischen Volksmund nur "la catedral", "die Kathedrale", genannt wird. Daran hat sich auch nach dem Neubau (Einweihung 2013) nichts geändert. Lediglich das "Nuevo" ist hinzugekommen.
Denn hier, in Vizcaya, einer der drei Regionen des Baskenlands (neben Alava und Guipuzcoa), wird der Stadionbesuch zur Glaubensfrage erhoben. Und wird am Sonntag nach dem einen auch noch dem anderen Gott gehuldigt. Dem des Fußballs.
Dessen Propheten müssen dabei noch nicht einmal aus diesem rustikalen, urwüchsigen Landstrich kommen, der sich bislang noch jeder raschen Eroberung widersetzt hat.
Ob es die Kelten waren, in grauester Vorzeit, oder danach die Römer, ob es die Goten waren, die sich irgendwann, vom Nordosten Europas kommend in Marsch setzten, oder die Araber, die den Weg vom Meridian her, von der arabischen Halbinsel, gegangen waren und nach der Schlacht bei Covadonga, im benachbarten Asturien, bereits wieder den Weg zurück gewiesen bekamen.
Sie alle hinterließen, mehr oder weniger, Spuren in diesen Gestaden an der Atlantikküste. Wie später auch die Abgesandten fremder Fußball-Mächte, die sich auf den Weg in Spaniens Norden machten. Nicht um das Evangelium zu predigen, denn mit der orthodoxen Lithurgie hatte man es hier, zwischen San Sebastián, Vitoria und Bilbao eigentlich noch nie so.
Fremden Mächten stand man aber zumindest aufgeschlossen gegenüber. Zumindest solange diese nicht die Absicht hegten, sich dauerhaft niederzulassen. Und das war angesichts des Reglements des modernen Fußballs, mit Heim-und Auswärtsspielen im wöchentlichen Wechsel, ja auch gar nicht zu befürchten.
Besagtes Reglament verdankt die Fußball-Welt, wie wir sie heute kennen, übrigens den Engländern. Und die hatten auch bei der Gründung von Athletic Bilbao ihre Finger im Spiel. Britische Stahl- und Werftarbeiter und aus englischen Schulen zurückgekehrte einheimische Studenten - aus diesen beiden Gruppen rekrutierten sich die ersten Spieler und, in der Folge, die ersten Funktionäre des 1898 gegründeten Klubs.
Der englische Einschlag spiegelt sich deshalb noch heute im Vereinsnamen wider. Weiter im Süden des Landes wurde aus "Athletic" dann "Atlético".
Ein Tempel des Fußballs und dessen Götter
Doch zurück zur Kathedrale - oder sollte man sagen: zum Dom des spanischen Fußballs? Von jeher ein beeindruckendes Zeugnis der Verbindung von Architektur und Leidenschaft. Ein Ort, wie geschaffen für den im vierzehntägigen Rhythmus wiederkehrenden und ganz normalen Wahnsinn.
Für einige Stunden verwandeln sich die Tribünen in Kirchenbänke für die Seelenheilsuchenden, und das große grüne Rechteck im Zentrum wird zum Altar, auf dem Götter geweiht oder Ketzer verurteilt werden. Wer den hiesigen Torjubel, geschmettert aus 40.000 und mehr dichtgedrängten Kehlen, oder den Unmut, gepfiffen aus ebenso vielen Lippen, noch nie erlebt hat, weiß nichts von Wucht.
Denn die geht einher mit den jeweiligen akustischen Signalen. Die stolzesten Mannschaften ihrer Zeit konnten daran zerbrechen. Und selbst die untalentiertesten Generationen der Gastgeber konnten durch sie zu unverhoffter Stärke finden.
Gebaut wurde das (alte) Stadion 1913 auf dem benachbarten Grundstück einer uralten Zufluchtsstätte, in deren Inneren eine dem Heiligen Mamas von Kappadokien gewidmete Kapelle stand.
Der Legende nach sollte Mamas nach einem Urteil des römischen Kaisers Aurelianus den Löwen zum Fraß vorgeworfen werden. Doch Mamas zähmte die Bestien, die sich ihm schließlich, friedrich schnurrend, selbst zu seinen Füßen warfen.
Benzema zähmt die Löwen
Die für anzestrale Überlieferungen stets empfänglichen Basken übernahmen diese Märtyrer-Legende anlässlich der Namenssuche für die Spieler von Athletic. Deshalb heißen diese auch bis heute "los leones", "die Löwen".
Am Mittwochabend erlebte San Mames (pardon - das "Nuevo San Mames"!) die Wiederkehr der Reinkarnation seines Namensgebers. Denn ein französischer Prophet namens Karim Benzema schwang sich, gleich zu Beginn der Fußball-Schlacht zwischen einheimischen und königlichen Truppen, zum Löwenbändiger auf.
Zwei Tore in den ersten acht Minuten ließen die zähnenbewehrten Gralshüter ihre Ohnmacht erkennen, gegen den König der Könige aus Madrid etwas ausrichten zu können. Zwar probierten sie es, doch mehr als der Anschlusstreffer und eine lange Zeit ausgeglichene Feldschlacht, mit vorübergehenden Phasen scheinbarer Übermacht, sprang für das baskische Verteidiger-Heer nicht heraus.
Was am Ende der erbitterten Auseinandersetzung folgte, war das Diktum einer besiegten Streitmacht, die aber noch in der Niederlage nicht ihren Stolz und auch nicht ihren Respekt vor dem Stärkeren verlor. This is San Mames.
Minutenlange Ovationen huldigten Karim I. von Madrid. Der hat in diesem Jahr zwar bei der Verleihung des Ballon d'Or das Nachsehen gehabt - aber die öffentliche Salbung in einer Kathedrale wie San Mames ist, seit mehr als hundert Jahren, so viel mehr wert als das.