Jens Lehmann im Aufsichtsrat: Hertha BSC holt das nächste Problemkind ins Boot
Von Florian Bajus

Hertha BSC hat einen Nachfolger für Jürgen Klinsmann im Aufsichtsrat gefunden: Wie BILD berichtet, soll Ex-Torhüter Jens Lehmann den freien Platz einnehmen. Der Hauptstadtklub tritt damit in das nächste Fettnäpfchen - für positive Schlagzeilen hat Lehmann in den vergangenen Jahren nämlich nicht gesorgt.
Die Saison 2019/20 ist für die Hertha längst aus dem Ruder gelaufen. Mit der finanziellen Unterstützung von Investor Lars Windhorst und dem neuen Trainer Ante Covic, der die Hertha zu einer offensiv spielenden Mannschaft entwickeln sollte, wollte der Klub aus der Bundeshauptstadt mittelfristig die Europapokalplätze angreifen. Als Jürgen Klinsmann im November als neues Aufsichtsratsmitglied präsentiert wurde, peilte dieser sogar an, eines Tages um Titel mitspielen zu wollen.
Doch wo steht die Hertha wenige Tage vor der Wiederaufnahme des Spielbetriebs? Statt mit Schalke, Wolfsburg, Freiburg und Hoffenheim um den sechsten Tabellenplatz zu kämpfen, steht der Abstiegskampf auf dem Progamm. 28 Punkte hat die Alte Dame in 25 Bundesligaspielen gesammelt, damit liegt sie auf dem 13. Tabellenplatz. Der Relegationsplatz ist nur sechs Zähler entfernt, der Kampf ist also noch lange nicht gewonnen.
Allerdings hat die Hertha nicht nur auf, sondern allen voran neben dem Platz für Verwunderung gesorgt. Covic wurde Ende November entlassen, Klinsmann übernahm gemeinsam mit Alexander Nouri. Zur Überraschung aller Beteiligten verkündete der Ex-Bundestrainer im Januar seinen Rücktritt auf Facebook, wenig später veröffentlichte BILD ein Tagebuch des 55-Jährigen, in dem mit aller Schärfe gegen Manager Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer geschossen wird. Dabei wurden in der Winter-Transferperiode auf Wunsch von Klinsmann 76 Millionen Euro in Neuzugänge investiert.
Klinsmann geht, Lehmann kommt
Klinsmann wollte die Hertha groß machen, spielte dann aber die beleidigte Leberwurst und verschwand wieder nach Amerika. Co-Trainer Nouri wurde sein Nachfolger, Anfang April wurde er wegen ausbleibender Erfolge beurlaubt. Nun sitzt Bruno Labbadia auf der Trainerbank - und Jens Lehmann im Aufsichtsrat.
Jens #Lehmann. Der, der bei keiner seiner Stationen nach seiner aktiven Karriere irgendwie Erfolg hatte. Der, der selten dämliche Aussagen bzgl. der Sexualität von Ex-Kollege @ThomasHitz und der Corona-Maßnahmen getroffen hat und absolut kein Fettnäpfchen auslässt. #hahohe
— Marc Schwitzky (@jungerherr1892) May 10, 2020
In seiner aktiven Karriere wurde Lehmann mit der AC Mailand (1999), Borussia Dortmund (2002) und dem FC Arsenal (2004) Meister, mit Schalke gewann er sogar den UEFA Cup (1997). Der 50-Jährige ist ein hochdekorierter Torwart, der von Klinsmann bei der Heim-WM 2006 den Vorzug vor Oliver Kahn erhielt und im Berliner Olympiastadion zum Helden avancierte, als er im Viertelfinale gegen Argentinien die Elfmeter von Roberto Ayala und Esteban Cambiasso parierte. Doch nachdem er die Torwarthandschuhe an den Nagel hing, machte er nur selten positiv von sich reden.
Eklat nach Coming-Out von Hitzlsperger
Im Januar 2014, ein halbes Jahr nach seinem Karriereende, bekannte sich Ex-Nationalmannschaftskollege Thomas Hitzlsperger öffentlich zu seiner Homosexualität. Aktiven Spielern riet Lehmann allerdings davon ab, sich zu outen: "Wer das tun würde, wäre blöd", sagte er bei Sky90 (via stuttgarter-zeitung).
Ein Coming-Out könne zu "unvorhersehbaren Reaktionen" führen, zudem werde Homosexuellen nachgesagt, dass sie "etwas weicher" seien. Die heikelste Aussage traf Lehmann auf die Frage von Moderator Patrick Wasserziehr, wie er reagiert hätte, wenn sich Hitzlsperger während seiner aktiven Zeit geoutet hätte: "Komisch, glaube ich. Man duscht jeden Tag zusammen, man hat Phasen, in denen es nicht so läuft. Aber Thomas Hitzlsperger ist ein Spieler, der erstens sehr intelligent ist, und zweitens von seiner Spielweise überhaupt nicht den Anlass gegeben hätte, dass da man hätte denken können, da ist irgendetwas."
Versuchte Steuerhinterziehung
Das war nicht der einzige Fehltritt des Ex-Keepers. Im November 2018 veröffentlichte das Handelsblatt einen Bericht, laut dem Lehmann vom Finanzamt München versuchte Steuerhinterziehung vorgeworfen wurde. So habe er während seiner Zeit bei Arsenal zwei Firmen auf der Kanalinsel Jersey gegründet, in die Einnahmen seines damaligen Sponsors Nike und vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) geflossen seien.
Darüber hinaus habe er angegeben, in Deutschland keinen Wohnsitz zu haben und sein Haus in Dortmund für 1.000 Euro pro Monat vermietet. Allerdings habe der Vermieter nie in diesem Haus gewohnt, sondern die Familie Lehmann - denn der Mieter sei der Mann seiner Schwiegermutter gewesen. Auch habe er nach seinem Wechsel zum VfB Stuttgart doppeltes Kindergeld erhalten. Summa summarum habe es sich um 943.837 Euro gehandelt, die Lehmann hinterzogen habe.
Lehmann fordert Fußball mit Fans - trotz Corona
Der jüngste Eklat hat sich erst vor kurzem ereignet. Im Sport1-Doppelpass äußerte Lehmann Skepsis bezüglich der Angaben von Politikern und Virologen über das Coronavirus. Man habe Zahlen genannt bekommen, die zu einem früheren Zeitpunkt "optimal gewesen wären", nun jedoch "aus irgendwelchen Gründen doch nicht gut genug" seien (zitiert via Focus). Die Kontaktbeschränkungen seien "ein extremer Eingriff in unsere Freiheitsrechte", jeder Tag koste der Wirtschaft "Milliarden".
Auch von Geisterspielen hält Lehmann relativ wenig. Sein kurioser Vorschlag: "Warum können in einem Stadion wie der Allianz Arena, in dem 70.000 Leute reinpassen, nicht 20.000 Fans rein? Die kommen sich im Abstand von zehn Metern doch nicht in die Quere."
Tun sich die Verantwortlichen einen Gefallen?
Genau diesen Mann hat sich Hertha BSC ins Boot geholt. Ist es ein cleverer Schachzug, eine schillernde Figur des deutschen Fußballs zu verpflichten, wenn diese nach ihrer Laufbahn fast ausschließlich für Negativschlagzeilen gesorgt hat? Schon der FC Augsburg wollte im Januar 2019 von Lehmann profitieren und heuerte ihn als Co-Trainer an, der die Defensive stabilisieren sollte - das Experiment wurde jedoch nach etwas mehr als zwei Monaten beendet.
Wer es noch nicht gesehen hat:
— Henning Feindt (@Karlo_Kolumna) February 4, 2019
Axel Kruse über Jens Lehmann. Ton an, Meinung ab! @SkySportDE pic.twitter.com/RkAB3FeuI9
Es ist eine berechtigte Frage, ob sich der Verein damit einen Gefallen tut. Doch es passt ins Bild, das die Hertha in dieser Saison abgibt. Der Traum vom Höhenflug ist längst darin geendet, das sinkende Schiff irgendwie noch zu retten. Das mag auch gelingen, aber es muss vieles anders laufen, wenn es wirklich in höhere Tabellenregionen gehen soll.